Heute kommt unser letztes Highlight von der Aktionswoche! Martina hat die immersive Erfahrung im Theater „Brut“ gewählt.
Ein Theaterstück mit Österreichischer Gebärdensprache bei dem die Besucher:innen live ins Geschehen eintauchen. Das und viel mehr gab es bei Brut mit Nestervals “Der rosa Winkel” zu erleben.
*Alternativlink zum Video: YouTube
Mit diesem Video haben wir gerade mal die Hälfte gezeigt! Unter diesem Link findest du Teil 2
Klaviermusik
Kellner singt in Wiener Dialekt
♪ Die Tassen da sind aus dickem Porzellan. ♪ ♪ Zerbrechlich gar, sind sie nicht. ♪ ♪ Die Herzerl dagegen sind es sehr, ♪ ♪ oft kommt es vor, dass eines bricht.♪
Trommelwirbel
Gesang mit Musikbegleitung ♪ Willkommen, bienvenue, welcome! ♪ ♪ Fremder, Étranger, Stranger ♪
Musik läuft im Hintergrund weiter
Hallo!
Hallo!
[GW.tv]: Magst du uns erzählen, wo wir sind?
[Pam Eden]: Wir sind hier mitten in der großen Halle von brut. Alles was hier rundum uns aufgebaut ist gehört zum Theater von Nesterval [Gebärdenname]. N-E-S-T-E-R-V-A-L. Es wird hier ein besonderes Theatererlebnis angeboten. Die Zuschauer:innen sehen nicht nur zu, sondern können live dabei sein. Sie bewegen sich dabei durch die Räume. Wir befinden uns z.B. gerade im Kaffeehaus. Die Kulisse versetzt uns in die Zeit des zweiten Weltkriegs zurück.
[GW.tv]: Wow, spannend, dass wir da jetzt in einem Kaffeehaus aus vergangener Zeit sitzen.
♪ Sie haben heute die einmalige Gelegenheit, sich als Gedanken und Phantasien in den Köpfen der hier anwesenden Figuren herumzutreiben. ♪
[GW.tv]: Das Stück mit Gebärdensprache anzubieten – wie kam es dazu, dass Pam mitmacht? Wie ist das ins Rollen gekommen und wie hat sich das ergeben?
[Hanna Steinmair]: Also ich kannte Pam Eden schon von einem vorherigen Projekt, wo es auch eine künstlerische Zusammenarbeit gab. Dann haben wir beim Festival „imagetanz“ auch einen großen Schwerpunkt auf Barrierefreiheit gelegt. Da war Pam eine der Expertinnen in eigener Sache. Wir waren auch total eingenommen davon, wie und mit welcher Leidenschaft sie über ihre Arbeit spricht. Dann habe ich begonnen zu schauen, für welche Projekte, die wir hier am brut haben, sich so ein Zugang eignen würde für Publikum mit Hörbehinderung. Wir hatten dann Nesterval in der näheren Auswahl, weil es einen ganz eigenen Kosmos aufmacht. Und uns in eine sehr spezifische Zeit zurückversetzt und genau auch diese Geschichten erzählt, die eigentlich verdrängt, bewusst verdrängt und zum Vergessen gebracht und verschwiegen worden sind. Und wir haben uns dann überlegt: Wie können wir auch für diese Perspektiven Zugänge schaffen?
Klaviermusik
[GW.tv]: Sehr interessant! Jetzt bin ich neugierig, aber auch verwirrt, wie das mit den Räumen abläuft. Mir ist da das Konzept dahinter noch nicht ganz klar.
Kannst du uns da vielleicht ein bisschen mehr dazu erzählen?
[Pam Eden]: Zu viel verraten kann ich nicht!
[GW.tv]: Nein, nein, nur ein bisschen erklären?!
[Pam Eden]: Ja, freilich! Gerne! Die Besucher:innen kommen am Anfang des Stücks in einen großen Raum. Dort ist die Kantine, also das Restaurant eines Unternehmens. Die Zuschauer:innen können wie in einem Cafe an einzelnen Tischen Platz nehmen. Vorne befindet sich die Bühne. Links und rechts von der Bühne gibt es jeweils einen Eingang. Dahinter befinden sich dann wiederum die einzelnen Eingänge zu den zahlreichen Räumen. Es gibt wirklich viele Räume! Ein Raum ist zum Beispiel eine Straßenbahn-Haltestelle. Dann gibt es beispielsweise ein Cafe, indem wir uns gerade befinden. In einem anderen Raum befindet sich das Zimmer von einem Schauspieler. Dann gibt es noch ein Kino. Das heißt es sind wirklich viele verschiedene Räume. Im Stück gibt es insgesamt 19 Charaktere. Wovon jeder Charakter seine eigene Lebenssituation darstellt. Die Zuschauer:innen gehen also von der Kantine weg durch die zwei Eingänge in einen dunklen Raum. Dann können sie sich einen Charakter aussuchen. Gehörlose Besucher:innen folgen in diesem Fall dem Charakter, den ich begleite. Zusammen folgen wir dann dem Charakter, wo dieser sich hinbewegt. So kommt die Gruppe zum Beispiel in einen Raum, wo der gewählte Charakter auf einen anderen Charakter trifft. Die Zuschauer:innen können somit die Gedanken der Charaktere live miterleben. Du entscheidest dich z.B. mit einem Charakter mitzukommen. Der Charakter erzählt aus den eigenen Gedanken. Wenn du das Gefühl, du möchtest auch etwas dazusagen, kannst du das tun. Tatsächlich in das Stück einzugreifen ist nicht möglich. Aber du kannst Vorschläge einbringen. So fließen auch die Gedanken der Zuschauer:innen ein.
Das ist der Stil dieses Theaters. Man kann es miterleben.
[GW.tv]: Man folgt dann also einer Rolle durch die Räume?
[Pam Eden]: Ja.
[GW.tv]: Das sieht ja spannend aus! Sonst kennt man Theater ja eher so, dass man ganz geordnet in einem Saal sitzt und zur Bühne schaut. Das hier ist ganz anders aufgebaut. Es dauert 3 Stunden, aber man hat nicht das Gefühl, dass man wirklich 3 Stunden da ist.
[Pam Eden]: Die Zeit vergeht sehr schnell, weil man sehr viel erlebt und viel passiert. Da vergeht die Zeit wie im Flug. Es ist sehr empfehlenswert.
[GW.tv]: Was ist da drinnen?
Dort ist die Straßenbahn-Haltestelle. Komm, wir schauen hinein!
[GW.tv]: Kommt mit!
[Pam Eden]: Das ist die Haltestelle, da sind die Gleise.
[GW.tv]: Interessant!
[Pam Eden]: Man wartet hier auf die 5er Straßenbahn. Wer hier wartet trifft immer wieder auf andere Charaktere. Man plaudert und kommuniziert miteinander. Dann ist es z.B. so, dass die Straßenbahn nicht kommt und der Charakter geht wieder. Das ist die Haltestelle.
[GW.tv]: Wow, das ist spannend, wie man in verschiedene Räume geht, das ist sehr real, beeindruckend.
[Pam Eden]: Das stimmt. Man hat das Gefühl, dass alles echt ist. Es ist so als würde man wirklich auf die Straßenbahn warten und auf verschiedene Menschen treffen.
[Gisa Fellerer]: Also, ich bin die Gisa. Gisa Fellerer ist mein Name. Ich spiele im Stück “Der rosa Winkel – die Geschichte der Namenlosen” die “G”. Meine Rolle erzählt eigentlich auch die Geschichte der lesbischen Verfolgung und es wurde hier eben auch erarbeitet, dass wir das gemeinsam mit der Pam auch in die österreichische Gebärdensprache übertragen können und quasi gemeinsam die Performances an jenen Daten eben halt am Abend dann zum Besten geben dürfen. Ich bin seit über zehn Jahren bei Nesterval dabei. Nesterval ist ein immersives Theaterensemble, das heißt, das Publikum folgt uns durch die Räume und geht mit uns durch. Und hier bei diesem Stück ist sozusagen die Spezialität oder die Rolle des Publikums, weil das Publikum hat bei uns auch immer eine Rolle – ist die Rolle der Gedanken. Und wir zeigen hier eben ein Stück über die Verfolgung von Homosexuellen im Nationalsozialismus und zeigen natürlich sozusagen beide Seiten. Wir zeigen die Opferseite, also die Seite der homosexuellen oder der queeren Personen. Und wir zeigen aber auch die andere Seite, also Familienmitglieder oder eben Nachbarinnen, die verraten oder die Nationalsozialisten oder die Kriminalpolizei, die verfolgt hat. Also es wird sozusagen beides hier abgedeckt und in meiner Rolle als die “G”, also das ist nur ein einzelner Buchstabe – “G” – ist es eben die Geschichte der lesbischen Frauen, die halt zur Zeit des Nationalsozialismus auch verfolgt wurden.
[GW.tv]: Wie war die Auswahl des Charakters, mit dem Pam dann mitgehen soll? Also war das von Anfang an klar, dass da “G” ausgewählt wird?
Oder gab es noch andere Optionen? Wie hat diese Auswahl stattgefunden?
[Hanna Steinmair]: Also es gab eine sehr pragmatische Überlegung, weil viele der Namenlosen, sie heißen namenlos und sie bleiben namenlos, auch als Taktik, weil sie sozusagen dann in dem System, wo sie dazu angeregt werden, sich gegenseitig zu verraten, sich so auch schützen können. Andererseits hat es auch eine Tragik, diese Namenlosigkeit, weil sie wirklich in der Geschichte nicht mehr vorkommen und zum Verschwinden gebracht worden sind. Und innerhalb dessen, was aber auch überliefert ist und erzählt wird, gibt es auch nochmal Unterschiede innerhalb von diesen queeren Lebensentwürfen. Zum Beispiel wurde Homosexualität unter Männern noch mal anders geahndet und auch anders in den Protokollen vermerkt als zum Beispiel lesbische Liebe. Frauen wurden damals eigentlich dann eher als – die Gisa kann mir helfen– aber es gab eine andere Bezeichnung, wie war das nochmal? Genau. Frauen wurden dann zum Beispiel in den Akten als asozial oder politisch verfolgt gelabelt. Das heißt, man hat auch da eigentlich so die Queerness zum Verschwinden gebracht und es war dann auch auf auf Hinweis des Regisseurs wichtig, dass man sagt, wenn wir jetzt hier so einer Geschichte noch mal mehr Raum geben, dann soll es vielleicht auch eine von einer lesbischen Beziehung sein.
[GW.tv]: Gut. Wie sehen deine Vorbereitungen aus? Die Dolmetsch-Performance ist ja doch anders.
[Pam Eden]: Ja, ganz anders.
[GW.tv]: Kannst du uns das erzählen?
[Pam Eden]: Ja, das stimmt. Das ist der Unterschied: Ich treffe mich vorab mit dem Team vom brut Theater. Wir sprechen gemeinsam über das Theaterstück, die Vorstellung, die Wünsche, den Wunsch, was alles im Theater dabei sein soll, damit es für das gehörlose Publikum zu einem vollen Erlebnis wird. Gehörlose Menschen sollen nicht nur zusehen, sowie bei einem Theater mit Untertiteln. Ich bekomme das ganze Skript immer vorab, puh, das ist ganz schön viel. Ich lese mir das durch, alle Texte, alle Dialoge, alles. Hauptaugenmerk lege ich aber auf den Charakter, dem ich dann folge. Ich lese mir alle Texte und Dialoge durch und überlege mir dann, wie ich die Texte am besten in ÖGS umsetzen kann. Ich gebärde nicht nur die Sätze, sondern passe den Inhalt auch an das Zielpublikum und die Gehörlosenkultur an. Der nächste Schritt ist, dass ich die einzelnen Charaktere auf der Bühne beobachte und genau schaue, wie sie sich verhalten. So kann ich die Gefühle, die Emotionen und das Verhalten verinnerlichen und mich bei meiner Performance daran orientieren. Nach zwei- oder dreimaliger Probe auf der Bühne bin ich dann dabei. Das heißt, ich kenne die Texte, die Gefühle und weiß, wie sich die einzelnen Rollen verhalten. Ich habe das alles verinnerlicht und gebe das dann wieder. So arbeite ich.
[GW.tv]: Wow, das ist eine große Herausforderung.
[Pam Eden]: Ja, das stimmt. Alles genau zu lesen und mir zu merken ist schon hart. Das ist nicht einfach. Manchmal verliere ich auch den Faden, aber mit den Hörgeräten höre ich etwas, ein Schlagwort, das hilft mir zum Glück ein bisschen. Aber es sind viele Geräusche da und es ist dunkel, da kann ich nicht von den Lippen ablesen. Das bedeutet, ich muss mir wirklich sehr viel merken. Die Schauspieler:innen ändern Dinge manchmal auch sehr spontan. Ich höre dann plötzlich was anderes, aber ich kenne ja den Text und kann dann weitermachen. Das ist auch eine große Herausforderung.
[GW.tv]: Wie war das für dich mit einer Dolmetsch-Performerin an der Seite zu spielen? Wie hat sich das für dich angefühlt?
[Gisa Fellerer]: Ich muss sagen, es war für mich so Liebe auf den ersten Blick. Ich hatte sehr viel Respekt davor, weil ich mir gedacht hab, okay, wir spielen hier also die Leute laufen ohnehin immer mit uns mit. Wir haben immer so 8 bis 10 Leute oder so pro Szene irgendwie dabei und ich hatte sehr viel Respekt davor, weil ich dachte: Wird es mich irritieren? Wie ist es für die gehörlosen Personen? Funktioniert das auch alles so, wie wir es halt eigentlich geübt haben?
Wir stellen auch Fragen ans Publikum, also an unsere Gäste, die ja unsere Gedanken sind in dem Stück. Und es war dann aber halt wirklich so, ich habe die Pam kennengelernt und habe mir dann eigentlich überhaupt keine Sorgen mehr gemacht. Also weil ich halt einfach gewusst habe, gut, sie weiß genau, was sie tut und wir haben dann einfach gemeinsam, quasi im Probenprozess, halt auch ein bisschen erarbeitet, was wichtig wäre oder was halt sozusagen eigentlich zu beachten ist oder so, aber ich muss sagen, mich beeinflusst es eigentlich beim Spielen gar nicht. Ganz im Gegenteil, ich freue mich, wenn Pam da ist, mit gehörlosem Publikum.