Nach der Vorstellung von Anita Lackenbergers „Elfi“ im Urania-Kino fand eine besondere Podiumsdiskussion, moderiert von ÖGLB Generalsekretär Lukas Huber, statt. Im Film folgen wir die Geschichte von Elfi und Sepp, zwei Menschen mit Behinderungen. In der Nachkriegszeit kämpfen sie gegen eine Gesellschaft, die ihre Liebe und ihren Kinderwunsch blockieren möchte.
Für eine gehörlose Frau kommt diese fiktive Geschichte erstaunlich bekannt vor. In der anschließenden Podiumsdiskussion erzählt Maria Donev wie sie Gewalt und Zwangsabtreibungen überwunden hat um ihre eigene Familie zu gründen. Aus der medizinischen Sicht spricht Primararzt Erwin Horst Pilgram offen über die ethische Auseinandersetzung zwischen Autonomie und Fürsorgepflicht. Wie er selbst sagt, „Liebe kann nicht falsch sein“.
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Transkript der Podiumdiskussion:
(Untertitel orientieren sich an der Live-Dolmetschung vor Ort.)
[Lukas Huber]: Nachdem der Film im Kino damals vorbei war, wir haben den Kinofilm gemeinsam in Wiener Neustadt angeschaut. Am nächsten Tag habe ich mit Maria gesprochen und Maria wollte unbedingt noch mal mit mir telefonieren. Und wir haben dann per Video gesprochen und sie hat mir ganz, ganz, ganz viel erzählt. Und da ist mir echt die Luft weggeblieben von all deinen Erlebnissen, dass du selber so betroffen warst wie jetzt die Elfi, die die Schauspielerin in dem Film dargestellt hat. Du hast auch ganz viel von deinen zwei Kindern erzählt. Was ist da passiert? Magst du es erzählen?
[Maria Donev]: Also meine Mutter hat mich damals sozusagen erpresst. Ich musste abtreiben. Ich wollte aber meine erste und zweite Schwangerschaft nicht abtreiben. Und meine Mutter hat mich erpresst. Also ich war eigentlich schon im vierten Monat schwanger und meine Mutter dann den Arzt bestochen und ihm viel Geld bezahlt, obwohl eine Abtreibung im vierten Monat eigentlich gar nicht mehr durchgeführt werden durfte. Meine Mutter hat das verlangt. Sie war ganz ganz vehement dahinter, dann hat der Arzt im Spital, aufgrund der Bestechung, aufgrund des Geldes von meiner Mutter, die Abtreibung durchgeführt. Da war ich sehr, sehr traurig darüber.
Ein paar Jahre später habe ich auch noch mal Gewalt erfahren und bin noch mal vergewaltigt worden und war noch mal schwanger und musste auch noch mal abtreiben. Und als ich dann geheiratet habe, bin ich Gott sei Dank noch mal ein paar Mal schwanger geworden. Wir zwei wollten unbedingt Kinder haben, mein Mann und ich, und meine Mutter hat damals sich wieder eingemischt. Ich muss wieder abtreiben, ich muss abtreiben und nein, wir haben uns damals aber gemeinsam sehr stark dagegen aufgelehnt. Dadurch konnte ich das Kind noch behalten. Meine Mutter hatte Angst, dass das Kind auch gehörlos zur Welt kommt, und ich habe gesagt: “Es ist egal, ich will es aber trotzdem behalten, völlig egal.”
Mein Mann hat damals dann meine Mutter rausgeschmissen und hat ihr ein Betretungsverbot ausgesprochen, dass sie nicht mehr unsere Wohnung betreten darf. Dann ist meine Tochter zur Welt gekommen. Sie war ganz gesund. Beim Hören ein gesundes Mädchen, alles in Ordnung, und meine Mutter hat das nicht geglaubt. Ich kann mich erinnern, ich habe das Baby damals gehalten und meine Mutter ist da daneben gestanden. Und meine Mutter hat dann absichtlich ganz viele Geräusche gemacht, um zu sehen, ob das Kind wirklich hören kann, ob das Kind sich wirklich bei den Geräuschen umdrehen würde. Sie hat hinten immer wieder applaudiert oder geschaut, ob das Kind wirklich reagiert. Das war ihr ja ganz, ganz wichtig. Und dann war meine Mutter sprachlos, dass das Kind hören kann. Ja, das kann ja hören. Sie war auch ganz erstaunt, dass das Kind voll gesund war.
Und ein paar Jahre später war ich mit meiner zweiten Tochter schwanger. Die ist auch völlig gesund zur Welt gekommen, und ich hatte die gleiche Diskussion wieder. Meine Mutter hat das wieder nicht geglaubt. Sie hat gesagt: “Das Kind wird sicher wieder behindert zur Welt kommen.” “Vielleicht ist das wieder gehörlos.” Meine zwei Töchter sind aber ganz normal aufgewachsen. Es war alles gut. Als sie so zwei und fünf Jahre alt waren, habe ich einmal die Oma gefragt, ob sie auf die Kinder aufpassen kann, weil ich wollte mit meinem Mann zu einem Fußballspiel gehen und habe sie kurz bei der Oma lassen.
Die zwei Töchter haben aber damals gesagt, die waren so circa fünf und zwei Jahre alt, als wir sie abgeholt haben, sie wollen nie wieder zur Oma. Und ich hab dann gesagt: “Wieso, was war los?” Und beide Kinder haben dann wieder von Gewalterfahrungen von der Oma erzählt, dass die Oma wieder so viel mit ihnen geschimpft hat und sie geschlagen hat. Jetzt sind sie Gottseidank erwachsen und jetzt haben wir einfach den Kontakt mit ihr abgebrochen.
[Erwin Horst Pilgram]: Ich sage es jetzt einmal sehr überspitzt und ich bitte das jetzt richtig zu verstehen. In der Ärzteschaft wird es immer Josef Mengeles geben (Anm. NS-Arzt und Kriegsverbrecher). Ich sage es jetzt einmal sehr überspitzt, weil diese Person auch ein Vertreter meiner Berufsgruppe war. Und sie werden immer wen finden, der, wie Sie gesagt haben, der das dann macht, wenn man ihm genug Geld gibt. Und es gibt ja einen Grundsatz in der Medizin. Im Lateinischen heißt es “Salus aegroti suprema lex”: Das Wohl des Patienten ist das höchste Gut.
Und wenn Sie anschauen, die Gesellschaft entwickelt sich, auch im Gesundheitswesen, eher wohl unter sehr grottig. Jetzt heißt es: “Der Wunsch des Patienten ist das höchste Gut.” Und das ist falsch. Wir sind kein Dienstleistungsunternehmer. Und bei uns in Österreich sagt der Paragraph 110 sehr eindeutig, man muss eine medizinische Maßnahme setzen, wenn dieses medizinisch indiziert (Anm. verlangt) ist. Und zweitens, wenn der Patient zustimmt. Und wenn einer dieser beiden Punkte nicht gegeben ist, ist es ein Strafrechtsbestand.
Leider Gottes fragen viele Ärzte: “Bitte, was hätten Sie gerne?” “Ich mache es.” Und sie finden immer wieder wen, der das macht. Ich gehe jetzt gar nicht in das Thema der Plastischen-Chirurgie hinein. Was dieses Thema Schwangerschaft, Kinder, Kinderwunsch anbelangt, ich habe was vorher gehört, es wurde bei der Geburt gesagt: “Meine Kinder sind normal.” Das irritiert mich. Was heißt normal?
Also wenn ich jetzt hier die Mitbürger und Mitbürgerinnen sehe, die nichts hören oder nicht so gut hören, wie ich glaube selbst zu hören, ich bewundere diese Gruppe von Mitbürgern, die eine Sprache sprechen, der ich nicht mächtig bin. Und da fühle ich mich behindert. Und das finde ich faszinierend. Also was ist die Norm? Und wenn ich dann zurückgehe jetzt auf den Film und dann bin ich schon fertig. Liebe kann nicht falsch sein.
Wir haben diese Spannung zwischen Autonomie und auch Fürsorgepflicht, aber auch Schadensvermeidung. Das sind Grundprinzipien der Medizinethik. Die Medizinethik ist keine besondere Ethik, sondern es ist eine Ethik in besonderen Situationen. Und dieses Fundament brauchen wir als Ärzte unbedingt, damit wir die Patienten auch als Personen erkennen und als Personen, die wir begleiten, betreuen und behandeln.
[Anita Lackenberger]: Vielen Dank, auch dem Kino, für diesen sehr schönen Abend, den sie uns gestaltet haben. Wir kommen am 3. April wieder mit “Gehörlos”.