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In die Hand Nehmen: Niccis Kampf gegen Polizeigewalt

Seit 2023 kämpft Nicci juristisch gegen die Behörden. Zuerst wurde sie auf offener Straße von einem Polizisten rechtswidrig festgehalten. Sie gewinnt ihre Klage, und das Gericht spricht ihr eine Entschädigung zu – in Höhe von nur 4,17 Euro. Wir haben mit Nicci und ihrem Anwalt, Gregor Klammer, über diesen außergewöhnlichen Fall gesprochen.

 

Link: 

Verein FAIR AUSTRIA

*Alternativlink zum Video: YouTube

 

Transkript:

[GW.tv]: Hallo, Nicci!
[Nicci]: Hallo.
[GW.tv]: Du hast ja wirklich eine harte Zeit mit den Behörden hinter dir. Zuerst mit der Polizei, dann mit dem Gericht.Angefangen hat das ganze im Oktober 2023. Was ist da genau passiert? Kannst du uns das erzählen?

[Nicci]: Ich war mit dem Fahrrad am Weg zur Arbeit. Ich bin gerade am Ring entlang gefahren und vor mir mündete eine Nebengasse ein. Vor der Kreuzung habe ich links und rechts geschaut und da war alles frei. Also überquerte ich die Kreuzung. Dort stand ein Polizist, der mir Stopp zeigte und zu reden begann. Ich blieb stehen und stieg vom Rad ab. Ich zeigte ihm, dass ich gehörlos bin und wir schriftlich mit dem Handy kommunizieren müssen. Er redete weiter auf mich los. Ich wiederholte, dass ich gehörlos bin und zeigte auf das Handy. Der Polizist verdrehte die Augen. Und machte nur so mit seinen Händen:

[GW.tv]: Das hat er gebärdet?

[Nicci]: Ja, genau. Das war, was er gesagt hat. Okay. Ich hatte vermutet, er meint, ich solle etwas aufschreiben. Aber das war nicht der Fall. Nachdem er das gezeigt hatte, nahm er Handschellen heraus. Ich schaute ihn entrüstet an. Ich zeigte nochmal auf das Handy, dass er mir aufschreiben soll, was gemeint ist. Er schrieb dann auch auf, was er sagen wollte. Aber da stand nur ein Wort: Dokumente. Ich schrieb daraufhin: Warum werden meine Dokumente verlangt? Ich weiß ja, wenn man zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs ist, muss man keinen Ausweis mithaben. Das ist in Österreich keine Pflicht! Wenn ich von der Polizei angehalten werde, darf ich nachfragen, wieso sie einen Ausweis verlangen. Die Polizei muss dann einen Grund nennen, warum sie einen Ausweis sehen möchten. Deshalb habe ich gefragt, warum ein Ausweis verlangt wird. Der Polizist hat weiterhin mit den Fingern gezeigt, dass er einen Ausweis sehen möchte und schon die Handschellen bereitgehalten. Ich habe nochmal auf das Handy gezeigt, also auf meine Frage, warum das verlangt wird. Darauf ist er nicht eingegangen. Dann habe ich am Handy geschrieben: Ich muss keinen Ausweis zeigen, wenn es keine Begründung gibt. Der Polizist antwortete schriftlich, dass ich ihn auf das Polizeirevier begleiten muss. Ich war erstaunt. Wir würden also zusammen zur Station gehen. Der Polizist war auch auf dem Fahrrad unterwegs. Vor uns war eine große Kreuzung, die auch von Autos befahren ist. Da gingen wir drüber. Ich wollte dann meinen Rucksack wieder auf den Rücken geben. Ich habe nur meine Hand gehoben und er packte mich am Arm. Es ging sehr schnell und plötzlich hatte ich Handschellen angelegt. Ich habe mich gewehrt und geschrien. Ein Fußgänger ging vorbei und kam dem Polizist zu Hilfe. Sie haben mich dann also zu zweit festgehalten. Dann bin ich gesessen. Dann fragte der Polizist wieder schriftlich: Wo ist der Ausweis? Meine Hände waren ja wegen den Handschellen hinten zusammen. Ich konnte also nicht kommunizieren. Weder am Handy schreiben noch gebärden war möglich. Ich schüttelte nur den Kopf. Er zeigte mir seine Frage nochmal. Ich schüttelte wieder den Kopf, denn wie hätte ich denn kommunizieren sollen. Ja, so war das. Er gestikulierte dann, ob mein Ausweis im Rucksack sei. Zu diesem Zeitpunkt hatten sie aber schon begonnen, meinen Rucksack zu durchsuchen. Mir war aber klar, dass er den Ausweis nicht finden würde. Er hat dann nochmal gefragt, ob er hinten ist. Ich habe den Kopf geschüttelt. Dann hat er auf meine Jacke gezeigt. Ich habe genickt. Er hat meine Geldtasche herausgeholt und meinen Behindertenausweis gefunden. Den hat er sich angesehen und was auch immer mit den Daten gemacht. Er hat da auch ins Funkgerät gesprochen. Ich habe aber nichts mitbekommen, außer, dass er da neben mir seine Kreise zieht. Der Fußgänger ist zu diesem Zeitpunkt wieder gegangen. Dann kam der Polizist wieder zu mir. Nein, Moment. Ja, genau. Er hatte auf dem Handy meine Daten verschriftlicht und zeigte sie mir. Ich habe die Daten mit einem Nicken bestätigt. Dann kamen zwei Autos mit Blaulicht und stellten sich vor uns. Insgesamt stiegen vier Polizist:innen aus und kamen auf uns zu. Der Polizist, der mich festgehalten hatte, ging zu den anderen und sie unterhielten sich. Sie haben dann am Handy aufgeschrieben, dass sie mir die Handschellen wieder abnehmen und ich frei bin. Sie schrieben mir auch auf, dass ich eine Anzeige zugeschickt bekomme werde. Ich hatte keine Ahnung, was das für eine Anzeige sein würde. Dann wurden mir tatsächlich die Handschellen wieder abgenommen. Ich bin dann nochmal mit dem Handy auf eine Polizistin zugegangen. Ich schrieb auf, dass ich mit den Händen am Rücken festgehalten wurde. Ich schilderte, dass ich so nicht kommunizieren konnte und fragte, wie ich denn hätte antworten sollen. Sie hat kurz auf meine Nachricht geschaut und mich dann ignoriert. Ja, dann bin ich auf mein Fahrrad gestiegen und zur Arbeit gefahren. Ich musste den ganzen Weg über weinen. So ein Verhalten ist unmöglich!

[GW.tv]: Puh, ja das war sicher nicht einfach. Man ist auch in einem Schockzustand. Das war für dich bestimmt auch traumatisierend!

[Nicci]: Ja. Traumatisierend, das bleibt im Kopf.

[GW.tv]: Wie ging es dir denn nachdem das passiert ist?

[Nicci]: Direkt danach war ich geschockt, gestresst und habe geweint. Ich habe aber auch sofort überlegt, wie ich mich da zur Wehr setzen kann. Mir war ja klar, dass man sich so nicht verhalten darf! Jemandem nur wegen fehlender Kommunikation Handschellen anzulegen, ist einfach nicht okay. Ich habe sofort online nach einem Anwalt gesucht. Ich wollte jemanden, der Erfahrung mit so einer Situation hat, wo man einfach festgenommen wird. Dann habe ich es auch gleich dem ÖGLB geschickt. Ich habe die Situation auch für mich sofort niedergeschrieben und dokumentiert. Mir war wichtig, dass ich alles aufschreibe und nichts vergesse. Auch an die Behindertenanwaltschaft habe ich es geschickt. Die meinten, dass sie mir leider nicht helfen können. Nur bei Gerichtsangelegenheiten. Beim ÖGLB wurde mir Hilfe zugesagt, aber wie konkret wusste ich nicht. Vom Anwalt habe ich die Antwort bekommen, dass wir unbedingt sofort handeln müssen. Da war ich sehr erleichtert. Das Gute war, dass wir per WhatsApp kommunizieren konnten. Das heißt, wir haben nicht telefoniert. Für den Anwalt war das ganz klar, dass wir schriftlich kommunizieren. Wir haben schnell hin- und hergeschrieben, der Anwalt hat mich auch alles nochmal gefragt, damit alles wirklich ganz klar ist. Für mich war auch die Frage nach der Bezahlung des Anwalts offen. Ich hatte nämlich keine Rechtsschutzversicherung. Ich dachte mir, okay, ich muss einmal tiefer in die Tasche greifen und den Anwalt selbst bezahlen. Wenn wir gewinnen, dann würde ich das Geld zurückbekommen. Deswegen war das für mich in Ordnung. Der Anwalt hat eine Maßnahmenbeschwerde verfasst. Ja, so war das. Genau, und dann bekam ich eine Vorladung vom Gericht.

[GW.tv]: Du hast mit dem Anwalt besprochen, dass ihr eine Anklage erhebt. War das leicht für dich oder hattest du Zweifel an der Klage?

[Nicci]: Für mich war das ganz klar, dass ich klagen will. Ich wusste, dass dieses Verhalten nicht okay war. Wie das Ergebnis sein würde, wusste ich nicht. Ob das Gericht auch meine Perspektive verstehen wird, das wusste ich nicht. Das hat mir Sorgen gemacht. Aber die Klage war für mich ganz klar.

[Gregor Klammer]: Also, der ganze Prozess war natürlich ungewöhnlich. Solche Maßnahmen-Beschwerden kommen doch recht selten vor. Nur die wenigsten Leute trauen sich ja wirklich, gegen die Polizei vorzugehen. Und ungewöhnlich ist natürlich zu allem, Erst mal, dass sie wirklich so einen Mut hatte, den Prozess überhaupt zu führen. Die wenigsten trauen sich das überhaupt. Aber auch vor Gericht wurde das dann sehr, sehr emotional geführt, sowohl von der Polizei als auch natürlich von Seiten des Opfers.

[GW.tv]: Okay, das war also ganz klar, dass ihr die Klage einbringt. Okay. Du hast gesagt, du wusstest nicht, wie das Gericht entscheiden würde. Es gab die Situation, wo der Polizist dazu gekommen ist. Ein Vorfall muss immer aus beiden Perspektiven erzählt werden. Der Polizist hat die Situation ganz anders geschildert als du. Kannst du dich noch erinnern, was er genau gesagt hat?

[Nicci]:Ja. Die erste Aussage des Polizisten war so: Er hat in meinem Rucksack den Ausweis gefunden. Das war der erste Punkt, aber das stimmt nicht. Der zweite Punkt war, dass er der Meinung war, dass ich mit auf das Polizeirevier gehen wollte. Das war aber nur ausgedacht. Ich verstehe nicht, warum ich das gewollt haben soll. Ich war schließlich am Weg zur Arbeit. Das war einfach komisch. Und der dritte Punkt war auch unfassbar. Er sagte, dass ich probierte zu flüchten. Deswegen hat er mir Handschellen angelegt. Aber es war eigentlich so, dass ich nur einen Schritt zurückgetreten bin und meinen Arm für einen kurzen Moment gehoben habe. In dem Moment hat er mir die Handschellen angelegt. Für ihn war das scheinbar genug Grund zu denken, dass ich flüchten wollte. Bei einem Fluchtversuch darf die Polizei Handschellen anlegen.

Ich habe gesehen, dass der Polizist groß, sportlich und stattlich gebaut war. Ich bin eine Frau, bin klein und fahre ein E-Bike. Das bedeutet, ich bin auch nicht so sportlich und fit. So hätte ich versuchen sollen zu flüchten? Außerdem stand das Fahrrad ein Stück entfernt von mir. Wie hätte ich da flüchten können? Ich wusste selbst, dass eine Flucht sinnlos gewesen wäre. Das wäre umsonst gewesen. Ich habe das Gefühl, dass der Polizist einfach seine Macht ausspielen wollte. Er hat gesehen, dass ich gehörlos bin, eine Frau und klein. Da konnte er seine Macht ausspielen.

[GW.tv]: Du hattest also das Gefühl, dass er nur zeigen wollte, dass er mehr Macht hat. Was war deine Reaktion auf seine Erzählungen? Wie hast du das wahrgenommen?

[Nicci]: Ich habe keine Reaktion gezeigt, weil der Richter neutral sein muss. Er muss sich meine Geschichte und die Schilderung des Polizisten anhören. Aber mir ist schon aufgefallen, dass der Polizist gewisse Probleme hatte. Er hat gesagt, dass er sich nicht erinnern kann und nicht genau weiß, wie es war. Der Richter wollte auch, dass die Situation nochmal mit einer Schauspielerin nachgestellt wird. Da war der Polizist sehr unsicher und wollte sich davor drücken. Er hat gesagt, dass er die Situation nicht nachstellen kann. In diesem Moment habe ich gesehen, dass ich einen Vorteil habe, weil meine Erzählung ganz klar war. Ich konnte mich genau daran erinnern, was passiert war und konnte es Schritt für Schritt wiedergeben. Beim Polizisten hingegen war das alles sehr schwammig.

[GW.tv]: So ist das am Gericht gelaufen. Am Ende hast du den Prozess gewonnen. Du hast auch Schmerzensgeld gefordert. Wie viel hast du gefordert und wie viel hast du dann tatsächlich bekommen?

[Nicci]: Die Schmerzensgeld-Forderung hat der Anwalt übernommen. Zuerst habe ich die Anwaltskosten wieder zurückbekommen. Erst dann hat mein Anwalt gesagt, dass wir weiterkämpfen können für das Schmerzensgeld. Dazu habe ich ein Formular bekommen. Das sollte ich ausfüllen. Zum Beispiel, ob ich ins Krankenhaus musste wegen den Handschellen. Oder weil ich Schmerzen hatte und zwei Nächte nicht schlafen konnte. Und auch, weil ich zum Psychologen gehen musste. Da musste ich drei Wochen lang regelmäßig hin, um den Vorfall zu verarbeiten. Das musste ich alles aufschreiben und dem Anwalt geben. Insgesamt hat der Anwalt 4.500 Euro verlangt. Ich musste lange warten, bis eine Antwort kam. Vor kurzem, im Dezember, habe ich den Bescheid bekommen. Mir wurde Schmerzensgeld in der Höhe von 4,17 Euro zugesagt.

[GW.tv]: Wow, das ist arg. Von der geforderten Summe hast du nur 4,17 Euro bekommen. So wenig!

[GW.tv]: Ihre Mandantin hat dann den Prozess tatsächlich gewonnen und am Ende ist ein Schadenersatz von nur 4,17 € rausgekommen. Ist das eine gewöhnliche Summe?

[Gregor Klammer]: Nein, das ist wirklich eine ganz ungewöhnliche Summe und ist auch so noch nie vorgekommen. Also wir haben sicher schon 100 Fälle gehabt, wo Leute unrechtmäßig inhaftiert worden sind oder festgenommen worden sind oder sonst irgendeine Freiheitsbeschränkung stattgefunden hat. Grundsätzlich wurde noch nie weniger als 100 € persönlicher Schadenersatz zugesprochen, und zwar schon außerhalb des Gerichtsverfahrens. Vor Gericht kann man natürlich noch mehr verlangen, je nachdem. Da wird dann der Einzelfall genau angeschaut. Aber grundsätzlich das BMI, also das Bundesministerium für Inneres, bietet immer 100 € pro Tag an. Und das ist wirklich jetzt eine Summe von 4,17 €, was ich überhaupt nicht nachvollziehen kann.

[GW.tv]: Wie geht es jetzt weiter?

[Nicci]: Ich möchte jetzt damit mehr an die Öffentlichkeit gehen, an die Presse und die Medien. Das möchte ich versuchen. Dann hoffe ich, dass der Staat vielleicht sieht, dass da einiges schiefgelaufen ist. Interessant ist die Antwort des Staates, warum ich nur 4,17 Euro Schmerzensgeld bekommen habe. Ich hatte die Handschellen ungefähr 5-10 Minuten lang angelegt. Dafür wurde eine Stunde gerechnet. Mir wurde sozusagen eine Stunde „Zeitaufwand“ bezahlt, das sind eben diese 4,17 Euro. Aber für eine Stunde ist das ein lächerlicher Beitrag.

Interessant, wie das begründet wurde. Ein anderer Grund, warum ich nicht mehr Schmerzensgeld bekommen habe, ist, dass ich keine körperlichen Verletzungen hatte. Deswegen ist es unmöglich, dass ich für die psychische Belastung Geld bekomme. Okay?! Der Staat hat da einfach keine Ahnung, wie ich mich gefühlt habe.

[GW.tv]: Ja klar, für dich als gehörlose Frau war das sicher sehr frustrierend, auch, dass die Kommunikation überhaupt nicht geklappt hat. Das kann ich gut verstehen, dass so eine Situation sehr frustrierend ist.

[Gregor Klammer]: Ja, genau. Na ja, also die Frage, ob es Diskriminierung ist… Es ist sozusagen ein großes Wort, das Verschiedenes ausdrückt. Es ist ja gerade eben, weil der Polizist wegen dieser sozusagen Schwelle, die zu überwinden gewesen wäre, um eine sinnvolle Kommunikation führen zu können, gerade deswegen ist der Polizist ja so eskaliert und deswegen ist es ja überhaupt erst dazu gekommen. Das kann man durchaus als Diskriminierung bezeichnen. Dass man jetzt zum Beispiel 4,17 € zugesprochen hätte, weil es sich um eine gehörlose Person handelt? Das glaube ich nicht.

[GW.tv]: Wie geht es jetzt weiter für Ihre Mandantin? Erhebt sie Einspruch? Könnte man mehr Geld verlangen?

[Gregor Klammer]: Na ja, glücklicherweise ist es so, dass hier der Verein „Fair Austria“ gesagt hat, dass sie alles finanzieren und auch die Finanzierung der weiteren Prozesse übernehmen. Normalerweise ist das für eine Durchschnittsperson völlig unmöglich. Jetzt gegen den Staat vor dem Landesgericht zu kämpfen und eine höhere Entschädigung einzufordern und einzuklagen. Aber eben durch die Möglichkeit, dass jetzt hier ein Verein eingesprungen ist und sagt: „Okay, wir führen jetzt diesen Prozess,“ besteht jetzt natürlich die Möglichkeit für das Opfer, dass wir einen höheren Schadensbetrag fordern. Und das werden wir auf jeden Fall machen. Wir sind ja jetzt auch schon beauftragt worden von dem Verein Fair Austria, dass wir einen höheren Schadensbetrag einfordern. Wir überlegen jetzt noch genau, wie viel wir einfordern sollen. Also man könnte hier bis über 4.000 € einfordern, wenn man das mit den Schmerzensgeldtabellen vergleicht, die derzeit beim Oberlandesgericht Wien gelten.

[GW.tv]: Gibt es etwas, das du noch erzählen möchtest? Möchtest du noch etwas ergänzen?

[Nicci]: Ja, schon. In der Anzeige stand, dass ich eine rote Ampel übersehen habe und weitergefahren bin. Deswegen musste ich eine Strafe von 140 Euro bezahlen. Ich habe die Strafe gleich bezahlt, weil es stimmt. Aber trotzdem darf das nicht so ablaufen. Das darf nicht passieren. Die Polizist:innen müssen mehr sensibilisiert werden auf den Umgang mit gehörlosen Menschen. Sie müssen lernen, wie sie schriftlich kommunizieren können und dass gehörlose Menschen nicht dumm sind.

[GW.tv]: Das ist klar. Wenn man zumindest schriftlich kommunizieren kann, dann wird so etwas Schlimmes nicht passieren.

[Nicci]: Genau.

[GW.tv]: Die Polizist:innen sollen nicht nur ihre Perspektive haben, sondern sich auch in die gehörlosen Menschen hineinversetzen. Für den richtigen Umgang ist wirklich eine Sensibilisierung nötig.

[Nicci]: Auf jeden Fall.

[GW.tv]: Du warst sehr mutig, deine Erlebnisse so offen zu erzählen. Wie geht es dir jetzt damit, wenn du das alles nochmal erzählst?

[Nicci]: Ja. Dieser Vorfall liegt jetzt schon über ein Jahr zurück. In der Zeitung “Heute” wurde auch schon darüber berichtet. Auch in anderen Nachrichten wurde das gezeigt. Mein Name und mein Alter wurden geändert. Mein Gesicht wurde verpixelt gezeigt. Ich wollte damals nicht, dass mein Gesicht zu sehen ist, weil die Gerichtsverhandlungen gelaufen sind. Auch der Anwalt war da noch dabei, dafür zu kämpfen, dass ich den Prozess gewinne. Da habe ich ein bisschen Schutz gebraucht.

Aber jetzt habe ich erfahren, dass ich nur so wenig Schmerzensgeld bekomme. Das heißt für mich, dass ich weiterkämpfen muss. Deswegen habe ich mich jetzt auch dazu entschieden, mein Gesicht und meinen echten Namen zu zeigen. Ich hoffe, dass sich diese Geschichte jetzt mehr verbreitet und wir mehr erreichen können. Ich hoffe auch, dass es dazu beiträgt, dass viele Leute bemerken, dass das Verhalten in dem Fall nicht okay war.

[GW.tv]: Eine letzte Frage habe ich noch an dich: Hast du Tipps für gehörlose Menschen, wenn sie in Situationen auch mal ungerecht behandelt werden? Kannst du da ein paar Tipps geben?

[Nicci]: Oft ist es schwierig, mit so einer Situation richtig umzugehen. Man reagiert da unterschiedlich. Meine Reaktion war eine Abwehrhaltung. Ich habe gleich die Handschellen gesehen, da hatte ich sofort eine Abwehrhaltung. Normalerweise sollte man zusammenarbeiten, freundlich miteinander umgehen und besprechen. Das war in meiner Situation aber nicht der Fall. Trotzdem wäre mein Tipp, zu versuchen, freundlich und entgegenkommend zu bleiben. Ich habe es anfänglich auch versucht, habe auf meinem Handy etwas geschrieben und dem Polizisten gezeigt. Damit zeige ich, dass ich auch auf Deutsch schreiben kann. Dann kann ich nur hoffen, dass ein anderer Polizist besser mit der Situation umgeht. Aber trotz allem ist wichtig, freundlich zu bleiben.Ich bin in der Situation ruhig geblieben. Das ist auch ein Grund dafür, dass ich den Prozess gewonnen habe. Immer ruhig und freundlich bleiben, egal wie sich das Gegenüber verhält. Das ist ein sehr wichtiger Punkt.

[GW.tv]: Danke, dass du uns von deinem Erlebnis erzählt hast und dass du so mutig warst, alles zu schildern. Das war bestimmt nicht einfach.

[Nicci]: Ich hoffe, dass das zumindest etwas bewirkt.

[GW.tv]: Danke!

[Nicci]: Danke für die Einladung!

[GW.tv]: Tschüss!

[Nicci]: Tschüss!

Foto/Video Credits: Gebärdenwelt.tv
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