Die gehörlose Schauspielerin Mariya Menner ist nicht nur in Österreich bekannt. Heuer war sie bei dem Berlinale-Filmfestival in „Wenn du Angst hast nimmst du dein Herz in den Mund und lächelst“ zu sehen. Sie war bei uns im Studio zu Gast.
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Transkript:
[GW.tv]: Hallo! Herzlich willkommen zur heutigen Ausgabe. Wir unterhalten uns mit einer Schauspielerin. Sie sitzt bereits hier neben mir. Möchtest du dich gleich selber vorstellen?
[Mariya Menner]: Ja, gerne. Hallo, mein Name ist Mariya Menner [Gebärdenname]. So ist mein Gebärdenname. Ja genau, ich bin Schauspielerin.
[GW.tv]: Bei welchem Film hast du mitgespielt? Wie hat der geheißen?
[Menner]: Der deutsche Titel ist ziemlich lang: Wenn du Angst hast … So würde ich das in ÖGS machen: „Wenn du Angst hast, nimmst du dein Herz in den Mund und lächelst.“
[GW.tv]: Um was geht es in dem Film genau? Kannst du uns kurz darüber erzählen?
[Menner]: In dem Film geht es hauptsächlich um soziale Themen. Es handelt sich um mich als Mutter und meine Tochter. Meine Tochter ist ein Coda. Sie befindet sich gerade mitten in der Pubertät.
Sie lehnt in dieser Zeit die Gebärdensprache und ihre gehörlose Mutter ab. Dann kommt sie in eine neue Schule, ein Gymnasium. Dort erwartet sie eine ganz andere Welt. Oft sind die Mitschüler:innen aus sehr wohlhabenden Familien. Wir waren aber alles andere als eine reiche Familie. Die Tochter reagiert dann sehr sauer auf diese Gesamtsituation. Die Beziehung ist geprägt von Unverständnis. Sie denkt sich dann: Scheiß auf die Lehrer und auf alles andere auch.
[GW.tv]: Sehr spannendes Thema. Gehen wir aber mal etwas weiter zurück – in deine Zeit vor dem Film. Hast du immer schon davon geträumt, als Schauspielerin tätig zu sein? Und jetzt, wo du es bist, wie ist es dazu gekommen?
[Menner]: Früher, als ich aufgewachsen bin, habe ich immer sehr viel fern gesehen. Da habe ich mir schon vorgestellt, dass ich gerne Schauspielerin wäre. Das war aber nicht möglich, weil gehörlose Schauspieler:innen früher kaum gezeigt wurden. Die Vorstellung von meinem Traumberuf ist geblieben, aber irgendwann fand ich mich damit ab. Die Zeit verging. Bis ich dann plötzlich eine Nachricht bekam.
Darin stand, dass eine gehörlose Mutter gesucht wird. Mein Umfeld meinte, ich solle es versuchen. Ich war zwar skeptisch, aber dachte mir, ich schicke einfach mal eine Bewerbung. Dann ging es Schlag auf Schlag.
[GW.tv]: Das war also der Einstieg?
[Menner]: Ja, genau.
[GW.tv]: Als du dort angefangen hast, wie war der Umgang im Team? Wie habt ihr alle miteinander kommuniziert?
[Menner]: Als ich zum Team kam, waren alle hörend. Niemand hatte Ahnung im Umgang mit gehörlosen Personen. Ich habe ihnen dann erklärt, dass es Gebärdensprachdolmetscher gibt. Ich habe auch erklärt, dass es dafür auch ein Budget benötigt, damit diese finanziert werden. Ich klärte auch auf, dass die Dolmetscher:innen durchgehend dabei sein müssen. Ab da verlief alles reibungslos. Es wurde wirklich immer für Dolmetscher:innen gesorgt. Es ist auch nie jemand ausgefallen oder hat abgesagt. Wenn ich an das Team denke […] Ich vermisse es bis heute.
[GW.tv]: Das ist super, klingt doch perfekt, oder?
[Menner]: Wenn sich jemand mit mir unterhalten wollte, wurde sofort ein:e Dolmetscher:in herbei gewunken. So war die Kommunikation sichergestellt. Das wurde zu einer Selbstverständlichkeit bei uns. Vor jedem Gespräch mit mir wurde sofort ein:e Dolmetscher:in beigezogen. Ich konnte es fast nicht glauben.
[GW.tv]: Wahnsinn, du hast also sehr schöne Erfahrungen gemacht, wenn man zurückblickt. Wann starteten die Dreharbeiten ungefähr?
[Menner]: Das war letztes Jahr Anfang April bis Ende Mai.
[GW.tv]: Also fast zwei Monate?
[Menner]: Ja, allerdings nicht durchgehend. Meine Film-Tochter und ich hatten ja jeweils eine Hauptrolle. Bei ihr waren es mehr Drehtage, also etwa 33. Ich hatte 29 Drehtage. Ich bin sehr oft hin und her gefahren.
[GW.tv]: Wohin genau?
[Menner]: Ich bin in Tirol zu Hause.
[GW.tv]: Und wohin musstet ihr fahren?
[Menner]: Nach Wien.
[GW.tv]: Ach so, in Wien wurde gedreht.
[Menner]: Ja genau, die Aufnahmen haben durchgehend hier stattgefunden.
[GW.tv]: Ok, also hat sich hier alles abgespielt, die ganzen Aufnahmen usw.
[Menner]: Genau, in Wien wurde gefilmt.
[GW.tv]: Puh, das muss doch echt anstrengend gewesen sein, immer wieder hin und zurück zu fahren.
[Menner]: Montag und Dienstag habe ich als Schulassistentin gearbeitet. Gleich nach der Arbeit bin ich nach Wien los, um an dem Film weiterzuarbeiten. Danach wieder zurück zur anderen Arbeit. Und das ging die ganze Zeit so hin und her. Und am Monatsende bin ich sogar noch 9 Tage durchgehend bei den Aufnahmen gewesen.
[GW.tv]: Wahnsinn.
[Menner]: Es war wirklich eine schöne Zeit. Es war zwar herausfordernd, aber eine tolle Erfahrung.
[GW.tv]: Gab es bei den Dreharbeiten in Wien einen Ort, der dir besonders gefallen hat?
[Menner]: Ja, das Eisenbahnmuseum. Ich kann mich aber nicht so genau an den Namen erinnern. Das war beeindruckend! Dort waren alte Eisenbahnen aus der Zeit vor 100 Jahren ausgestellt. Diese Gelegenheit musste ich nutzen und mir alles genau ansehen. Die ganzen Details wie die Steuerung oder die Weichenstellanlage – sehr spannend! Ich muss ehrlich sagen, ich hatte da keinen so guten Tag. Das war aber schnell vergessen, weil ich von den Eisenbahnen so begeistert war.
[GW.tv]: Wow, beeindruckend! Auf Instagram habe ich auch gesehen, dass es eine Schwimmbadszene gab. Da habe ich das Amalienbad im 10. Bezirk erkannt, das ja schon ziemlich alt ist. Also wurden dort auch Filmaufnahmen gemacht? Wie wurde das umgesetzt? Wie liefen die Aufnahmen im Schwimmbad? Das ist ja schon etwas Besonderes. Kannst du uns von deinen Erfahrungen erzählen?
[Menner]: Die Drehs im Schwimmbad haben am frühen Morgen stattgefunden.Danach kamen ja die Badegäste. In der Früh, als es aufsperrte, haben wir gleich gefilmt. Das Wasser war richtig kalt.
[GW.tv]: Oh ja, ich kenne das dort.
[Menner]: Wir haben dann den ganzen Tag dort gefilmt. Es war ein Hin und Her zwischen Becken und Duschen.
[GW.tv]: Puh, mühsam.
[Menner]: Ich habe mir auch währenddessen das Schwimmbad angeschaut. Es ist schon sehr alt und wahnsinnig interessant zum Anschauen. Ich bin auch sehr dankbar, dass ich durch den Film bei einigen Sachen mit dabei sein durfte. Da gab es einiges in Wien zu sehen, das ich zuvor noch nicht kannte. Ich war wirklich begeistert. Es war einfach so schön.
[GW.tv]: Was war denn für dich beim Schauspielern besonders herausfordernd? Gab es da etwas sehr Anstrengendes?
[Menner]: Im Eisenbahnmuseum war es für mich wirklich wahnsinnig fordernd. Ich hatte einen sehr schlechten Tag und mir ging es ganz und gar nicht gut. Aber ich musste ja arbeiten.
Es war hart, aber ich war meinem Team so dankbar. Sie haben mich so sehr unterstützt. Ich habe immer wieder den Faden verloren. Mir ging es allgemein einfach nicht besonders gut. Dann kam auch noch der Eisenbahngeruch dazu. Mir war wirklich schlecht. Es dauerte fast bis Mitternacht, bis wir fertig waren. Wow, bis am Abend, so lange. Dann bin ich sofort nach Hause schlafen gegangen.
[GW.tv]: Dein Körper war bestimmt komplett erledigt.
[Menner]: Ja!
[GW.tv]: Im Film hast du ja die Rolle der Mutter einer jugendlichen Tochter gespielt. Also eben diese Mutter-Tochter-Beziehung. War es für dich einfach, diese Rolle zu verinnerlichen? Oder musstest du dich immer neu darauf einstellen?
[Menner]: Da war das Coaching wirklich sehr hilfreich. Wir haben das vorher immer besprochen, dass ich jetzt meine Rolle als Mariya ablege. Und ab diesem Zeitpunkt war ich dann Isolde [Gebärdenname].
Wir haben diesen Gebärdennamen für Isolde genommen, weil sie sich gerne in gelber Farbe kleidet. Ich selbst mag es nicht wirklich. Aber trotzdem musste ich das gelbe Gewand akzeptieren. Genau so wie Mariya [Gebärdenname] bezieht sich Isolde auf meine Locken. Also der Gebärdenname kommt von den Locken.
[GW.tv]: Aso, ok.
[Menner]: Ich habe mit einer gehörlosen Person gemeinsam überlegt, welchen Namen wir verwenden. Dann sind wir bei diesem Gebärdennamen für Isolde geblieben. Ja, und bezüglich dem Rollenwechsel, da wurde ich durch das Coaching sehr viel unterstützt. Also kann ich mich da immer sehr gut darauf einstellen.
[GW.tv]: Wie fühlt sich das für dich an, so eine Mutter-Tochter-Beziehung im Film zu spielen?
[Menner]: Das Casting hat da einen großen Teil dazu beigetragen. Als ich zum Casting kam, erwarteten mich dort die Leitung des Castings und die Regie. Es war aber auch ein junges Mädchen dabei. Als ich das Mädchen sah, fiel mir auf wie ähnlich sie meiner Tochter sieht. Sie war selbstbewusst, stark, auch mit so langen Haaren und eine ähnliche Figur. Fast genau wie meine Tochter. Wir haben dann beim Casting eine Szene geprobt und das hat auf Anhieb geklappt. In den Drehpausen haben wir uns immer hingesetzt und uns sehr gut unterhalten. Sie wollte gebärden lernen, also habe ich ihr Gebärden gezeigt und wir haben so viel miteinander geplaudert. Ob wir uns im Film unterhalten haben oder im realen Leben. Es war genau gleich. Es war wirklich super. Da hatte ich wahnsinniges Glück.
[GW.tv]: Das ist ja auch sehr wichtig für den Film, dass die Schauspieler gut harmonieren.
[Menner]: Ja genau.
[GW.tv]: Wie hat die Kommunikation mit der Regie funktioniert?
[Menner]: Ich habe die Regie beim Casting zum ersten Mal gesehen und noch gar nicht gewusst, dass sie es ist. Sie hat so jung ausgesehen. Ich hatte eine Regisseurin mittleren Alters erwartet, aber diese Person war so jung. So eine junge Regisseurin habe ich noch nie gesehen. Sie hat sich dann mit ihrem Gebärdennamen vorgestellt. Sie hieß Marie. Den Gebärdennamen hat sie aufgrund ihrer stark, empathischen Art bekommen.
Sie spricht sehr freundlich. Ich teilte ihr mit, dass ich Dolmetscher:innen zur Kommunikation benötige. Das war für sie eine Selbstverständlichkeit. Sie holte sofort eine:n Dolmetscher:in hinzu, wenn sie etwas mit mir besprechen wollte. Das war im gesamten Team so. Bis heute hat das immer sehr gut geklappt und wir haben uns auch super verstanden.
[GW.tv]: Wow.
[Menner]: Ja, das gibt es sehr selten.
[GW.tv]: Wow, ja das ist echt nicht einfach.
[Menner]: Im Film gibt es öfter Barrieren, die einem reibungslosen Ablauf im Weg stehen.
[GW.tv]: Wow! Wenn du jetzt an die Dreharbeiten denkst, was wird dir als schönste Erfahrung in Erinnerung bleiben?
[Menner]: Bis jetzt hatte ich in dieser Arbeit immer nur schöne Erinnerungen.Also insgesamt wird mir das Schauspiel als tolle Erinnerung im Gedächtnis bleiben. Das war wirklich meine beste und schönste Zeit. Alle Erinnerungen sind wirklich toll.
[GW.tv]: Aber warum?
[Menner]: Weil einfach alles sehr besonders für mich war.
[GW.tv]: Also wirklich alles?
[Menner]: Ja, das Team war einfach so warmherzig. Mit dem Team hat sich alles so familiär angefühlt.
[GW.tv]: Als der Film fertig aufgenommen wurde, wo wurde er zum ersten Mal veröffentlicht? In Berlin, oder?
[Menner]: Auf der Berlinale.
[GW.tv]: Ach ja, also in Berlin.
[Menner]: Ja, genau.
[GW.tv]: Wie war es dort?
[Menner]: Ich bin schon etwas vorher hingekommen und habe die Autos der Schauspieler kommen sehen. Es waren wirklich sehr bekannte Schauspieler.
[GW.tv]: Wer war da zum Beispiel dabei?
[Menner]: Puh, der Name war Robert. Der hat einen Vampir gespielt.
[GW.tv]: Ist der aus Deutschland?
[Menner]: Nein, aus Amerika.Robert weiß ich noch, aber der Familienname ist mir leider entfallen.
[GW.tv]: Ein Vampir, wer könnte das sein?
[Menner]: Da geht es um einen jungen Mann und eine junge Frau, die verliebt sind. Die Frau ist anfangs noch kein Vampir und später sind sie dann ein Paar.
[GW.tv]: Ah, ich kenne den Film, aber der Familienname des Schauspielers fällt mir nicht ein.
[Menner]: Ja, also seinen Vornamen Robert kenne ich, nur den Familiennamen weiß ich jetzt nicht. Irgendwas mit D …?! Tut mir leid, ich weiß es wirklich nicht.
[GW.tv]: Twilight meinst du?
[Menner]: Ja, genau den meinte ich.
[GW.tv]: Ach wie heißt er? Robert Pattinson, glaube ich.
[Menner]: Pattinson, genau. Robert Pattinson, genau, danke.
[GW.tv]: Den hast du also dort gesehen.
[Menner]: Ich fand sehr interessant, dass der sich ganz normal verhalten hat. Alle denken sich, Wahnsinn, so ein berühmter Schauspieler, eine unerreichbare Person. Und dann geht man hinein und sieht, es ist eigentlich eine ganz normale Person. Da wurde mir bewusst, dass alle Schauspieler eigentlich genauso normale Personen sind wie ich. Das sind ganz normale Menschen und nicht irgendwie abgehoben. Bei Royals oder Politiker:innen ist das vielleicht nochmal anders. Aber Schauspieler:innen sind genau wie wir alle. Auf der Berlinale waren so viele Menschen und dann erschien der Titel des Films auf der Leinwand. Da habe ich dann zum ersten Mal meinen Film gesehen, bei dem ich dabei war. Ich konnte es nicht glauben und musste fast weinen, ich war so geschockt, weil es so unglaublich war. Ich sah eine professionelle Schauspielerin in der Rolle von Isolde, nicht Mariya Menner. Ich habe mich selbst gesehen, wie ich hier mitgespielt habe, und habe Gänsehaut bekommen. Beeindruckend.
[GW.tv]: Wie ist es dann weitergegangen, nachdem der Film abgespielt wurde?
[Menner]: Draußen ist es dann normal weitergegangen, wir haben gefeiert und uns ausgetauscht. Danach war dann der Termin in Graz bei der Diagonale. Dort habe ich den Film dann zum zweiten Mal gesehen. Ich kann einfach nicht genug bekommen. Am liebsten würde ich mir den Film die ganze Zeit anschauen.
[GW.tv]: Wird er noch öfter ausgestrahlt?
[Menner]: Ich habe die Information bekommen, dass im Oktober oder November noch eine in Wien stattfinden soll. Also es sollte noch was kommen, aber Genaueres weiß ich nicht.
[GW.tv]: Schauen wir mal, wenn es mehr Informationen dazu gibt. Dann kann man sich das genauer anschauen und vorbeikommen und zusehen.
[Menner]: Ach ja, und am 24. April wird der Film nochmal in Graz ausgestrahlt. Das ist das Festival Intakt. Da habe ich eine Einladung bekommen. Sie wollen den Film und mich dabei haben. Dort kann man dann auch Fragen stellen.
[GW.tv]: Ah, das ist super. Jetzt hast du ja schon bei dem Film als Schauspielerin mitgespielt und dieses Kapitel beendet. Was planst du nun als Nächstes? Gibt es da schon ein neues Ziel?
[Menner]: Das ist noch komplett offen. Bisher habe ich auch noch keine Anfragen bekommen. Also mal sehen.
[GW.tv]: Eine abschließende Frage hätte ich noch. Du hast mir ja jetzt schon einiges sehr Interessantes erzählt. Wie es als Schauspielerin war und welche Erfahrungen du mitgenommen hast. Auch die schönen Erinnerungen, sowie die Anforderungen, immer wieder die Rollen zu wechseln. Dann hast du auch noch Robert Pattinson gesehen, was auch sehr aufregend war. Hast du vielleicht abschließend noch eine Botschaft für die Gehörlosen-Community?
[Menner]: Wenn du ein Ziel hast, egal ob im Schauspiel, im Beruf, wo auch immer – gib bitte nie auf! Niemals! Also schnappt euch eure Ziele. Genau.
[GW.tv]: Gut, dann vielen lieben Dank!
[Menner]: Gerne! Danke auch für die Einladung!
[Beide]: Sehr gerne! Tschüss!