In Lilys Auswahl wird viel diskutiert! Wir blicken gemeinsam auf unsere Lieblingsbeiträge von der Aktionswoche zurück.
Viel Diskussionspotenzial und ein paar Lichtblicke sind zu erkennen, wenn man ein Resümee aus Kunst- und Kulturangebote für gehörlose Personen zieht. Drei erfahrene Personen im Kunst- und Kulturbereich tauschen sich aus und zeigen Beispiele auf einem Spektrum von Rückstand bis Innovation.
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Dieser Beitrag ist der erste Teil von einer längeren Diskussion. Den zweiten Teil findest du unter diesem Link.
[Melina Velissaris]: Hallo, ich bin Melina [Gebärdenname]. Ich bin heute hier, um von meinen Erfahrungen als Besucherin verschiedener Kunst- und Kulturveranstaltungen zu berichten.
[Christoph Kopal]: Ich bin Christoph. Ich bin nebenberuflich als Filmproduzent tätig.
[Pam Eden]: Mein Name ist Pam. Mein Bereich ist das Theater. Dort war ich bereits als Dolmetschperformerin zu sehen. Auch als Schauspielerin werde ich zukünftig zu sehen sein. Weiters bin ich im Musikbereich aktiv. Auch da mache ich Dolmetschperformances.
[GW.tv]: Heute unterhalten wir uns über Kunst- und Kulturangebote. Dieses Thema behandeln wir im Rahmen der Aktionswoche. Wir haben heute drei Personen zu Gast. Sie vertreten ihre Rollen als Besucherin, Filmregisseur und Performerin im Theater. Mich interessiert jetzt, welche Kunst- und Kulturbereiche mögt ihr besonders gern?
[Christoph Kopal]: Ich begeistere mich für Filme und Kino. Das ist ja sehr vielfältig. Ich mag sowohl Kunst- als auch Experimentarfilme. Ich schau mich da gerne durch das Angebot durch. Es gibt auch Filme ohne Dialog. Die sind angenehm zu schauen. Allgemein mag ich Kurzfilme lieber. Die sind für mich sehr spannend. Mir ist auch wichtig, mich dann mit Freund:innen darüber auszutauschen. Wir diskutieren dann z.B., was die Aussage oder Botschaft des Films ist. Ja, also dieser Austausch ist wirklich immer sehr fein.
[Pam Eden]: Ja, zu mir: Ich kann mich auch für Filme und Kino begeistern. Da ist halt nur das Problem mit den Untertiteln. Wenn es welche gibt, bin ich eine begeisterte Besucherin. Ja, also ich mag Filme sehr. Auch Konzerte sind meine Leidenschaft! Wenn die so richtig stimmungsvoll sind, das ist schon toll! Und dann interessiere ich mich noch für den Bereich Theater. Naja, das heißt eigentlich, dass ich sehr viele Kunstbereiche mag.
[Melina Velissaris]: Schon seit ich klein war, bin ich Musical-Fan. Da ist einfach diese Kombination aus Theater und Musik so spannend! Der Nachteil dabei ist leider, dass es nicht wirklich barrierefrei ist. Ich bin also interessiert, aber gehe dann im Endeffekt nicht so oft. Sonst mag ich auch allgemein Theater sehr gerne. Ganz besonders, wenn es qualitätsvolle Stücke sind! Also auch Theater, wo Musik dabei ist, mag ich sehr gerne.
[GW.tv]: Wie nehmt ihr das Kunst- und Kulturangebot in Österreich wahr?
[Christoph Kopal]: Also für meinen Bereich kann ich sagen, dass es mehr Angebote als früher gibt. Z.B. werden für die Werbung immer wieder gehörlose Personen gesucht. Es ist jetzt kein Riesen-Fortschritt! Aber es tut sich zumindest etwas. Produzent:innen suchen vermehrt nach gehörlosen Personen oder Personen, die Gebärdensprache nutzen. Das wird ein bisschen mehr und es tut sich etwas.
[Melina Velissaris]: Wenn man sich jetzt das ganze Angebot in Österreich anschaut, nicht nur auf gehörlose Personen bezogen, dann gibt es da so viele Angebote! Gemeint sind z.B. Festivals, Veranstaltungen und vieles mehr. Mal ganz allgemein für die Gesamtbevölkerung gesehen – unabhängig davon, ob man eine Beeinträchtigung hat. Dann wird aber oft Barrierefreiheit nicht berücksichtigt. Ich meine jetzt Feste, Veranstaltung, etc., die bspw. im Rathaus oder von der Stadt Wien sind. Das ist ja das allgemeine Angebot. Aber ohne Untertitel oder Gebärdensprache, haben wir Gehörlose einfach kein Interesse zu kommen. Ja, das sind vielleicht Angebote, aber der Zugang fehlt. Wenn es dann ein Angebot mit Gebärdensprache gibt, kommen natürlich alle gerne.
[Pam Eden]: Heuer ist mir wirklich aufgefallen, dass es mehr Angebot für gehörlose Personen gab. Also z.B. Angebote mit ÖGS-Begleitung. Das waren wirklich viele Veranstaltung. Ich weiß gar nicht mehr alle. Das war heuer wirklich wie ein Rekordjahr.
[Christoph Kopal]: Aber gab es auch viele Besucher:innen?
[Pam Eden]: Das ist die nächste Frage. Das ist aber logisch. Es gab ja ewig keine barrierefreien Angebote. Man denkt sich dann automatisch, wofür gehe ich überhaupt hin. Das wandelt sich jetzt schön langsam. Das bedeutet wiederum, wenn ich beauftragt werde, frage ich mich, wo sind die gehörlosen Besucher:innen? Dann muss ich eigentlich Werbung für die Veranstaltung machen. Das ist eigentlich doppelte Arbeit! Andererseits ist es auch schön, zu zeigen, es gibt ein Angebot! Das braucht aber einfach Zeit, und wandelt sich nur langsam.
[Melina Velissaris]: Es gibt aber auch Leute, die vielleicht kein Interesse haben, eine bestimmte Veranstaltung zu besuchen. Man kann ja niemanden zwingen zu kommen. Das ist natürlich auch von den persönlichen Interessen abhängig. Wenn mich jetzt etwas gar nicht begeistert, muss ich dann trotzdem kommen nur weil es barrierefrei ist? Es soll ja auch nicht sein, dass man sich denkt: Ok, komme ich halt, wenn es das einzige mit ÖGS ist. Es gibt natürlich verschiedene Vorlieben und Interessen! Und dann kann ich aber nur nehmen, was es gerade gibt.
[Pam Eden]: Ja, da ist die Frage, warum es nur ein Angebot gibt. Schade um alle anderen Interessensbereiche.
[Christoph Kopal]: Naja, Österreich ist groß und gleichzeitig klein. Das heißt die vielen Leute haben natürlich auch unterschiedliche Interessen. Ich begeistere mich für den Bereich Film, andere Personen mögen vielleicht Theater oder Literatur lieber. Ich schau mir auch Malerei gerne an. Dann ist es blöd, wenn man sich für eines entscheiden muss. Und man muss danach entscheiden, wo es Angebote gibt. Oft ist es auch eine Frage dessen, wie die Angebote beworben werden. Auf Social Media ist es bei der Fülle an Inhalten oft schwierig, einen Überblick zu bewahren. Oft erzählen mir meine Freund
von Angeboten, z.B. von einem Theaterstück. Das ist dann aber immer viel zu knapp. Oft würde ich dann wirklich gerne hingehen, aber es ist einfach zu kurzfristig! Manchmal wär es vielleicht besser, wie in alten Zeiten, einfach Flyer zu verteilen. Auf Social Media ziehen die Inhalte manchmal einfach so an einem vorbei.
[Melina Velissaris]: Mir ist zu Ankündigungen über Social Media auch etwas aufgefallen. Es kommt ein bisschen darauf an, wie es gemacht wird. Wenn das so ein laienhafter Beitrag ist, haben viele einfach kein Interesse zu kommen. Wenn das aber ein richtig hochwertiger Beitrag ist, dann hat man natürlich sofort mehr Lust hinzugehen!
[GW.tv]: Ob jetzt im Theater oder im Kino mit Untertiteln, welches Angebot war für euch am besten umgesetzt? Wo hat es nicht so gut funktioniert?
[Christoph Kopal]: Wenn man ins Belvedere geht, kann man zwischen International Sign und ÖGS auswählen. Man schaut sich im Museum um und kann dabei die Infos per App in Gebärdensprache sehen.
[Pam Eden]: Also ich habe als Besucherin noch nichts Herausragendes erlebt. Hingegen bei Aufträgen, wo ich arbeite, schon. Wir haben z.B. ein Theater umgesetzt. Das war Nesterval. Dort folgen die Besucher:innen den Charakteren durch Räume. Da finde ich, war die Umsetzung schon ganz gut! Ich war dort dabei und war mitten ins Geschehen eingebunden. Ich bin sozusagen einem Charakter als Schatten gefolgt. Aber nur einer Person!
[Melina Velissaris]: Ja, das stimmt. Das waren ja viele Charaktere.
[Pam Eden]: Ja, das war leider bislang nur mal eine Person.
[Melina Velissaris]:Super wärs, wenn von den 20 Charakteren alle einen ÖGS-Schatten hätten! Dann könnte ich mir aussuchen, welcher Geschichte ich folgen möchte. Es ist also doch wieder nur ein kleiner Teil so umgesetzt worden. Also halt nur eine Person.
[Pam Eden]: Ja, stimmt. Es ist ein erster Schritt. Dass man nur eine Person wählen konnte, hat natürlich Nachteile. Klar! Das stimmt. Das hat auch für mich bedeutet, dass ich nicht in einer Rolle bleiben konnte. Ich musste bei Dialogen auch zwischen den Sprecher:innen wechseln. Das war schon mühsam. Immer wenn zwei Charaktere aufeinandertreffen, spielen die ja auch miteinander. Ja, hoffentlich tut sich da zukünftig noch etwas.
[Christoph Kopal]: Ah, ich möchte noch etwas zum Thema Kino hinzufügen. Was ich mag, man kann z.B. in Kulturkinos Filme schauen, wo Englisch gesprochen wird und deutsche Untertitel vorhanden sind. Aber niemals ist sowas bei den großen Kino-Ketten zu sehen. Lustig ist, dass ich mal bei einer Kino-Kette angefragt habe, ob es Untertitel gibt. Ich bekam immer die gleichen Standard-Antworten: “Es tut uns leid. Wenn Deutsch gesprochen wird und deutsche Untertitel dabei sind, ist es für hörende Personen verwirrend.” Das ist wirklich so passiert! Ich habe den Beweis – schwarz auf weiß. Ich glaube ich habe es an drei oder vier verschiedene Kinos geschickt und überall die gleiche Antwort erhalten. Ich bin schockiert.
[Melina Velissaris]: Ja, genau. Bis jetzt verstehe ich nicht, wieso es die großen Kino-Ketten nicht schaffen, barrierefrei zu sein! Das ist diskriminierend.
[Pam Eden]: Man muss es melden, damit sich etwas verändert. Dann wird argumentiert, dass es ja eine App gibt, wo man den Text am Handy mitlesen kann.
[Melina Velissaris]: Ernsthaft? Mein privates Handy, das ich auch noch selbst halten muss?! Dann sollen sie mir zumindest ein Tablet geben, das wäre ja noch ok.
[Christoph Kopal]: Eine Person hat mir mal erzählt, dass es VR-Brillen gibt, die Bild und Untertitel abspielen. Das ist aber kein billiges Zeug, sondern wirklich hochwertig! Da kann man eben Film und Untertitel gleichzeitig sehen. Also ich habe dann auch bei mehreren Kinos probiert zu fragen, ob es so ein Angebot gibt. Die Antwort war gleich: Das ist zu teuer! Ernsthaft?!
[GW.tv]: Wenn du dir eine Veranstaltung selber vorstellst, egal welche, ob Kino, Theater oder ein Musical, wie stellst du dir den perfekten Ablauf vor? Angefangen vom Ticketkauf bis hin zum Feedback am Ende.
[Melina Velissaris]: Das ist ganz unterschiedlich und abhängig, um welche Veranstaltung es sich handelt – ob Theater oder Kino. Es ist nicht überall gleich. Es gibt z.B. manchmal Situationen, wo gedolmetscht wird und trotzdem nicht alles verstanden wird. Da braucht man zusätzlich noch Untertitel. Es gibt ja auch schwerhörige Personen, die keine Gebärdensprache können. Die brauchen Untertitel. Für Leute, die mit den Untertiteln Schwierigkeiten haben, sind dann die Gebärden besser. Darum ist es besser, beides anzubieten. Bis jetzt war es immer nur entweder das eine oder das andere. Da wäre es echt besser, mehrere Möglichkeiten anzubieten. Verschiedene Leute haben einfach auch unterschiedliche Bedürfnisse. Da reicht ein Angebot nicht.
[GW.tv]: Du meinst, um wirklich alle zu inkludieren?
[Christoph Kopal]: Ja, genau, im Sinne der Inklusion. Das ist auch vom Bedarf abhängig. Meiner Erfahrung nach, wenn Budget für die unterschiedlichen Angebote vorhanden ist, wird es angeboten. Super, wenn das angeboten wird. Dann wird geschaut, ob mehr gehörlose oder schwerhörige Personen kommen. Im nächsten Jahr wird dann einfach der Zugang gestrichen, wo weniger Zielpublikum da war. Und was passiert dann mit dem Budget?
[Melina Velissaris]: Aber das Ziel ist ja, dass Angebote in Österreich einfach inklusiv bzw. barrierefrei sind! Und das soll unabhängig davon sein, ob jemand kommt oder nicht!
[Pam Eden]: Das Budget ist da wirklich oft ein großes Thema. Das ist mir in unterschiedlichen Kunstbereichen schon aufgefallen. Auch beim Theater ist das so. Manchmal ist der Wunsch da, etwas anzubieten. Aber das Budget fehlt. Und dann wird ausgewählt, was barrierefrei ist. Das ist wirklich nicht schön! Aber wie kann man das verändern?
[GW.tv]: Aber wie stellt ihr euch vor, dass es idealerweise abläuft?
[Christoph Kopal]: Ich stell mir vor, auf die Website zu gehen. Dort ist ein Symbol mit zwei Händen. Da kaufe ich mir mein Ticket. Erledigt, gut. Und dann gehts schon los. Ich komme dort an und muss das Ticket zeigen. Ein:e Dolmetscher:in oder Kommunikationsassistent:in ist dabei. Ich muss das Ticket herzeigen. Dann gehe ich hinein und gebärde: “Ich möchte bitte ein Cola.”
lachen
[Melina Velissaris]: Du übertreibst!
[Christoph Kopal]: Das bedeutet, ein bisschen Kommunikation wär schon gut. Einfach auf der Karte bisschen herumzeigen und gestikulieren. Ich will nicht extra aufklären müssen. Ich will reinkommen und es passt einfach. Ich zeige vielleicht kurz, ich höre nichts und dann verständigt man sich einfach mit zeigen. Dann gehe ich zu meinem Platz. Ich setze mich hin und schon geht es los. Es werden Untertitel eingeblendet, es wird gebärdet. Es ist vollkommen stressfrei. Ich komme hin, setze mich hin und es ist einfach Entspannung. Nach der Vorstellung gehe ich nach Hause, lege mich ins Bett und denke: Was für ein schöner Tag!
[GW.tv]: Ohne Stress! Im Kino meinst du z.B.?
[Christoph Kopal]: Im Kino oder auch im Theater, was auch immer. Die Leute sollen barrierefreundlich sein!
[Pam Eden]: Nett, schönes Wort!
[Melina Velissaris]: Ich denke, es ist einfach wichtig, dass das Haus, wo etwas angeboten wird, im Umgang geübt ist. Nicht, dass man hinkommt und dann bricht Panik aus, weil eine gehörlose Person kommt. Es soll einfach selbstverständlicher sein. Niemand erwartet, dass das Personal perfekt gebärdet!
[Christoph Kopal]: Da fehlt es echt an Sensibilisierung beim Personal. Man muss immer wieder aufklären.
[Melina Velissaris]: Auch auf den Webseiten, jetzt nicht im Kino, aber z.B. im Theater, bei Musicals oder Konzerten fällt mir auf, dass oft schon ewig etwas mit Gebärdensprache geplant ist, aber man bekommt es einfach nicht mit. Kurz vor der Veranstaltung kommt dann die Info, dass es mit Dolmetschung ist. Da müsste wirklich auf der Homepage vom Veranstalters bald genug die Info kommen. Z.B. die Info, dass eine Band eine Tour macht und Gebärdensprache dazu angeboten wird. Dann kann ich das vorausplanen. Man sollte aber anklicken können, dass man gehörlos ist bzw. Bedarf nach einem barrierefreien Angebot hat. Da geht es auch um die Auswahl des Sitzplatzes. Nicht, dass ich dann buche und am anderen Ende des Saals sitze und die Dolmetschung nicht sehe. Die Organisator:innen sollen wissen, dass eine gehörlose Person kommt und das dann auch mitbedenken. Es braucht dann einen Platz in der Nähe der Dolmetscher:innen natürlich. Alles andere funktioniert nicht. Was mache ich mit einem Ticket für einen Sitzplatz, wo ich die Dolmetschung nicht sehe?! Es ist wichtig, dass die Veranstalter wissen, es benötigt jemand Untertitel oder Dolmetschung. Das Problem ist auch, dass dann keine Kommunikation stattfindet. Dann komme ich hin und niemand ist darauf vorbereitet. Also das fehlt echt auch! Es braucht, dass auf der Homepage die Kontaktmöglichkeit schon auf Barrierefreiheit abzielt.
[Pam Eden]: Stimmt. Ich denke, es wäre gut, wenn es z.B. 10-15 Tickets gibt, die für gehörlose Personen reserviert werden. Beliebte Veranstaltungen oder Tickets von bekannten Künstler:innen sind einfach sehr schnell ausverkauft! Da sind wir Gehörlose dann hinten dran. Es braucht wirklich ein Ticketkontingent für gehörlose Personen. Und da muss es dann auch dezidiert Kontaktmöglichkeiten geben. Diese Tickets werden dann eben nur an gehörlose Personen verkauft.
[Christoph Kopal]: Ja!
[Pam Eden]: Also hörende Personen sollen weiterhin ganz normal Tickets kaufen können. Für gehörlose Personen braucht es extra reservierte Tickets.
[Melina Velissaris]: Ich möchte nochmal auf Amandas Frage zurückkommen. Es ging darum sich einen perfekten Ablauf vorzustellen. Wir sind ja gewohnt, die Perspektive zu haben, barrierefrei dem Geschehen auf der Bühne folgen zu wollen. Wieso dreht man das nicht einfach mal um? Es gibt gehörlose Künstler:innen, die gerne auf der Bühne stehen! Für hörende Veranstalter sind wir immer eine extra Zielgruppe. Aber das kann ja auch mal umgekehrt sein. Man könnte ja an einem Thementag z.B. zu Musik auch einfach gehörlose Künstler:innen einladen.
[Pam Eden]: Aus meiner Erfahrung ist das natürlich gut, aber ich denke, da kommen dann nur gehörlose Personen. Es sind dann keine hörenden Besucher:innen da. Das ist auch irgendwo verständlich, wenn es für hörende Besucher:innen dann nicht barrierefrei ist.
[Melina Velissaris]: Nein, nein. Ich meine, für die soll es auch barrierefrei sein.
[Pam Eden]: Puh, dann muss es für beide Seiten barrierefrei sein. Das ist herausfordernd!
[Melina Velissaris]: Ja, aber ich denke, es gibt so viele Angebote alleine schon in Wien. Wenn wir vom Ziel sprechen, inklusiv zu sein, dann muss es auch das umgekehrte Angebot geben. Hörende haben in diesem Sinne auch das Recht, Kunst gehörloser Personen wahrnehmen zu können.
[Pam Eden]: Ja, absolut.
[GW.tv]: Wir haben uns jetzt vorrangig über Wien ausgetauscht. Wie sieht es woanders aus? Z.B. bei einem Ausflug nach Linz ins Kunstmuseum. Ist das barrierefrei?
[Christoph Kopal]: Naja, vielleicht finde ich eine Kontaktperson in Linz. Dann muss man schauen, ob man da vielleicht Unterstützung bekommt. Da kommt es auf die Kontakte an. Aber ja, Erfahrungen außerhalb zu sammeln, ist auch spannend! Aber es ist einfach schwierig. Wien ist natürlich sehr groß. Wie es in Linz, St. Pölten oder Bregenz aussieht, ist wieder etwas anderes. Da hat man wirklich wenig Einblick. Vielleicht sind ja einzelne Personen dort aktiv. Aber das sehe ich ja nicht.
[GW.tv]: Wenn also jemand in den Bundesländern aktiv wird, wie bekommst du dann die Info?
[Christoph Kopal]: Wie gesagt, habe ich ja keine Ahnung, wo etwas angeboten wird. Aber wie Melina schon mal erwähnt hat, könnte man ja eine Webseite machen, wo alle Angebote ersichtlich sind.
[GW.tv]: Wo alles dabei ist? Ja, genau.
[Christoph Kopal]: Sodass man alles auf einmal sehen kann.
[GW.tv]: Du meinst also alle barrierefreien Angebote österreichweit?
[Christoph Kopal]: Ja! Alles auf einer Webseite! Da habe ich einen Überblick und kann frei aussuchen.
[Pam Eden]: Man könnte auch eine einzige Homepage machen, wo alle Veranstaltungen in ganz Österreich zu sehen sind. Das ist dann nach Bundesländern sortiert. Das kann einfach allgemein auch für hörende Personen gedacht sein. Wenn ich dann z.B. auf Oberösterreich klicke, sehe ich alle Veranstaltungen. Und dann gibt es einfach ein Symbol mit zwei Händen für alles, was mit Gebärdensprache angeboten wird. Das heißt, ich öffne einfach diese Webseite und habe einen Überblick über alle Angebote.
[GW.tv]: Nehmen wir mal an, die Umsetzung einer Veranstaltung läuft nicht so gut. So wie du sagst, dass es Untertitel gibt, aber die Platzierung fernab vom Geschehen ist. Wie kann man danach damit umgehen? Wie kann man so etwas vermeiden?
[Christoph Kopal]: Ich habe z.B. mal eine Veranstaltung besucht, die als barrierefrei angekündigt wurde. Dann bin ich vorfreudig hingegangen und musste feststellen, dass die Untertitel irgendwie nicht passen. Auch die angekündigte Dolmetschung war nicht da. Nach der Theatervorstellung habe ich ein Mail mit meinen Kritikpunkten verfasst. Zurückgekommen ist: “Danke für die Info, wir werden es zukünftig ändern.” Aber hä, was wollen die jetzt ändern? Es ist zu spät. Es wurde barrierefrei angekündigt und war dann nicht so.
[GW.tv]: Wie kann man sowas in Zukunft vermeiden?
[Christoph Kopal]: Man muss den Organisator:innen ein Mail schreiben mit dem Feedback! Man informiert sie also einfach. Was die dann mit den Infos machen, ist wieder etwas anderes. Es ist ja eh klar! Die Leute haben keine Ahnung. Viele wollen etwas barrierefrei umsetzen, haben aber einfach nicht die nötigen Infos. Wenn man dann am Ende Feedback bekommt, ist man eh dankbar. Dann kann man sich diese Infos zu Herzen nehmen und es in Zukunft einbauen oder umsetzen. Wir müssen da einfach sehr viel informieren! Das gilt auch für Kinos oder Museen. Da kommt man manchmal hin und trifft auf ungünstige Bedingungen. Wenn man dann aufgeklärt, sind aber viele sehr dankbar! Negative Antworten habe ich bis jetzt eben nur im Kino bekommen. Im Theater oder Museum wird Feedback eigentlich gerne angenommen.
[Melina Velissaris]: Meiner Meinung nach gehört es auch bisschen zur Aufgabe der Community, sich zu beschweren. Es ist wichtig, zu melden, wenn etwas nicht barrierefrei ist. Wenn wir das nicht machen, denken eh alle es läuft ja super! Die Community soll da auch anfangen, Kritik zu üben! Es müssen ja nicht Beschwerden sein, sondern einfach halt Meldungen. Es geht darum, etwas bewusst zu machen! Irgendwann sind es dann alle gewöhnt, dass sie barrierefrei sein müssen!
[Christoph Kopal]: In vielen Bereichen ist die Anpassung an die Bedürfnisse gehörloser Personen noch sehr rückschrittlich. Da muss man echt einfach immer wieder aktiv werden und das rückmelden! Ja, es ist echt so. Man muss es immer melden. Irgendwann wird das schon auch zur Belastung.
[Pam Eden]: Ja, klar. Aber wenn es keiner macht?! Was verändert sich dann? Man darf nicht vergessen, dass hörende Personen keine Expert:innen in unserer Sache sind. Wir sind in dem Fall die Expert:innen und müssen uns da stark machen. Ja, es ist mühsam, aber auch unsere Aufgabe. Das Ziel ist ja in unserem Sinne. Wir tun das ja für uns.
[Melina Velissaris]: Ja, und wenn wir uns zurücklehnen, wird sich nichts ändern. Dann ändert sich in 100 Jahren vielleicht mal etwas.
[Christoph Kopal]: Ja, aber eine einzige Person schafft das doch nicht.
[Melina Velissaris]: Naja, aber trotzdem kann eine Person einen Anstoß geben und es wird ein Lauffeuer daraus.
[Christoph Kopal]: Das mag manchmal funktionieren. Manchmal nicht. Ja, aber …
[Melina Velissaris]: Ich habe mir einmal Phantom der Oper angeschaut und da habe ich mich danach auch beschwert. Es war wirklich nicht barrierefrei. Die Untertitel waren nur in englischer Sprache und schlecht leserlich. Es waren also auch die Dialoge nicht verständlich! Ich habe dann ein Mail geschickt. Dann wurde ich eingeladen mit dem Ziel bei der barrierefreien Gestaltung mitzuwirken. Ich wurde gefragt, wie man es verändern oder besser machen kann. Klar, wird das nicht von heute auf morgen passieren. Aber es passiert etwas!
[Pam Eden]: Im Theater war es bei mir so, dass es wirklich zu dunkel war, um zu performen. Ich habe das angemerkt und alle waren extrem offen und bereit! Das wurde dann einfach angepasst und zum Besseren verändert. Und so teile ich das im Rahmen meiner Arbeit mit und lege einen Grundstein. Genau so ist es, wenn du das in deiner Arbeit machst. Da gibt man einfach einen Anstoß. So werden immer mehr zu Expert:innen, treten miteinander in Kontakt und vernetzen sich. Natürlich vermehrt sich das dann. Ich bringe sozusagen den Stein ins Rollen.
[Melina Velissaris]: Ich kenne auch eine spezielle Situation aus einem Theater. Da war schon alles fertig eingespielt und so weiter. Ich war bestellt, um das Ganze in Gebärdensprache zu begleiten. Das Ziel war, dass ich da dabei bin und seitlich dabei stehe. Ich habe dann gemeint: Wie? Ich bin nicht dabei? Mein Bild war, dass ich im Theater mitspiele. Ich habe das dann nicht angenommen! Dann habe ich versucht aufzuklären. Das ist auch nicht immer unsere Aufgabe.
[Pam Eden]: Ja, naja schon. Ich denke schon, dass das dazugehört! Ich versuche da echt immer bereit zu sein und aufzuklären! Wir wollen was umsetzen, also müssen wir auch bereit sein, aktiv zu werden!
[Christoph Kopal]: Ja.
[Pam Eden]: Wir können uns nicht immer nur beschweren. Meine Erfahrungen sind ja aus dem Bereich Gebärdensprachbegleitung im Theater. Wenn im Theater oder bei einem Konzert wirklich das Ziel ist, das gut umzusetzen, dann braucht es eine Deaf Performer:in. Diese Person hat die Gehörlosenkultur verinnerlicht. Hier hörende Personen einzusetzen, ist wirklich nicht das Gleiche. Da braucht es eine andere Form. Wenn dann eine hörende Person auf der Bühne ist, ist das für das gehörlose Publikum oft widersprüchlich. Manchmal werden die Inhalte dann nicht verstanden. Ja, da ist es wirklich einfach so, dass man Feedback geben muss und immer wieder aufklären. Bitte nehmt eine gehörlose Expert:in! Dann kann man natürlich mit hörenden Personen im Team arbeiten. Aber es muss einfach klar sein, dass die Expertise bei der gehörlosen Person liegt! Die gehörlose Person kennt die Bedürfnisse der Zielgruppe! Das ist ein wichtiges Ziel!
[Melina Velissaris]: Dazu muss man sagen, das Thema Deaf Performance ist ja noch relativ neu. Das gibt es ja noch nicht so lange. Lange Zeit wurden Dolmetscher:in eingesetzt. Das heißt, das ist noch ein neues Feld und ein Lernprozess. Trotzdem braucht es da die Teamarbeit bei Deaf Performer:in. Es gibt Situationen, wo etwas Spontanes passiert, man kurz den Faden verliert, usw. Da braucht es den Support. Das soll in Zukunft hoffentlich mehr werden. Das zweite Thema ist: Wer kann sich Deaf Performer:in nennen? Darf ich das machen? Ich nutze Gebärdensprache und der Gehörlosenkultur zugehörig, ja. Aber bin ich automatisch Deaf Performerin? Deswegen kann man mich auch nicht nach Lust und Laune einsetzen.
[Pam Eden]: Ich finde, da ist Vertrauen ein wichtiges Thema. Man muss da einfach schauen, wer dazu geeignet ist. Genau wie bei einer Filmrolle. Man muss sich Zeit nehmen und genau schauen, ob die Person dafür passt oder nicht. Dann kann man zusammenarbeiten.
[Melina Velissaris]: Mir fällt noch etwas ein. Ich hab das mal im Theater erlebt und es hat mir gut gefallen. Im Theater gibt es ja im Probenprozess immer so Termine. Also die Generalprobe ein paar Tage vor der Aufführung zum Beispiel. Da kann man je ein paar gehörlose Personen einladen. Vielleicht ein oder zwei Leute. Die schauen sich dann das Stück genau an.
[Pam Eden]: Nochmal zu dem Thema Konzert, was du zuvor gemeint hast. Da ist es auch immer ein Thema, wie berühmt die Band oder die Künstler:innen sind. Wenn sie sehr bekannt sind, ist es unmöglich, die zu erreichen! Es ist immer super, wenn man Künstler:innen direkt kontaktieren kann. Dann kann man direkt und effektiv zusammenarbeiten. Bei Stars kann man das vergessen.
[Melina Velissaris]: Manchmal ist es generell schwierig, Kontaktdaten zu finden, um Feedback zu geben. Man muss sich da durchklicken. Das ist auch mühsam. Es wäre gut, wenn Feedbackmöglichkeiten leicht zugänglich sind.
[Christoph Kopal]: Es gibt ja so Feedbacksysteme, wo man sich nur durch ein Formular durchklickt. Da kann jede:r standardisiert Rückmeldung geben.
[Pam Eden]: Naja, ich finde das nicht so gut. Manchmal passen die vorformulierten Sätze nicht. Oder man kann nur zwischen gut und schlecht entscheiden. Da ergibt sich aus der Auswertung wieder nichts.
[Christoph Kopal]: Ja, Feedback in Gebärdensprache wäre super, aber das ist dann nicht anonym. Man weiß ja, zu wem das Gesicht gehört. Ja, das muss dann schriftlich sein. Hm, ja, schriftlich. Beim Gebärden erkennt man halt die Person. Wenn man anonym bleiben und trotzdem gebärdensprachliches Feedback geben möchte, ist das blöd.
[Pam Eden]: Man nimmt ein gebärdensprachliches Video auf und eine KI verändert dann das Gesicht.
[Christoph Kopal]: Oder man gibt einen schwarzen Balken über das Gesicht.
[Melina Velissaris]: Man müsste sich wie Johnny Depp verändern können.