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Im Austausch: Gehörlose Künstler:innen in Österreich – Vorstellungen, Erwartungen und Einblicke

Weiter geht’s mit der zweiten Hälfte von dieser spannenden Diskussion!
Dieses Mal haben wir uns über Deaf Art, also die Kunst, die gehörlose Personen schaffen, unterhalten. Obwohl es weiterhin an Vorbildern fehlt, wurde deutlich, dass sich mit Leidenschaft, Offenheit und Bereitschaft zur Zusammenarbeit vieles zum Besseren wandeln kann.  

 

*Alternativlink zum Beitrag: YouTube

 

Dieser Beitrag ist der zweiter Teil von einer längeren Diskussion. Den ersten Teil findest du unter diesem Link.

 

[GW.tv]:  Wir haben in Teil 1 schon viele Bereiche angeschnitten. Es ging hauptsächlich um barrierefreien Zugang. Was könnte man in Zukunft noch verbessern? Dieser Austausch war sehr wichtig. Jetzt möchte ich den Fokus aber auf “Deaf Art”, also “Gehörlosenkunst” lenken. Was bedeutet dieser Begriff für euch?

[Pam Eden]: Puh, gute Frage. Der Kunstbereich ist breit gefächert. Es gibt so viele verschiedene Bereiche. Es gibt gehörlose Personen, die Bilder malen. Oder Personen, die Bücher schreiben. Personen, die mit Poesie, Theater oder Musik arbeiten. Da gibt es viele verschiedene Bereiche. Wenn man an Kunst denkt, gibt es wirklich viele unterschiedliche Bereiche.

[Melina Velissaris]: Meistens Kunst, die man selbst macht.

[Pam Eden]: Das ist die Frage: Ist Kunst nur, wenn ich etwas selbst erschaffe? Oder auch, wenn mir das Theater eine Rolle gibt? Das ist doch auch Kunst, oder nicht? Wenn Schauspieler:innen eine Rolle spielen, dann ist das auch Kunst.

[Melina Velissaris]: Unabhängig davon, was für dich als Schauspielerin vorgesehen ist, ist es dennoch dein Ausdruck.

[Pam Eden]: Ja, sowieso.

[Melina Velissaris]: Man bekommt die Rolle und spielt sie nicht nur stur herunter, sondern man bringt sich auch selbst mit ein.

[Pam Eden]: Wenn man auf der Bühne steht, dann schlüpft man in die Rolle und dolmetscht nicht nur. Man spielt wirklich diese Rolle. Das ist Kunst. Das ist ja im Film auch das gleiche.

[GW.tv]:  Das Schneiden und Regie führen ist dann auch Kunst.

[Christoph Kopal]: Man hat eine Vision, ein Bild im Kopf, und dann wird diese Idee umgesetzt. Das ist auch Kunst.

[Melina Velissaris]: Als Regisseur machst du wirklich viel, du schneidest und du machst das immer so toll. Aber wenn wir uns den Film anschauen, sehen wir die Personen dahinter nicht. Man sieht auch nicht, was da alles dahintersteckt.

[Christoph Kopal]: Ich bin im Hintergrund.

[Melina Velissaris]: Ja, er ist immer im Hintergrund. Das ist immer so. Die Dinge die im Hintergrund passieren, sind eigentlich genauso sonderbar! Ich denke, man sollte auch die Arbeit hervorheben, die hinter einem Film steckt. Und nicht nur die großartige Arbeit der Schauspieler:innen und den fertigen Film. Die Leute sehen nur das fertige Produkt.

[Christoph Kopal]: Dann sagen sie nur: Super, tschüss.

[GW.tv]: Das stimmt. Die Arbeit im Hintergrund ist wichtig. Was zeichnet Gehörlosenkunst aus? Dass auf der Bühne in Gebärdensprache performt wird? Oder was ist das Besondere daran?

[Melina Velissaris]:  Es ist die Fähigkeit, dass man Kunst zum Ausdruck bringen kann. Das Ziel ist nicht das Übersetzen. Der Inhalt muss aussagekräftig übermittelt werden, damit es vom Publikum auch verstanden wird. Nicht einfach übersetzen was gesagt wird. Das ist der Inhalt. In der Kunst hat man mehr Freiheit. Das kann sich auch von tatsächlichen einzelnen Gebärden abheben. Man muss nicht korrekte ÖGS gebärden. Da hat man künstlerische Freiheit. Das kann auch VV [Visual Vernacular] sein oder andere Ausdrucksformen.

[GW.tv]: Wenn gehörlose Künstler:innen Kunst schaffen, wer ist da die Zielgruppe?

[Christoph Kopal]: Ich denke, das ist vom Thema abhängig, aber grundsätzlich sind die Zielgruppe alle Menschen – egal ob gehörlos oder hörend. Alle Menschen sollen den Inhalt verstehen können. Wenn etwas nicht verstehen wird, kann man sich zusammensetzen und darüber reden, was gemeint war.

Ich denke, Kunst soll nicht erschaffen werden, um sie dann im Kino oder sonst wo einfach zu präsentieren. Kunst lebt davon, dass man sich zusammensetzt, einen Kaffee trinkt und sich über die Aussage des Stücks austauscht. Es soll ein lockerer Austausch über Botschaft und Ergebnis des Werks sein. Das ist schön.

[Melina Velissaris]:  Manchmal denke ich, man muss sich einfach inspirieren lassen, je nach den verschiedenen Bereichen. So wie ein Bild in der Ausstellung, das man überhaupt nicht versteht. Da kann man seinen Gedanken freien Lauf lassen und sich selbst etwas überlegen, was das Bild ausdrücken möchte. Auch wenn etwas gebärdet wird, entsteht ein eigenes Bild im Kopf. Man muss nicht immer nachfragen, was genau damit ausgedrückt werden soll. Man kann sich auch selbst damit auseinandersetzen. Es hängt auch von der Zielgruppe ab. Die Interessen sind da sehr unterschiedlich. Zum Beispiel bei Kindern und Jugendlichen oder bei Senioren.

[Pam Eden]: Für gehörloses Publikum sind die Inhalte dann ja zugänglich. Auch bei hörendem Publikum ist es mir wichtig, dass meine Performance verstanden wird. Ich performe alleine und mir sitzt ein:e Dolmetscher:in gegenüber. Er:Sie voict meine Gebärden für das hörende Publikum. Das Publikum kann dann trotzdem verstehen was ich gebärde. Aber nicht zu hundert Prozent. Leider nicht hundertprozentig, aber das ist auch irgendwo okay.

Bei der Performance war das Ziel, das für gehörlose Personen bekannte Thema Dolmetschen aufzugreifen. Das ist schon auch ein heikles Thema, aber es wurde lustig präsentiert. Was dann beim Publikum ankommt oder wie es interpretiert wird, bleibt sowieso offen. Ich habe aber auch hörende Menschen gesehen, die verstanden haben worum es genau geht. Sie haben auch bei mir nachgefragt und ja, sie haben es richtig verstanden. Vielleicht wurde nicht alles hundertprozentig verstanden, aber wir Gehörlose verstehen alles voll und ganz. Wir können dann darüber reden und uns austauschen. Das ist auch nicht schlecht.

[GW.tv]:  Gut. Ihr habt gesagt, dass die Zielgruppe alle Menschen sind, egal, ob hörend oder gehörlos. Gibt es gehörlose Künstler:innen, die eure Vorbilder sind? Wenn ja, warum? Es müssen keine österreichischen Künstler:innen sein. Es können auch Vorbilder aus der ganzen Welt sein, international oder aus Österreich.

[Melina Velissaris]: Gehörlose Künstler?

[GW.tv]:  Ja, gehörlose Künstler:innen. Auch hörende Künstler:innen, aber in erster Linie gehörlose Künstler:innen.

[Melina Velissaris]:  Nyle DiMarco fällt mir ein. Er ist ja auch Tänzer. Wow, eine gehörlose Person, die tanzen kann. lachen Das ist jetzt aktuell. Früher gab es einen Film, als ich ein Kind war. Wie war der Name nochmal?

[Pam Eden]: Was meinst du?

[Christoph Kopal]: Jenseits der Stille.

[Pam Eden]: Ach ja, genau. Da gibt es ja eine deutsche, eine französische und eine amerikanische Variante. Du meinst die deutsche. Ja, einer davon ist mit Marlee Matlin.

[Melina Velissaris]: Oder der Film “Gottes vergessene Kinder”. Das sind schon ältere Filme. Da habe ich zum ersten Mal gesehen, dass gehörlose Schauspieler:innen mitwirken. Das hat mich schon beeindruckt.

[Pam Eden]: Ja, das stimmt. Schwierig, spontan fällt mir niemand ein.

[Melina Velissaris]: Das sind alte Filme.

[Christoph Kopal]: So ein richtiges Vorbild habe ich auch nicht. Meine Vorbilder sind eher Leute in meinem Film-Produktionsteam. Ich meine Leute, die mehr Erfahrung als ich haben, wo ich mir etwas abschauen kann. Von jedem im Team lernt man ein bisschen was. Daher sind sie Vorbilder. Aber so ein richtiges Vorbild in der Kunstwelt habe ich nicht.

[Pam Eden]: Ich habe auch kein richtiges Vorbild. Mir fällt jetzt nur jemand in der Musikbranche ein. Da verstehe ich zwar nicht alles, aber mir gefällt die Show von einer koreanischen Gruppe.

[GW.tv]: Meinst du Handspeak?

[Pam Eden]: Ah, Handspeak ist die Gebärde. Das ist eine tolle Show. Obwohl sie gehörlos ist, bewegt sie sich zur Musik und gebärdet, das ist super. Ich verstehe vielleicht auch nicht alles, aber die Show ist wirklich spitze. Das möchte ich mir gerne für meine Performance mitnehmen. Das gefällt mir schon richtig gut.

[Christoph Kopal]: Interessant.

[Melina Velissaris]: Das ist wirklich fesselnd.

[Christoph Kopal]: Ich habe sie letztes Jahr bei einem Festival zum ersten Mal gesehen. Da war ich sprachlos. Wow! Diese Gruppe ist für mich aktuell wirklich ein Wahnsinn! So toll! Früher weiß ich es nicht, aber derzeit sind die wirklich toll. Wow!

[Pam Eden]: Eben, das ist mir jetzt eingefallen, wie wir über Vorbilder nachgedacht haben. Sie gefallen mir wirklich gut und die Qualität ist auch gut.

[Christoph Kopal]: Da bin ich echt sprachlos.

[Melina Velissaris]:  In Österreich habe ich mal ein wirklich tolles Theater gesehen: Aschenputtel.

[GW.tv]: Ja. Ich habe das nicht gesehen.

[Christoph Kopal]: Ja, ich weiß schon.

[Melina Velissaris]:  Das ist so schade. Ich habe mir vorgestellt, dass dadurch die Kunst- und Kulturszene einen Aufschwung hat. Es ist dann aber alles bergab gegangen und es gab nichts mehr.

[Christoph Kopal]: Das war so um das Jahr 2000, ich bin nicht hingegangen, weil ich zufällig die DVD gefunden und gekauft habe. Ich habe das angeschaut, aber es ist ein bisschen schief gelaufen. Aber es war gut gemacht. Es wäre praktisch, wenn es in Zukunft wieder so ein Theater geben würde. Das wäre super.

[Melina Velissaris]:  Ich kann mir vorstellen, dass dieses Theater weiterentwickelt werden könnte.

[Pam Eden]: Da fällt mir ein, dass es in den USA auch ein Theater gibt, das heißt Deaf […]

[GW.tv]: deafwest

[Melina Velissaris]: Ja, genau.

[Pam Eden]:  Ja, deafwest. Das ist beeindruckend, wow! Dort suchen sie auch Leute, junge Leute. Ich bin dafür schon zu alt. Vielleicht wäre das was für euch.

[Melina Velissaris]: Das ist wirklich nicht schlecht! Das wollt ich schon immer sehen!

[GW.tv]: Ja. Früher gab es viele Künstler:innen. Wie kann man den Nachwuchs dazu bringen, Künstler:innenzu werden?

[Christoph Kopal]: Hm… Also ich …

[Melina Velissaris]: Indem man Festivals macht.

[GW.tv]:  Festivals.

[Christoph Kopal]: Ich bin selbst Künstler. Im Filmbereich beispielsweise treffe ich immer auf viele Leute. Dann überlege ich mir, ob sie vielleicht für eine Rolle in meinem neuen Film in Frage kommen. Wenn sie Interesse haben, dann legen wir gleich los. Das ist ein Hin und Her.

[Pam Eden]:  Ja, zum Beispiel beim Theater gibt es viele Möglichkeiten. Es gibt Theater-Festivals, wo viele Leute hinkommen und sich Theater anschauen können. Wenn da auch gehörlosen Schauspieler:innen mitwirken, sehen das die Besucher:innen gleich und sie können sich die gehörlosen Schauspieler:innen zum Vorbild nehmen. Dann gibt es auch Workshops für Interessierte. Da kann man auch teilnehmen und wenn einem das gut gefällt, kann man später bei Theaterkursen oder Vereinen mitmachen. Man kann da in weiterer Folge bei vielen Angeboten mitmachen. Das sind die Möglichkeiten.

[Melina Velissaris]: Die Schule spielt da auch eine Rolle. Ich glaube, wenn ich mich richtig erinnere, dass es im BIG eine Lehrerin gab, die selbst eine Leidenschaft für das Theater hatte. Die Kinder haben dann automatisch Theater gespielt, sie waren begeistert davon. Sie waren wirklich begeistert vom Theater, das ist auch nicht schlecht für die Schule.

[Pam Eden]:  Das ist ein gutes Angebot. Man kann sich vernetzen. Und wir, die Leute vom Theater, brauchen in unserem Arbeitsbereich Nachwuchs. Zum Vernetzen, Kontakte knüpfen, vielleicht braucht jemand eine junge Person und dann kann man den Kontakt herstellen. Dafür braucht Austausch und Netzwerk.

[GW.tv]: Das ist wirklich interessant. Es gibt viele Schwierigkeiten und Barrieren. Ich hoffe, dass es in Zukunft mehr Festivals geben wird und dass es leichter wird.

Vielleicht habt ihr Interesse und seid motiviert zukünftig im Kunst- und Kulturbereich mitzuarbeiten? Das ist wichtig, weil Kultur auch in Poesie und VV [Visual Vernacular] zum Ausdruck gebracht wird. VV beinhaltet Gehörlosenkultur und Gehörlosenkunst. Das kann man nicht trennen.

Jetzt habe ich eine Frage an euch beide: Ich möchte euch beide fragen: Du bist Filmregisseur und du arbeitest beim Theater in verschiedensten Bereichen mit. Ihr seid ja kunstschaffend. Mit Kunst meine ich Film und Theater, also Kunst ganz allgemein. Wie geht das? Was braucht es da als allererstes? Braucht es da Vernetzung, Institutionen, Zusammenarbeit mit hörenden Personen, Sponsoren, etc.? Was braucht man da alles? Könnt ihr ein bisschen erzählen?

[Pam Eden]:  Z.B. im Theaterbereich weiß ich, dass ich, wie ich damals begonnen habe, Leute gebraucht habe, die sich mit dem System auskennen: Sie wissen, wie das abläuft, was man für Förderanträge braucht, wo man Förderungen bekommt, usw. Diese Leute sind derzeit hörend. Da braucht es Kontakt und die Zusammenarbeit. Da braucht es Personen, die offen sind für die Zusammenarbeit. Sie unterstützen und zeigen, wie alles funktioniert und wie die nächsten Schritte sind.

Bei Castings sollte man die Auswahl gemeinsam mit Expert:innen, die schon jahrelange Erfahrung haben, treffen. Die Expert:innen sollen schauen, wer schon gut ist oder wer noch ein bisschen Übung braucht. Es ist auch wichtig, dass eine Person vom Theater da ist, die offen ist für Barrierefreiheit. Dann kann man gemeinsam besprechen, was alles nötig ist für gehörlose Besucher:innen. Die Person muss auch bereit sein etwas zu ändern und mehr Geld oder Förderungen dafür zu verwenden.

Mein Ziel ist die Vernetzung, aber in einer gemischten Form: Hörende und Gehörlose sollen gemeinsam arbeiten. Aber nicht nur so, dass die gehörlose Person auch da ist und dann alleine etwas macht. Und die hörenden Personen machen etwas anderes unter sich. Nein, sie sollen etwas gemeinsam erarbeiten. Und das ist wirklich hart, weil beide Seiten ihre Anliegen haben. Das braucht ein Umdenken und die verschiedenen Perspektiven. Man muss bedenken, was die hörenden Künstler:innen brauchen und was die gehörlosen Künstler:innen benötigen. Braucht es da vielleicht Untertitel oder jemanden, der in die Lautsprache dolmetscht. Und umgekehrt, wenn hörende Schauspieler:innen gemeinsam mit gehörlosen Schauspieler:innen auf der Bühne stehen, dann lernen sie vielleicht auch ein bisschen Gebärdensprache.

Und die Inhalte, die gevoiced werden, sind dann eben für die hörenden Personen notwendig. Ziel ist, dass die hörenden Personen auch schon sensibilisiert sind, was gehörlose Personen brauchen. Das ist wirklich hart. So, denke ich, kann es klappen. Es braucht aber wirklich die Zusammenarbeit. Und den Austausch darüber, was gebraucht wird. Es entsteht ein neues Team. Das ist ein Prozess. Es kommen Schauspieler:innen dazu und das Team verändert sich. So stelle ich mir das vor.

[Christoph Kopal]: Ich denke da ähnlich. Man braucht als Basis jemanden, eine Leitung, die alles steuert und das System gut kennt. Und weiß, wie alles im Filmbereich funktioniert. Derjenige kennt auch Kameraleute, Leute für den Schnitt, für Make-Up, Kostüm, usw. Die Leitung kann alles steuern und dann läuft es. Das ist aber natürlich eine Budget-Frage. Man kann das Budget aber schon schlau aufteilen.

Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass es für Filmemacher schon Sponsoring gibt. Das Suchen nach Sponsoren ist aber nicht einfach. Bei vielen Fördergebern muss über den Film und Gehörlosigkeit aufklären und warum man Sponsoring braucht. Erst dann, wenn es verstanden wurde, bekommt man eine Förderung.

Es ist ganz klar, dass gehörlose und hörende Künstler:innen zusammenarbeiten müssen. Wenn sie getrennt voneinander arbeiten, dann gibt es Gehörlosenfilm, Gehörlosentheater und Gehörlosenmuseum. Dieser Bereich wäre sehr klein und wie es mit Sponsoring aussieht, weiß ich nicht. Wenn aber alle zusammenarbeiten, dann gibt es ein größeres Angebot und es findet Inklusion statt. Dann ist alles möglich. Vielleicht fehlt aber das Interesse daran mitzuwirken oder es fehlen die Leute, das ist klar. Man muss wissen, wie das System funktioniert, da sind wir beide der gleichen Meinung.

[Pam Eden]:  Zusammenarbeit ist wichtig. Beide Welten – gehörlos und hörend – sollen zusammenkommen, zusammenarbeiten und sich dann vermischen. Das ist das Ziel.

[Melina Velissaris]: Wie findet man sich gegenseitig?

[Pam Eden]: Das ist ein Prozess. Vielleicht kennt man schon jemanden, der bzw. die gut vernetzt ist. Und viele Leute sind auf mich zugegangen, weil sie meine Performance auf der Bühne gesehen haben. Und sie hätten Interesse an einem kleinen neuen Projekt mit mir. Andere Leute haben meine Dolmetsch-Performance gesehen und möchten diesbezüglich ein neues Projekt starten. So kommen nach der Reihe viele Projekte auf mich zu. Und da kann ich dann noch besprechen, wie ich etwas für hörende und gehörlose Menschen umsetzen kann. So knüpft man Kontakte. Und dann überlege ich mir, welche Gehörlosen ich kenne, die noch Interesse an Theater haben. Sie versuche ich dann für eins der Projekte zu gewinnen. Da wird in nächster Zeit sehr viel los sein bei mir.

[GW.tv]:  Eine Frage an dich: Wenn du als gehörlose Besucher:innen in Gehörlosenkunst genießen willst, was sind deine Erwartungen?

[Melina Velissaris]: Bei Film und Theater. Wenn ich mir ein Theaterstück anschaue, dann möchte ich die Zusammenarbeit auf der Bühne sehen. Da soll kein Ungleichgewicht herrschen, sondern es soll ebenbürtig sein. Die Gehörlosen auf der Bühne sind auch Schauspieler:innen und sie sollen nicht abgegrenzt sein. Sie wirken genauso auf der Bühne mit. Das ist normal. Das ist das Ziel. Wenn es mit Deaf Performance ist, steht die Person wieder abseits. Optimal wäre auch ein Hinweis, wo man sich am besten hinsetzen soll. Ich mag es nicht, wenn ich im Publikum auf der ganz anderen Seite von der Dolmetschperformance sitze. Dann sehe ich sie nicht gut. Ich brauche vorab die Info, von welchem Platz ich gut sehen kann. Im Kino braucht es überall Untertitel!

[Christoph Kopal]: Ein großer Wunsch. Ich mag Kino ja auch sehr.

[Melina Velissaris]: Ich wünsche mir auch vom ORF etwas ganz Konkretes! Es sollen mehr gehörlose Schauspieler:innen zum Einsatz kommen.

[Pam Eden]: Oh, ja, da möchte ich auch etwas hinzufügen. Gehörlose oder schwerhörige Schauspieler:innen brauchen ähnliche Rollen wie Hörende. Das sind dann immer Rollen wo es um das Gehör geht, oder die Hilfsmittel. Das nennt ihr eine Rolle? Also bitte! Ich habe einen klaren Wunsch für den Bereich Film- und Fernsehen! Es sollen positive Vorbilder gezeigt werden! Da hat z.B. jemand ein Hörgerät und ist selbstbewusst und stark. Das führt dazu, dass es Leute als normal wahrnehmen. Das ist mein Wunsch für die Zukunft!

Ich stelle mir vor, dass sich das wandelt. Ich denke sehr wohl, dass das möglich ist. Es könnte ja z.B. eine Rolle sein, wo eine starke, selbstbewusste Soldatin gezeigt wird. Und so nebenbei hat sie auch Hörgeräte. Alle würden zu ihr hochschauen. Das könnte sich so zum Positiven wenden! Das ist das Ziel. Nehmt doch einfach eine gehörlose oder schwerhörige Person für eine ganz normale, ordentliche Rolle! Alles andere ist schwachsinnig.

[Melina Velissaris]:  Aber jetzt stell dir mal einen Film zu einem Mordfall vor. Dann kommt die Polizei und – oh, wie überraschend – es gibt Kommunikationsschwierigkeiten. Das wäre immer das gleiche. Aber ich denke wir sind halt nunmal ein Teil dieser Welt!

[Christoph Kopal]: Ja, das stimmt schon auch. Bei meinen Filmen ist die Filmsprache ja eine Gebärdensprache. Ich weiß jetzt nicht, ob ihr schon mal einen gesehen habt? Ich gehe da ja auch nicht auf Barrierefreiheit ein. Es steht die Sprache im Vordergrund. Und dann ist es wie bei normalen Filmen – sei es jetzt ein Film über einen Soldaten, eine Tragödie oder sonst was. Da findet einfach Kommunikation statt und die ist gebärdensprachlich. Bis heute ist das in der Kurzfilmszene aber kaum der Fall.

[Melina Velissaris]: Ja.

[Christoph Kopal]: Soll ich gleich gehen? Das ist für mich keine Kunst. Das ist ein soziales Aufklärungsprojekt. Das ist keine Kunst. Kunst bedeutet für mich Entfaltung und kreativ zu werden! Sich einfach frei ausdrücken zu können – das ist Kunst!

[GW.tv]:  Ja, das mit der Sensibilisierung stimmt wirklich. In welchem Bereich fehlt das besonders?

[Christoph Kopal]: In allen.

[Melina Velissaris]:  Überall, auf der ganzen Welt.

[Christoph Kopal]: Für mich sind es wirklich alle Bereiche in der Kunst, wo es Sensibilisierung braucht.

[Pam Eden]: Ja! Es ist schon gerade ein bisschen im Wandel und wird etwas besser. Ob die Leute auch offener werden, ist ein anderes Thema. Aber generell aufzuklären und Bewusstsein zu schaffen, dauert ja ewig!

[Melina Velissaris]:  Ich glaube man müsste klarstellen, was z.B. Dolmetschung oder Dolmetschperformance bedeutet. Hörende Personen sind da sicher einfach verwirrt, warum es nicht ausreicht, einfach irgendwo eine Dolmetscher:in hinzustellen. Es braucht oft einen anderen Zugang als Dolmetschung. Ich denke, das ist noch nicht klar, wo da die Unterschiede liegen. Die denken, das ist ja eh simpel. Aber nein!

[GW.tv]: Ihr nehmt also einen hohen Sensibilisierungsbedarf wahr. Gibt es schon Bereiche, wo es gut läuft?

[Christoph Kopal]: Für mich ist das dot dot dot Festival ein gutes Beispiel. Es findet jedes Jahr in Wien statt. Das gibt es ja schon zehn Jahre und ich bin da mit meinen Filmen dabei. In dieser Zeit hat sich viel getan. Ich kenne da natürlich die Hintergründe. Für das Publikum ist diese Veränderung nicht so greifbar. Das ist echt von Jahr zu Jahr besser geworden. Es ist einfach ein Fixpunkt bei dot dot dot sich Feedback zu geben und im Austausch zu bleiben. Da gibt es Raum, um die Umsetzung für gehörloses Publikum zu diskutieren. Und so passiert auch Veränderung. Das ist eigentlich das einzige Festival, das jedes Jahr barrierefrei ist. Nämlich nicht nur durch Untertitelung, auch für blinde Besucher:innen ist es bspw. zugänglich. Das ist echt super! Wow!

[Melina Velissaris]: Ich erzähle euch eine typische Situation von mir. Manchmal möchte ich gerne spontan ins Theater gehen. Mein Ziel ist es nicht, dass es vollkommen barrierefrei umgesetzt wird. Mir ist ja klar, dass das nicht von heute auf morgen geht. Aber ich möchte einfach einen Stein ins Rollen bringen und einen Anstoß geben. Das bietet die Chance, dass sich vielleicht in ein, zwei Jahren etwas bewegt. Ich weiß, dass das nicht sofort geht! Ich denke, es ist trotzdem besser etwas zu sagen! Es ist sinnlos, wenn man sich immer denkt, etwas ist sowieso nicht barrierefrei. Man muss den Leuten ein Aha-Erlebnis geben. Sie sollen sich denken: Ah, die brauchen Dolmetscher:innen. Ah, die brauchen Untertitel. Und dann wird das schön langsam etwas.

[GW.tv]:: Ihr sagt, oft braucht es eine gewisse Offenheit. Wenn die Leute bereit sind, offen sind, dann kommt der Zugang und die Barrierefreiheit mit der Zeit. Auch die Zusammenarbeit ist für gehörlose Künstler:innen ganz wichtig. Für die Zuschauer:innen ist es natürlich von Vorteil, wenn sich das durchmischt. Besonders wenn dabei dann z.B. tolle Filme und vieles mehr rauskommt. So nehme ich eure Anliegen in etwa wahr.

[Melina Velissaris]: Ich möchte nochmal den Beitrag der Gehörlosen-Community betonen. Meldet euch, wenn etwas nicht passt! Besonders in diskriminierenden Situationen ist es wichtig, diese Formen der Unterdrückung zu melden!

[Christoph Kopal]: Es gibt Stellen und Möglichkeiten, Diskriminierung aufzuzeigen. Daraus ergibt sich dann hoffentlich eine Lösung oder ein Kompromiss. Warum sollte man es denn einfach runterschlucken! Man kann das wirklich melden! Dann ändert sich nichts!

[GW.tv]: Habt ihr noch eine abschließende Botschaft an die Zuschauer:innen Künstler:innen bzgl. Kunst und Kultur?

[Pam Eden]: Manchmal sollte man einfach drauf los. Werdet aktiv, probiert verschiedene Sachen aus! Man braucht wirklich keine Angst zu haben. Dann kann auch Veränderung geschehen. Es ist ja jetzt sogar schon ein Wandel im Gange! Das Ziel ist eine Welt mit mehr Möglichkeiten! Also, nur drauf los!

[Christoph Kopal]: Man sollte sich eindeutig mehr auf praktische Erfahrungen stützen. Probiert verschiedenes aus und findet euren Weg! Lasst euch auch nicht zu viel von der Theorie beeinflussen. Und wenn es einfach mal ein Handyvideo ist, das ihr dann selbst verarbeitet. Da kann man so kreativ werden und herumexperimentieren! Es kommt darauf an sich auszudrücken und tiefliegende Talente zum Vorschein zu bringen. Das kann schön sein! Ich hoffe echt ihr findet das Passende, sei es Film, Theater, Schreiben oder andere Kunst. Einfach machen! Wer es ausprobiert, der wird mit einem Ergebnis belohnt!

[Melina Velissaris]: Es bleibt einfach wichtig, aktiv Rückmeldung zu geben. Das Ziel ist, etwas ins Rollen zu bringen, sodass sich Schritt für Schritt etwas verändert. Es ändert sich nicht in dieser Sekunde. Veränderung braucht Zeit. Aber es ist wichtig, irgendwo anzufangen!

[GW.tv]: Das waren aber schöne Botschaften an die Gehörlosen-Community! Ich danke euch dreien, dass ihr hierher gekommen seid. Das war ein wirklich wichtiger Austausch! Ihr habt verschiedene Blickwinkel zusammengebracht. Danke, dass ihr eure Erfahrungen mit uns geteilt habt! Gerne!

[Alle]: Danke für die Einladung. Gut. Tschüss!

Foto/Video Credits: ÖGLB / Gebärdenwelt.tv
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