Die EUD ist die Europäische Union der Gehörlosen. Sie setzt sich auf europäischer Ebene für die Rechte von Gehörlosen ein. Auch hier wird das Thema Gebärdensprache als Sprachminderheit diskutiert. Alexandre Bloxs, Menschenrechtsexperte bei der EUD, fasst für uns den aktuellen Stand in Europa zusammen.
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Transkript des Interviews (Original in International Sign):
[Lukas Huber]: Wir unterhalten uns jetzt mit Alexandre vom EUD. Kannst du uns etwas über die EUD erzählen? Welche Projekte hat die EUD für das Jahr 2025 geplant?
[Alexandre Bloxs]: Danke für die Fragen! Ich bin heute als Delegierter für die European Union of the Deaf hier. Wir bestehen aus den 27 EU-Staaten und dann kommen noch Island, Norwegen, Schweiz und UK dazu.
Wir vertreten diese Länder und ihre nationalen Gehörlosenorganisationen, die bei uns Mitglieder sind. Wir sind der Dachverband und setzen uns für die Anliegen gehörloser Personen in den Institutionen der EU ein.
Ich wurde um einen Ausblick für 2025 gebeten. Wir werden unser 40-jähriges Jubiläum feiern. Die EUD wurde im Jahr 1985 gegründet, und das ist schon 40 Jahre her.
Das ist mal das erste, was wir feiern.
Der zweite Punkt ist, dass die EUD mehrere Bücher zu verschiedenen Themen herausgeben wird. Eines der Themen ist die CRPD, die in einem der Bücher behandelt wird. Dabei geht es um gehörlose Personen und die Anerkennung von Gebärdensprachen nach Artikel 21. Es wird diskutiert, wie es zur Anerkennung von Gebärdensprachen in unterschiedlichen Ländern kam. Ein weiteres Ziel ist die Anerkennung auf EU-Ebene, indem Forschungsergebnisse für die EU sichtbar gemacht werden.
[Lukas Huber]: In Europa haben die Länder ihre nationalen Gebärdensprachen bereits anerkannt. Das ist ein toller Erfolg. Nachdem die nationalen Gebärdensprachen anerkannt wurden, geht es nun um die Anerkennung auf EU-Ebene. Warum ist es wichtig, diese auf EU-Ebene anzuerkennen?
[Alexandre Bloxs]: Ja genau, das stimmt so. Die nationalen Gebärdensprachen der 27 EU-Staaten sind ja bereits anerkannt. Das heißt, dass gehörlose Personen in diesen Ländern gewisse Rechte auf Gebärdensprache gegenüber dem Staat erhalten. Wer aber das Gespräch mit Institutionen der EU, wie dem Parlament oder der Kommission, sucht, stößt auf Barrieren. Dort kann man etwaige Anliegen nur schrift- oder lautsprachlich kommunizieren.
In der EU gibt es insgesamt 24 verschiedene Lautsprachen. Es gibt aber insgesamt 29 Gebärdensprachen, die jedoch alle nicht auf EU-Ebene implementiert sind. Im Disability-Kontext werden zwar Gebärdensprachdolmetscher:innen eingesetzt, jedoch nur für International Sign. Für hörende Personen ist die Verdolmetschung in alle 24 Lautsprachen über Kopfhörer zu hören. Gehörlosen Personen steht lediglich Information in International Sign durch eine:n Dolmetscher:in zur Verfügung. Wir wissen aber, dass nicht alle gehörlosen Personen International Sign verstehen.
Ich brauche also das Recht, in meiner Erstsprache mit der EU zu kommunizieren, und werde aber daran gehindert! Hörende Personen können in ihrer Erstsprache mit der EU kommunizieren. Sie können in allen 24 Sprachen kommunizieren und sind nicht gezwungen, Englisch zu sprechen. Für gehörlose Personen sind die Möglichkeiten hier auf eine Sprache reduziert. Das ist eine enorme Barriere! Deswegen kämpfen wir darum, dass alle nationalen Gebärdensprachen den 24 Lautsprachen gleichgestellt werden.
[Lukas Huber]: Weißt du, welches europäische Land bereits eine umfangreiche Rechtslage in Bezug auf ihre nationale Gebärdensprache hat? Gibt es da Länder, die besonders weit voraus sind? Wo siehst du da Österreich im Vergleich? Wie steht es hier um die Entwicklung von Gebärdensprachrechten?
[Alexandre Bloxs]: Die Rechtslage für gehörlose Personen umfasst sehr viele Bereiche. Das betrifft z. B. Bildung, Dolmetschung, Kommunikationszugänge und noch vieles mehr. Das heißt, jedes Land hat in gewissen Bereichen Defizite und in anderen bereits einige Errungenschaften zu verzeichnen. In Finnland gibt es bspw. einen staatlich finanzierten Dolmetschservice. Dieser heißt Ella und wird aus Sozialhilfegeldern finanziert.
Das Budget ist sehr hoch, und gehörlose Personen können uneingeschränkt Dolmetscher:innen einsetzen. Dort wurden jedoch alle Gehörlosenschulen geschlossen, und der Bildungsbereich weist leider einige Defizite auf.
In Litauen gibt es einen Videodienst für Notrufe, der 24/7 in Betrieb ist. Bei einem Notfall, wie etwa einem Autounfall, kann man sofort per Videoanruf Hilfe holen. Das gibt es leider in keinem anderen Land. In Österreich ist es ein großer Meilenstein, dass Gebärdensprache in die Verfassung aufgenommen wurde. Eine Anerkennung von Gebärdensprache in der Bundesverfassung gibt es weltweit nur sehr selten. Ich glaube, es sind nur 6 oder 7 Länder, und da ist Österreich eines davon.
Ich nehme auch wahr, dass Österreich mit der Aufteilung in Bund und Länder über eine gute Struktur verfügt. Ich sehe Österreich also weder als Vorreiter noch als Schlusslicht. Es befindet sich wohl so in der Mitte circa.
[Lukas Huber]: Danke!