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In die Hand Nehmen: Forscherin Verena Krausneker zu Gebärdensprachavataren

Seit über 20 Jahren arbeitet Verena Krausneker in der Gebärdensprachenforschung und leitet auch die Arbeitsgruppe Gebärdensprachen an der Universität Wien. Was ist ihre wissenschaftliche Meinung zur aktuellen Avatar-Debatte? Wir haben sie in der Uni getroffen.

 

*Alternativlink zum Video: YouTube

 

[GW.tv]: Hallo! Heute unterhalten wir uns über das Thema Avatare. Wir haben heute eine Expertin zu Gast, magst du dich kurz vorstellen?

[Verena Krausneker]: Ok, danke. Mein Name ist Verena Krausneker [Gebärdenname]. Ich arbeite hier an der Universität Wien.

[GW.tv]: Womit setzt du dich in deiner Arbeit auseinander?

[Verena Krausneker]: Ich arbeite im Bereich Gebärdensprachforschung. Ich beschäftige mich aber nicht mit der Grammatik oder Struktur von Gebärdensprachen. Ich arbeite im angewandten Bereich, also es geht um Sprachverwendung. Ich schaue mir an, wie Zugänge für gehörlose Menschen geschaffen werden. Dabei betrachte ich besonders den Bereich Bildung. Das fällt in meinen Bereich.

[GW.tv]: Mit wie vielen und mit welchen Themen hast du dich bisher auseinandergesetzt? In all den Jahren? Ja, genau, wie viele Themen bzw. welche hast du insgesamt schon behandelt?

[Verena Krausneker]: Die Jahre kannst du natürlich auch mit dazu nehmen. Ich bin ja schon ziemlich lange in der Gebärdensprachforschung tätig. 25 Jahre arbeite ich schon in diesem Bereich. Wie soll ich das jetzt am besten sagen? Es gibt da nämlich einige Themen, die nicht vollständig in meinen Bereich passen. Wir haben bspw. einmal ein Projekt im Bereich Gehörlosengeschichte gemacht. Ah, etwas Geschichtliches. Dabei ging es um Erfahrungen während der Nazi-Zeit. Da haben wir ältere gehörlose Menschen interviewt. Das Projekt war in Zusammenarbeit mit Katharina Schalber. Ziel unseres Projekts war zu zeigen, wie gehörlose Personen die Kriegszeit erlebten. Aber das ist jetzt ein bisschen ein anderes Thema.

Der zweite thematische Exkurs in meiner Laufbahn war eben zum Thema Avatare. Avatare fallen nicht so unbedingt in meinen Bereich. Für mich gab es da aber einen wichtigen Aspekt. Mir ging es da gar nicht um die technische Entwicklung an sich. Was mich hier interessierte, war der Einfluss von Avataren auf die Sprache. Bzw. auch der Einfluss von Avataren auf die Community. Ich wollte wissen, welche Einflüsse und Auswirkungen für die Zukunft von Avataren ausgehen. Das ist es, was mich interessiert.

[GW.tv]: Ok, das heißt, du hast schon zu unterschiedlichen Bereichen gearbeitet. Heute beschäftigen wir uns mit dem Thema Avatare. Derzeit ist der Einsatz von einem Avatar bei den Wiener Linien aktuell. Wie ist dein erster Eindruck davon?

[Verena Krausneker]: Allgemein zum Avatar würde ich sagen, dass dieser zwar okay ist, aber wirklich schön finde ich ihn nicht. Ein Avatar wird niemals an das Niveau eines echten Menschen mit spontaner Gebärdensprachproduktion herankommen. Das heißt, der Avatar ist für kurze Informationen oder einzelne Meldungen okay, aber für mehr reicht es wirklich nicht. Wenn jetzt aber ein ganzer Text produziert werden soll, finde ich es komisch.

Die einzige Firma auf der Welt, die es geschafft hat, ist in Neuseeland. Die haben so einen schönen Avatar kreiert – wirklich toll. Dort wird eine andere Technik verwendet, die mittel Motion Capture Technologie abnimmt. Es gebärdet also ein tatsächlicher Mensch. Diese Daten werden abgenommen und im Computer lediglich mit einer neuen Maske versehen. Daher ist die Qualität der Gebärden grandios. Für mich sind diese Unterschiede in der Qualität der Gebärdensprachproduktion sehr bedeutend. Wenn so stockend, wie ein Roboter gebärdet wird und die Mimik ständig fehlt oder falsch ist, dann ist das schwer zu akzeptieren.

[GW.tv]: Ja klar. Das ist nicht einfach. Derzeit gewinnen Avatare immer mehr an Popularität. Die Technik ist auch schon so weit voraus, aber wie kann da die Sprachqualität mithalten? Du hast mir ja erzählt, du hast mit Sandra Schügerl geforscht. Ihr habt in eurer Forschung mit gehörlosen Personen zusammengearbeitet. Was waren da die bedeutendsten Erkenntnisse?

[Verena Krausneker]: Das war ein schönes Projekt. So eine tolle Zusammenarbeit. Besonders herausragend waren die Ergebnisse aus den Gruppeninterviews. Es gab Gruppen mit gehörlosen Teilnehmer:innnen und eine mit hörenden Personen. Dabei ist den hörenden Personen eine Sache ganz besonders aufgefallen. Sie hatten das Gefühl, dass der Avatar nicht real ist. Ihre Wahrnehmung war, dass der Avatar eher humorvoll oder wie ein Spiel für Kinder. Das ist sehr interessant. Diese Aussage kam nämlich von Hörenden, die keine Ahnung von Gebärdensprache hatten. Es machte mehr einen spielerischen Eindruck auf sie. Das gleiche galt natürlich dann auch für die gehörlosen Personen. Die konnten den Avatar aber gar nicht ernst nehmen.

Das bedeutet für uns alle, dass der Avatar für kurze, eher basale Informationen eingesetzt werden kann. Aber für wirklich wichtige Themen oder Inhalte ist er nicht geeignet. Interessant ist auch, dass z.B. beim Kongress des WFD, dem Weltverband der Gehörlosen, in Korea, einige Firmen der Meinung waren, dass der Avatar perfekt für Notfälle wäre. Interessant, das ist eine ganz andere Meinung! Ja, die Meinungen sind sehr gegensätzlich zu denen der europäischen Gehörlosencommunity. Das ist schon ein großer Unterschied. Auch für die Zukunft. Wie man es weiter betrachten soll.

Im Allgemeinen kann man zu der Entwicklung von Avataren sagen, dass es ganz in Ordnung ist. Aber bei den Avataren für die Gebärdensprache, also in diesem Bereich, gibt es noch großen Aufholbedarf. In diesem Teilbereich sind weltweit zahlreiche Projekte im Laufen. In Deutschland gibt es ein großes Projekt. An dem Projekt sind auch gehörlose Personen beteiligt. Sie meinen, dass der Avatar erst in ca. 10 oder 15 Jahren optimal für die Gebärdensprache eingesetzt werden kann. Sie haben das offen gesagt und ich stimme ihnen zu. Hoffentlich hat der Avatar dann eine gute Qualität.

Das Komplizierte an der ganzen Sache ist, dass jetzt schon so viele Avatare veröffentlicht wurden. Sie werden einfach groß auf Webseiten angepriesen und gezeigt. Ich empfinde die Situation als sehr schwierig. Ich habe das Gefühl, dass gehörlose Personen hier wie Versuchsobjekte betrachtet werden. Die Avatare werden einfach veröffentlicht. Dabei wird nicht darauf geachtet, ob diese auf Akzeptanz stoßen oder ob gehörlose Personen überhaupt etwas verstehen. Das ist wirklich alles noch in einem Stadium, wo erst von gehörlosen Personen die Verständlichkeit klar getestet werden müsste. Man kann sagen, dass nur die Hälfte vom Inhalt wird verstanden. Das ist natürlich nicht genug. Das ist schon eine kritische Situation, wenn da nur 50 % verstanden werden. Und auch wenn man betrachtet, wie diese Avatare verbreitet und beworben werden.

[GW.tv]: Ihr habt in eurer Forschung auch mit der Gehörlosencommunity zusammengearbeitet. Haben sich da Bedingungen für den optimalen Einsatz von Avataren ergeben? Wie meinst du das genau? Welche Voraussetzungen braucht es, um einen perfekten Avatar zu kreieren?

[Verena Krausneker]:  Das war sehr interessant, denn die gehörlosen Personen waren ja alle keine Techniker. Trotzdem konnten wir aus den Diskussionen einige gute Ideen einholen. Eine Person meinte, dass die letzte Entscheidung über den Einsatz eines Avatars immer eine gehörlose Person treffen muss. Das ist eine dieser Bedingungen. Und als zweites muss es ein Qualitätssiegel geben. Die Firmen sollen nicht einfach ahnungslos Avatare auf den Markt bringen und verkaufen können. Da muss schon eine Prüfung stattfinden, die Qualität garantiert. Wenn der Avatar diese Prüfung besteht, kann er veröffentlicht werden. Wenn er nicht besteht, kommt er zurück zur Korrektur. Eigentlich eine gute Idee.

Viele gehörlose Personen meinten auch, dass ein Avatar die Möglichkeit bietet, gebärdensprachliche Äußerungen zu anonymisieren. Das heißt, dass eine Person gebärdet und der Inhalt von einem Avatar übernommen und somit anonymisiert wiedergegeben wird. Das ist wirklich eine große Chance. Jetzt ist der Avatar noch lange nicht so weit. Das wäre viel zu kompliziert. Es muss noch so viel Arbeit hineingesteckt werden. Schön wäre es, wenn ich einfach mein Handy rausnehme, etwas gebärde und die App einen Avatar wie eine Maske drüberlegt. Vielleicht ist das in Zukunft möglich. Das zeigt aber, dass gehörlose Personen schon die Chancen und Möglichkeiten von Avataren sehen. Sie sehen, dass Avatare hilfreich sein können und der Einsatz schon auch Chancen für die Zukunft mitbringt. Aber so, wie der Avatar jetzt ausschaut, kann man es leider vergessen. Ja, so ist das leider.

[GW.tv]: Ja, das ist nicht so einfach – auch den Avatar so schnell an die Bedingungen der Community anzupassen.

[Verena Krausneker]:  Was auch interessant ist: Beim Weltkongress der Gehörlosen hat eine Kollegin gesagt: Die Entwicklung von Avataren kann man unmöglich stoppen. Das ist nicht möglich. Avatare sind im Kommen und werden sich auch weiterentwickeln. Das bedeutet, dass es jetzt umso wichtiger ist, gehörlose Personen miteinzubeziehen. Gehörlose Personen müssen aktiv beteiligt sein.

[GW.tv]: Dass beide parallel arbeiten.

[Verena Krausneker]:  Ja, sie müssen sich bereit erklären und dann auch dabei sein. Nicht dass gehörlose Personen sich denken, dass es nicht so wichtig ist und sich dem entziehen. Und die Hörenden sozusagen damit herumspielen. Es muss aktiv eine gehörlose Person dabei sein, um die Entwicklung auch mit beeinflussen zu können. Es braucht jemanden, der das jetzt sofort in die Hand nimmt. Da stimme ich der Kollegin voll und ganz zu. Wenn man da nicht aktiv wird, verläuft sich das Ganze einfach.
[GW.tv]: Ok. Wie ist der aktuelle Entwicklungsstand des Avatars? Ich meine die Entwicklung hier in Österreich in Zusammenhang mit dem Projekt.

[Verena Krausneker]:  Ich bin bei der Entwicklung ja nicht dabei. Aber ich sehe, dass sich unterschiedliche Projekte weltweit zeitgleich unabhängig voneinander weiterentwickeln. Dabei ist das eine Projekt vielleicht ausgereifter als das andere. Wichtig wäre es hier, zusammenzuarbeiten, und das sehe ich bislang noch nicht.

[GW.tv]: Das bedeutet, das fehlt noch.

[Verena Krausneker]:  Ja, genau. Jedes Projekt kocht sein eigenes Süppchen. Sie wollen ihre Avatare auf den Markt bringen und verkaufen. Da steht das Geld im Vordergrund. Ich stelle mir vor, wie man für ein einziges Großprojekt ein ordentliches Budget zur Verfügung stellt. In diesem Projekt würden alle an einem Avatar arbeiten – aber so läuft das nicht. Jeder macht sein eigenes Ding – egal, ob man nach Amerika, Neuseeland, Deutschland oder Österreich schaut.

[GW.tv]: Welche Verbesserungswünsche hast du für die Zukunft?

[Verena Krausneker]:  Meine persönlichen Wünsche?

[GW.tv]: Ja, in Bezug auf den Avatar und die Projekte.

[Verena Krausneker]:  Du meinst also meinen Wunsch?

[GW.tv]: Ja genau, allgemein zum Thema Avatare.

[Verena Krausneker]:  Also aus meiner Perspektive ist besonders relevant, dass Gebärdensprache eine Minderheitensprache ist. Sie ist somit nicht so abgesichert wie Mehrheitssprachen. Minderheitensprachen müssen geschützt und in ihrer Entwicklung gefördert werden. Da muss man gut aufpassen, denn ÖGS hat z. B. eine wirklich kleine Sprachgemeinschaft. Daher wäre mein Wunsch, dass der Avatar keinen schlechten Einfluss auf die Sprache nimmt. Früher hat es ja diese automatischen Computerstimmen gegeben. Die deutsche Lautsprache ist ja eine riesengroße Sprachgemeinschaft. Wenn man hier eine schlechte Computerstimme verwendet, dann hat das keine drastischen Auswirkungen auf die Sprache. In dem Fall wäre es egal. Aber bei einer Minderheitensprache muss man sehr gut aufpassen. Wenn ÖGS durch Avatare nach außen sichtbar gemacht wird, führt das zu einer komplett anderen Wahrnehmung. Die Leute denken sich dann, dass es eine erfundene Sprache ist. Sie glauben, es handelt sich um eine technische Spielerei. Es ist aber eine lebendige Sprache, die aus persönlichen Interaktionen, Gefühlen und Ideen besteht und verbindet. Mein Wunsch ist es, auf die Gebärdensprache gut aufzupassen. Ich weiß, das ist weitreichend, was ich mir da vorstelle.

[GW.tv]: Danke für deine Ausführungen rund um das Thema Avatare!
[Verena Krausneker]:  Wir leben in einer Welt, in der Technik nicht wegzudenken ist und auch Avatare längst allgegenwärtig sind.
[GW.tv]: Vielen Dank!
[Verena Krausneker]:  Gerne! Ich danke dir ebenfalls!
[GW.tv]: Tschüss!

Foto/Video Credits: Gebärdenwelt.tv
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