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Zero Project: Interview mit WFD-Präsident Joseph Murray

Barrierefreie Technologie entwickelt sich rasant weiter, aber wie stehen gehörlose Menschen dazu? Zu diesem Thema hat Joseph Murray seinen Vortrag gehalten. Als Präsident von der WFD (World Federation of the Deaf) hat er einen globalen Überblick. Helene Jarmer hat mit ihm darüber gesprochen.

*Dieses Interview wurde in International Sign geführt und auf Deutsch übersetzt.

 

*Alternativlink zum Video: YouTube

 

Transkript:

[Helene Jarmer]: Hallo, du bist heute hier bei der Zero Konferenz, um einen Vortrag zu halten. Worum handelt es sich in deinem Vortrag?

[Joseph Murray]: Ich beschäftige mich mit der Verwendung von Technologie innerhalb der Gehörlosencommunity. Es geht darum, wie Technologie am Arbeitsplatz gehörloser Personen zu Inklusion beiträgt. Du weißt ja, was mit Deaf Gain gemeint ist. Laut WFD müssen wir das auch nochmal klar betonen. Gehörlose Personen, die am Arbeitsplatz auf Barrieren stoßen, bringen oftmals selbst die besten Lösungsvorschläge. Genau mit diesen Ansätzen beschäftige ich mich gerade.

[Helene Jarmer]: Hast du vielleicht ein Beispiel zum Zusammenhang von Technologie und Deaf Gain?

[Joseph Murray]: Oftmals sind gehörlose Personen diejenigen, die die Entwicklung neuer Technologien frühzeitig vorantreiben. Sie leisten da Pioniersarbeit, sei es jetzt im Bereich der Videotelefonie oder bei anderen Technologien. Gehörlose Personen bringen hier starke Fähigkeiten mit. Es geht sowohl um visuelle Lösungen als auch um die Verknüpfung von Motorischem und Kognitivem mit. Gehörlose Personen haben da einfach einen anderen Zugang dazu.

[Helene Jarmer]: Hier auf der Konferenz werden verschiedene Technologien vorgestellt. Wird da in der Entwicklung dieser Technologien mit gehörlosen Personen zusammengearbeitet? Oder arbeiten die Firmen da ohne Rücksicht auf gehörlose Personen? Kannst du da deine Erfahrungen dazu schildern?

[Joseph Murray]: Viele Technologien werden entwickelt, ohne gehörlose Personen gleichberechtigt in den Prozess miteinzubeziehen. Oft entwickeln Unternehmen Technologien und holen erst am Schluss gehörlose Personen dazu, um sich diese absegnen zu lassen. Gleichberechtigung ist es aber nur, wenn von Schritt eins eine Zusammenarbeit mit gehörlosen Personen passiert. Gehörlose Menschen sind hier Expert:innen und müssen wirklich eine leitende Funktion in solchen Projekten übernehmen. Viele Technologien werden nicht nach diesen Anforderungen entwickelt.

Auch seitens des WFD besteht ein Bewusstsein, dass KI immer näher rückt. In diesem Bereich passiert ja gerade sehr viel. Wir haben hierzu auch eine Adhoc-Arbeitsgruppe gegründet. Dort erarbeiten wir klare Anforderungen an die Zusammenarbeit mit der Gehörlosen-Community im Bereich künstliche Intelligenz. Das Ziel ist, diese Leitlinien aus der Arbeitsgruppe beim nächsten WFD-Kongress zu veröffentlichen.

[Helene Jarmer]: Ja, das ist ein wichtiges Thema! Im Rahmen der Konferenz wurden auch Avatare vorgestellt. Wie ist da deine Perspektive oder die des WFD dazu? Gibt es ein Forschungsprojekt zum Thema Avatare, das man positiv hervorheben kann?

[Joseph Murray]: Unsere Richtlinien sind ja noch nicht herausgegeben wurden. Daher kann auch noch nicht gesagt werden, welche Avatare diesen entsprechen könnten. Die Möglichkeiten von künstlicher Intelligenz sind ganz vielfältig. Aber diese Technologien stehen noch ganz am Anfang. Man muss dazu sagen, dass diese Technologien auch kein voller Ersatz für Dolmetschung sind. Zudem wird bei vielen KI-Lösungen ausschließlich das Dolmetschen ins Visier genommen. Unser Leben besteht aber aus so vielen anderen Problematiken, wo KI hilfreich sein kann.

Das birgt die Gefahr, dass sich diese Technologien immer nur dem Dolmetschen widmen. Diese Entwicklung hat zur Folge, dass gehörlose Personen meist in einer passiven Konsument:innenrolle sind. Da geht es dann immer nur darum, wie Informationen an gehörlose Personen herangetragen werden. Die umgekehrte aktive Rolle wird hier vergessen. Das ist genau das, wo ich mir Veränderung wünsche. Gleichberechtigte Teilhabe in der Entwicklung von Technologien ist das nämlich noch nicht. Hier gilt es weiter dranzubleiben.

[Helene Jarmer]: Danke dir für deine Zeit!

[Joseph Murray]: Ich danke dir auch.

 

Foto/Video Credits: Gebärdenwelt.tv
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