Wir blicken zurück auf das Internationale Gebärdensprachtheater mit dem Titel “You too” und haben ein paar Fragen an die Regisseurin gestellt.
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Hallo!
Hallo!
[GW.tv]: Ich mache jetzt ein Interview mit dir. Magst du dich kurz vorstellen?
[Mindy Drapsa]: Mein Name ist Mindy und das ist mein Gebärdenname. Ich leite das Gebärdensprachtheater in Schweden.
[GW.tv]: Zuletzt war ja das internationale Gebärdensprachtheaterstück You too zu sehen, welches online gestreamt wurde. Worum geht es bei dem Theaterstück? Wie entstand die Idee?
[Mindy Drapsa]: Damals war gerade die Covid-Pandemie. Alle Theater waren geschlossen. In Schweden gibt es ein sehr bekanntes Haus für hörendes Publikum. Da gab es die Idee, etwas über Zoom anzubieten. Meine Freundin Mia, die das Stück geschrieben hat, und ich fanden die Idee sehr gut. Wir haben uns somit ein Theaterstück dort über Zoom angeschaut und auch Dolmetscher:innen hinzugezogen. Das Theater über Zoom war so spannend, berührend und fesselnd. Mia und ich haben gedacht: Warum machen wir so etwas nicht auch für gehörlose Menschen? Dazu brauchen wir eine Geschichte.
Mia hatte die Idee dazu. Sie engagiert sich ehrenamtlich für Frauenschutz. Sie hat sofort an dieses Thema gedacht und für mich war das okay. Ein Jahr später gab es ein Programm am schwedischen Theater mit dem Namen “Residens”. Dadurch wurde Künstler:innen ermöglicht, für ein paar Monate zusammenzukommen und ihre Kunst zu entfalten. Es ging um das Thema Schreiben und das Programm wurde von hörenden Menschen organisiert. Ich habe Mia gesagt, dass sie dabei sein soll und ich kümmere mich um die Dolmetscher:innen. Sie war einverstanden. In Abstimmung mit der Organisation konnte sie ihre Idee entfalten und sich Tipps holen. Ein hörende Person hat dann auch besonderes Lob zur Geschichte ausgesprochen. Nachdem wir eine Geschichte hatten, ging es los mit der Umsetzung als Theater.
[GW.tv]: So ist das entstanden. Kannst du uns kurz erklären, worum es in dem Stück geht?
[Mindy Drapsa]: Ja, gerne. Es geht um zwei Frauen. Eine schwedische Journalistin möchte über das Thema Gewalt schreiben. Sie möchte dazu die Präsidentin für Deaf Woman Protection Against Violence aus Frankreich interviewen. Das Interview findet über Zoom statt. Es entsteht dann eine Diskussion, die ein bisschen aus dem Ruder läuft. Das ist die Story. Ein Ziel ist es, das Tabuthema Gewalt an Frauen in der Gehörlosengemeinschaft zu brechen. Es ging darum, diese “Silent Culture”, also das Tabu und das Schweigen, zu brechen. An wen richtet sich das Theaterstück? Wen soll es zum Nachdenken anregen?
Es richtet sich schon recht konkret an Männer. Beziehungsweise generell an die Täterseite. Bisher gab es oftmals einen starken Fokus auf Frauen, die Opfer geworden sind, um ihnen Mitleid auszusprechen. Aber auch in der Gehörlosengemeinschaft gibt es Täter. Sie sind unsere Freunde, Familie oder Mitschüler:innen. Oft trifft man diese Personen tagtäglich und tut so, als wäre nichts passiert. Ich verstehe das nicht und habe die Nase voll davon. Das soll aufhören.
[GW.tv]: Wie war die Reaktion der Zuschauer? Gibt es Feedback?
[Mindy Drapsa]: Wir waren wirklich fast schockiert von dem positiven Feedback! Es ist auch wirklich eine starke Geschichte, die berührt. Es ist einfach gerade heraus erzählt, wie das für Gebärdensprachen typisch ist. Völlig neu ist das Thema nicht. Viele wissen schon etwas darüber. Dennoch ist es immer wieder berührend oder emotional und so, dass man wütend wird und etwas verändern will. Das soll dazu führen, dass man sich in Zukunft gegenseitig besser unterstützen kann. Ich habe mich gefreut, als der Ticketverkauf für die 9 Termine innerhalb von 5 Tagen geöffnet wurde. Zu Beginn wurden nur insgesamt 200 Tickets für die 9 Termine verkauft. 150 Stück für die Premiere und die restlichen 50 teilten sich auf 8 Termine auf. Das fand ich irgendwie wenig.
Ich dachte, ich muss irgendwie etwas verändern und dann plötzlich wurden viele Tickets gebucht. Bei der letzten Aufführung waren es dann 400 Zuschauer:innen. Die Zuschauer:innen waren aus insgesamt 51 Ländern dabei. Und das obwohl das Theater zum ersten Mal und nur so kurz angeboten wurde. Da wurde wirklich der Support innerhalb der Community wieder deutlich! Die Krabbentheorie trifft also doch nicht immer zu. Es freut mich sehr, dass sich hier gehörlose Menschen so gegenseitig unterstützen!
[GW.tv]: Wow, toll!
[Mindy Drapsa]: Das stimmt. Es waren ja wirklich Zuschauer:innen aus der ganzen Welt.
[GW.tv]: Das Theaterstück You too ist jetzt leider vorbei. Gibt es schon Pläne für die Zukunft?
[Mindy Drapsa]: Also Theaterstücke für Zoom sind jetzt mal nicht geplant. Vielleicht machen wir irgendwann wieder etwas, aber geplant ist gerade nichts. Das Riksteatern plant die Theaterstücke immer für 2 Jahre voraus. Das nächste Theaterstück ist im Februar 2024 und heißt Frans.
[GW.tv]: Ihr kennt ja Helen Keller.
[Mindy Drapsa]: Ja, mit diesem Gebärdennamen?
[GW.tv]: Ja, genau. Sie war ja eine taubblinde Frau. Sie ist sehr bekannt. Sie war aber nicht vollständig taub. Sie hat in Amerika gelebt und viele kennen ihre Geschichte. Bei uns in Skandinavien gab es einen taubblinden Mann, der von Armut betroffen war. Er wurde um 1900 geboren. Seine Familie konnte nicht mit ihm kommunizieren und setzte ihn als Baby im Wald aus. Er wurde gefunden und konnte in die Schule gehen. Er hatte das Verhalten eines Tiers. Eine Frau unterrichtete ihn und brachte ihm taktile Gebärden bei. Er lernte lesen und arbeitete dann als Gärtner. Er war wirklich talentiert. Er ging 3 km von seinem Zuhause ins Zentrum zu Fuß. Er baute ein dreirädriges Fahrrad. Seine Geschichte ist sehr speziell. Das Stück heißt Deaf Frans. Wir werden mit einem finnischen Theater kooperieren.Ein taubblinder Mann aus Finnland und eine Frau aus Schweden werden performen. Das wird spannend!
[Mindy Drapsa]: Wow, spannend. Danke für das Interview!