Heute widmen wir uns nochmal gehörlosen Künstler:innen und dürfen auf die Ausstellung von Christine Sun Kim in der Wiener Secession zurückblicken.
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[Helene Jarmer]: Es ist eine große Ehre, die Künstlerin heute persönlich zu interviewen. Christine, aufgrund welcher Intervention ist die Kunstausstellung in Wien zustande gekommen?
[Christine Sun Kim]: Die Stadt Wien habe ich schon öfters besucht, allerdings ich war noch nie in der Wiener Secession. Heute bin ich direkt vom Flughafen hierhergefahren und bin sehr beeindruckt von diesem imposanten Gebäude!
Die Leiterin des Hauses, Frau Ramesch Daha, war mit ihrem Team in Berlin und hat mich gefragt, ob ich Interesse hätte, meine Werke hier auszustellen. Nach dem Einverständnis meinerseits folgte eine lange Planungsphase. Die Wiener Secession kannte ich nur von Bildern, so haben wir online mittels Fotos und Videos die Positionierung meiner Werke besprochen. Es ist schön, ich bin glücklich damit!
[Helene Jarmer]: Aus deinen vielfältigen Werken befassen sich die hier ausgestellten Werke mit dem Thema Gehörlosigkeit und Musik. Kannst du uns mehr darüber erklären?
[Christine Sun Kim]: Mein Fokus liegt auf dem Thema – Echo. Beim Echo kommt Gesprochenes wieder zurück. Ich sehe da Parallelen mit dem Leben gehörloser Menschen. Gehörlose Menschen müssen Informationen immer wieder und wieder erfragen.
Oder Untertitel geben das Gesprochene schriftlich wieder – wie ein Echo. Das bedeutet, dass mein gehörloses Leben, wie ich es bisher erlebt habe, in diesem Rhythmus abläuft. Gehörlos sein bedeutet: IMMER WIEDER. Das findet sich in einem Großteil meiner Werke wieder, wie hier, das Auf und Ab im Leben.
[Helene Jarmer]: Ich habe mir Interviews von dir angeschaut. Du beschäftigst dich mit Gehörlosigkeit und Musik und versuchst Musik beispielsweise mit der Note „p“ näher zu bringen, die immer wieder vorkommt, auch als halbe Note. Was ist die Aussage dahinter?
[Christine Sun Kim]: Die Idee kam daher, weil ich überlegt habe, wo gehörlose Personen hineinpassen. Zu meiner Überraschung habe ich herausgefunden, dass gehörlose Menschen auch gut zur Musik passen. Das zeigt sich immer mehr und es steckt eine Menge Power darin. Vor ca. 10 Jahren habe ich mich intensiver damit beschäftigt, mit der Zeit hat sich mein Fokus auf andere Dinge verschoben.
[Helene Jarmer]: Du hast dich auch mit TV und Musikuntermalung beschäftigt. Oft zeigen Untertitel nur einen ganz kurzen Hinweis, wie „Traurige Musik“ oder „Fröhliche Musik“. Du hast dich damit auseinandergesetzt, wie man Musikuntermalung besser für die Zielgruppe erklären kann. Was ist aus dieser Idee geworden?
[Christine Sun Kim]: Ja, dazu habe ich mir viele Gedanken gemacht. Zum Beispiel steht im Untertitel zur Hintergrundmusik mit Klavier nur ein Wort der Information: „Musik“, Punkt aus! Oder nur „Triste Musik“. Ich habe mich damit beschäftigt, wie man Emotionen, die Musik hervorruft, in Texte umwandelt und das Gefühl für Zeit beschreibt. Man könnte ein Musikstück in einem ganzen Buch beschreiben. Das ist ein Weg, für mich aufzuzeigen, wie meistens wenig Information (zum Beispiel durch Untertitel) vermittelt wird. Aber auch, wie viel man vermitteln könnte, wie Zeit, Gefühle, sogar das ganze Leben.
[Helene Jarmer]: In deinen Werken finden sich auch Worte auf Häusern oder auf Bannern an Flugzeugen wieder. Was willst du mit diesen Aktionen bezwecken?
[Christine Sun Kim]: Du weißt, man unterscheidet bei Untertitel Open (OC) und Closed Captions (CC). Wenn man am Fernseher Untertitel einschalten möchte, dann muss man ewig nach den sogenannten CC suchen. Hat man diese endlich gefunden, werden sie eingeblendet. Der Inhalt ist somit offen, bzw. zugänglich. Erst, wenn ich die Untertitel finden kann, dann ist endlich OFFEN.
Im Vergleich dazu sind die Open Captions ins Bild eingebrannt. Egal ob hörend oder gehörlos, alle „müssen“ sie ansehen. Diese Thematik habe ich als Banner auf Flugzeugen und Gebäuden aufgegriffen. Der Text wird, wie bei den offenen Untertiteln, fix angebracht und soll für 2 Wochen bleiben. Alle vorbeifahrenden Menschen im Auto, vom Flugzeug aus oder Fußgänger bekommen das zu sehen, da es ins Auge springt.
Mein Anliegen dabei ist, dass hörende Menschen ständig daran erinnert werden, wie das Leben gehörloser Menschen aussieht. Diese Botschaften sollen wirklich eindringlich sein und so bei den hörenden Personen ankommen.
[Helene Jarmer]: In Interviews hast du mal erwähnt, dass du noch deinen Platz in der hörenden Community suchst. Anfangs in Begleitung von Dolmetscher, später suchst du deinen eigenen direkten Weg ohne Dolmetscher zu kommunizieren, schriftlich oder mit Gebärden. Wo siehst du deinen Platz in der Kunst? Künstlerin bzw. Aktivistin, mit dem Ziel, das Leben der Gehörlosencommunity in Kunst verpackt, politisch aufzuzeigen?
[Christine Sun Kim]:Interessant ist, als ich angefangen habe, mich mit dem Schwerpunkt Musik in der Kunst zu beschäftigen, da versuchten viele Menschen, meine Werke zu kommentieren. Sie versuchten, mich in einer Schublade zu zwängen: Ich – Gehörlos. Ich – Frau. Ich – Asiatin. Ich musste das akzeptieren, aber es war mir ein wenig zu politisch, wie man mit mir und meinen Werken umging.
Mit der Zeit änderte sich meine Kunstrichtung, ich beschäftige mich in meinen Werken mehr mit dem, was mich persönlich bewegt. Also die Ideen dahinter sind nicht politisch, sondern zeigen auf was mich berührt und das setze ich um. Meine Arbeit erreicht jetzt einfach mehr Leute, ich bin öffentlicher und das macht das Ganze auch wieder ein bisschen politischer. Ja, das überlappt ein bisschen.
[Helene Jarmer]: Du bist eine gehörlose Künstlerin, bist du auf der Suche nach deinesgleichen?
[Christine Sun Kim]: Ja, es gibt gehörlose Künstler, die ich auch persönlich kenne. Ich kenne deren Werke und sie meine, wir unterstützen uns gegenseitig, allerdings finden wir wenig Gemeinsamkeit. Die künstlerischen Richtungen sind sehr unterschiedlich, was ich gut finde, weil wir einfach sehr unterschiedliche Individuen sind. Wir konkurrieren dabei nicht, ich habe auch gute Freunde, die gehörlos und Künstler sind. Einer ist Architekt, einer Filmproduzent, also wir haben breit gefächerte Interessen.
[Helene Jarmer]: Herzlichen Dank für das Interview.
[Christine Sun Kim]: Danke für die Einladung.