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„Das Ziel ist ganz klar 100 % Barrierefreiheit für gehörlose Menschen“: Interview mit ORF-Leiter für Barrierefreiheit

Als öffentlich-rechtlicher Rundfunk hat der ORF die Aufgabe, ein Programmangebot für alle zu schaffen. Das inkludiert auch schwerhörige und gehörlose Personen, die seit 1.1.2024 die Haushaltsabgabe zahlen müssen. Dazu haben wir mit dem Leiter für Barrierefreiheit und Inklusion des ORF, Robert Ziegler, gesprochen. Im Interview erzählt er uns von neuen und geplanten barrierefreien Angeboten.

Bei den Untertiteln wurden kleine grammatikalische Änderungen vorgenommen, um die Verständlichkeit zu verbessern.

 

*Alternativlink zum Video: YouTube

 

Transkript:

[GWTV]: Der neue Spruch heißt “ORF für alle”. Welche Rolle spielen gehörlose Menschen und Menschen mit Behinderungen in diesem Konzept?

[Robert Ziegler]: Eine ganz große Rolle. Der ORF hat eine sehr lange Tradition, wenn es um barrierefreie Programmangebote geht. Schon seit mehr als 40 Jahren gibt es Untertitel. Damals waren es fünf Stunden am Tag, heute sind es 20.000 Stunden im ganzen Jahr und es werden immer mehr. Das Ziel ist ganz klar 100 % Barrierefreiheit für gehörlose Menschen in den nächsten Jahren. Vor allem was Untertitel betrifft, aber auch den Ausbau der Österreichischen Gebärdensprache.

[GWTV]: Wenn Sie sagen, in den nächsten Jahren, gibt es ungefähr da einen Zeitplan oder Ziele, die man erreichen will?

Wir haben zum einen per Gesetz einen Auftrag, dass wir das Angebot jährlich steigern müssen, in verschiedene Kategorien. Wir haben auch ein Anliegen als Unternehmen. Wir steigern sogar mehr. Wir haben im Vorjahr deutlich mehr an Untertitel-Steigerung geschafft, als vom Gesetzgeber vorgeschrieben.Spätesten 2030 wollen wir 100 % Untertitelung haben.

[GWTV]: Im letzten Jahr gab es ja sehr viele große Veränderungen beim ORF, vor allem die Einführung von Haushaltsabgabe. Da wird von vielen gehörlosen Menschen kritisiert, dass sie jetzt quasi dafür zahlen müssen, obwohl sie nicht alle Programmangebote konsumieren können.Wie wird das dann gerechtfertigt?

[Robert Ziegler]:  Gerechtfertigt wird, dass wir unsere Programmangebote für Menschen mit einer Hörbehinderung oder gehörlose Menschen ständig ausbauen. Gerade die neuen Plattformen, die wir haben: ORF ON… Sind wir dabei zu schauen, dass wir möglichst viele Programmangebote mit Untertiteln haben. Im linearen Fernsehen stehen wir bereit so da, dass wir 90 % aller Sendungen in ORF 1 und ORF 2 mit Untertiteln haben. Auf ORF 3 sind 60 %. Das, was jetzt noch fehlt, da werden wir uns ganz intensiv bemühen. Und eines, was wir neu haben, ist ORF Kids. Unser Kinderkanal, den es online gibt. Der ist überhaupt zu 99 % mit Untertiteln versehen.

[GWTV]: Gibt es konkrete Pläne zu Erweiterungen, vor allem von ÖGS-Dolmetschung bei Livesendungen oder regionalen Ereignissen?

[Robert Ziegler]:  Wir haben heuer mit etwas ganz etwas Neuem gestartet. Die Zickzack Mini gibt es seit Jänner mit ÖGS, und zwar ausschließlich auf ORF ON. Wir haben bei der Gebärdensprache einfach die Herausforderung:Wo bieten wir sie denn an? Untertitel kann ich ja jederzeit dazu schalten und auch wegschalten. Für die Gebärdensprache haben wir derzeit ORF 2 Europe. Dort können wir ausbauen. Das heißt aber auch, dass das ja auch begrenzt ist mit den Möglichkeiten, weil da kann nur ORF 2 angeboten werden. Da gibt es viele neue technische Möglichkeiten, Die Zukunft wird sicher sein, dass ich die Gebärdensprache vor allem auf Online-Plattformen wie ORF ON ausbauen kann, zum Beispiel die ZIB-Zack-Mini. Parallel bauen wir auch auf ORF 2 Europe aus. Wir haben jetzt im Juli begonnen die tägliche “Sport Aktuell”-Sendung jeden Tag von Montag bis Sonntag kurz vor 20:00 in Gebärdensprache anzubieten. Die nächsten Schritte werden sein, dass wir Richtung Hauptabend gehen. Da gibt es Überlegungen, was wir in den nächsten Jahren machen könnten. Wir wissen, dass vor allem Information und Service interessant ist. Wir könnten im Hauptabend das eine oder andere Magazin in Gebärdensprache anbieten, eine weitere Informationssendung. Wir sind dabei, das Team der Gebärdensprachdolmetscher aufzustocken. Wir kommen ja zum Teil auch an Grenzen. Wir könnten ja gar nicht bei dem Angebot jeden Tag Stunden Programm anbieten in ÖGS mit den Ressourcen von Gebärdensprachdolmetscher, die es gibt. Wir machen das Schritt für Schritt und wir wollen in den nächsten Jahren auf jeden Fall 700 Stunden im Jahr erreichen. Also, dass wir zumindest zwei Stunden am Tag mit ganz reichweitenstarken, wichtigen Informationssendungen anbieten können.

[GWTV] Sie sind Leiter für Barrierefreiheit und Inklusion hier. Haben Sie zufällig einen ÖGS-Kurs besucht?

[Robert Ziegler]: Ja, ich habe heuer im Februar bei Equalizent einen Crashkurs gemacht und habe es geschafft, A1.1 erfolgreich abzuschließen. Ich weiß, das ist die Basis, aber es ist ja eine Freude, dass ich zumindest jemanden fragen kann, wie es ihm geht.

[GWTV]: Haben Sie schon einen Gebärdenname?

[Robert Ziegler]: Noch nicht bekommen, aber es kann ja noch werden.

[GWTV]: Sie waren vorher Landesdirektor beim Landesstudio Niederösterreich. Bei den regionalen Sendern haben sich früher einige dagegen positioniert, selbst ÖGS-Dolmetschung anzubieten. Ändert sich da was im Bewusstsein oder ist der Fokus noch immer auf bundesweiter Ebene?

[Robert Ziegler]: Also was die Barrierefreiheit betrifft, haben wir zum einen einen großen Schritt heuer gemacht, dass wir “Bundesland Heute” mit Untertiteln anbieten. Die neun Regionalsendungen. Da hilft uns natürlich die technische Entwicklung, da hilft uns auch künstliche Intelligenz. Das Wort, das in aller Munde ist, in dem es mit automatischer Spracherkennung Transkripte erstellt werden, die von jemanden danach kontrolliert werden. Unmittelbar nach den neun Sendungen plus “Südtirol Heute”, also zehn Sendungen, können wir die “Bundesland Heute” auf ORF ON anbieten. Da wollen wir auch in absehbarer Zeit in den Live-Betrieb gehen. Das andere ist der ÖGS-Ausbau. Da war immer wieder ein Thema, dass gerade bei Wahlen, z.B. Landtagswahlen, es allein technisch nicht möglich war, regional österreichische Gebärdensprache anzubieten. Das haben wir insofern hier gelöst, da der ORF praktisch sämtliche Wahlen jetzt bundesweit ausstrahlt auf ORF 2. Also wir haben heuer schon die EU-Wahl gehabt, jetzt kommt die Nationalratswahl, da bieten wir selbstverständlich die Spitzenkandidaten Diskussion, den gesamten Wahlabend mit ÖGS an. Es kommen auch noch zwei Landtagswahlen, in der Steiermark und in Vorarlberg. Die werden auch in ORF 2 gesendet. Selbstverständlich gibt es die auch mit ÖGS-Angebot.

[GWTV]: Wir haben gerade von Untertitelung gesprochen und auch, dass diese teilweise mit KI gemacht werden. Wie funktioniert das?

[Robert Ziegler]: Wir haben eine ganz klare Linie. Wir können den Ausbau Richtung 100 % nur schaffen, indem wir auch den technischen Fortschritt nutzen. Was wir auf keinen Fall machen, dass wir einfach die Qualität von Untertiteln, die hier von qualifizierten Mitarbeiter erzeugt wird, durch irgendein KI Produkt ersetzen nach dem Motto: “Hauptsache es steht was dort.” Das heißt, wir nutzen die KI vor allem zum Ausbau, dort, wo wir sehen, dass wir mit den vorhandenen personellen Ressourcen es nie schaffen würden, wirklich auszubauen. Zum Beispiel das Programm von Sport +, auch, was bei ORF 1 und ORF 2 teilweise noch fehlt. Oder was wir ergänzen können auf ORF 3. Und wir sagen ganz klar, dort, wo Information drinnen ist, dort, wo wir sagen, es ist der Anspruch des ORF, als öffentlich-rechtlicher Rundfunk, der von allen Menschen in diesem Land finanziert wird, dass Qualität an erster Stelle steht. Dort werden Menschen auch in den nächsten Jahren und längerer Zeit die Untertitel erzeugen. Dort, wo wir weiter ausbauen, dort setzen wir KI ein. Zum Beispiel wollen wir nächstes Jahr Sport + mit einem automatisierten Programm anbieten, sodass auch gehörlose Menschen die Möglichkeit haben, hier Untertitel zu haben und das Programm mitverfolgen zu können.

[GWTV]: “Bundesland Heute” erscheint mit Untertitelung erst ein bisschen später auf ORF ON. Liegt es an dieser Kontrolle?

[Robert Ziegler]: Das liegt derzeit noch an der Kontrolle, wir haben ja sehr gute Erfahrungen. Wir haben dieses Projekt vor etwa einem Jahr gestartet und sind dann im Jänner damit on air gegangen. Und derzeit ist es so, dass die Kolleg:innen in den Landesstudios unmittelbar nach der jeweiligen Sendung das Transkript noch mal auf Fehler kontrollieren und auch korrigieren und dann freigeben für ORF ON. Jetzt sind wir dabei, ein Live-Tool zu entwickeln und zu schauen, welche Qualität es bringt. Hier ist auch die Qualität ein ganz wesentlicher Faktor. Unser Ziel ist, möglichst rasch im kommenden Jahr auch “Bundesland Heute” live anbieten zu können.

[GWTV]: Wie funktioniert das dann bei größeren Sendungen mit Live-Untertitelung, wie zum Beispiel die ZIBs? Wie kann da die Untertitelung denn live angeboten werden?

[Robert Ziegler]: Die wird live angeboten, indem hier Redakteur:innen in der Untertitelungsabteilung des ORF an dieser Sendung arbeiten. Zum Teil gibt es ja bei der ZiB schon vorbereitete Beiträge, aber es gibt auch sehr viele Live-Elemente und die werden mit Re-Speaking in Untertitel umgewandelt, weil eines, und diesen Anspruch kennen wir auch, es ist ja auch sehr wichtig in komplexen Situationen, bei Interviews, bei Diskussionen, die übernimmt der Mensch, der Untertitel erzeugt, auch die Aufgabe zusammenzufassen und klarzustellen, dass klare deutsche Sätze rauskommen. Sodass für gehörlose Menschen, die lesen, auch verständlich ist, worum es geht. Da gibt es auch keine Alternative, wo wir sagen würden, eine künstliche Intelligenz kann das in der Qualität von heute schon leisten.

[GWTV]: “Bundesland Heute” erscheint mit Untertitelung erst ein bisschen später auf ORF ON. Liegt es an dieser Kontrolle?

Das liegt derzeit noch an der Kontrolle, wir haben ja sehr gute Erfahrungen. Wir haben dieses Projekt vor etwa einem Jahr gestartet und sind dann im Jänner damit on air gegangen. Und derzeit ist es so, dass die Kolleg
in den Landesstudios unmittelbar nach der jeweiligen Sendung das Transkript noch mal auf Fehler kontrollieren und auch korrigieren und dann freigeben für ORF ON. Jetzt sind wir dabei, ein Live-Tool zu entwickeln und zu schauen, welche Qualität es bringt. Hier ist auch die Qualität ein ganz wesentlicher Faktor. Unser Ziel ist, möglichst rasch im kommenden Jahr auch “Bundesland Heute” live anbieten zu können.

Da tun sich ja auch manchmal Menschen, die das Untertitelangebot nicht brauchen, schwer, wenn ein Wirrwarr an Stimmen ist. Und gerade bei Untertiteln ist es so wichtig, dass ganz klar lesbare Sätze dastehen. Manchmal frei von Füllwörtern, sodass ich sehr klar dem Ganzen folgen kann. Das ist das oberste Ziel, dass Menschen, die die Untertitel nutzen, auch wirklich davon profitieren und nicht nur Wortfetzen dort stehen haben.

Foto/Video Credits: Gebärdenwelt.tv
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