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„Meine Ängste, meine Gedanken“: Schauspielerin Miriam Garlo über neuen Film „Sorda“

Die Hauptrolle im neuen Film „Sorda“ wird von der gehörlosen Schauspielerin Miriam Garlo gespielt.
Genau wie ihr Charakter im Film übernimmt Garlo mehrere Rollen: Sie ist Doktorin, Schauspielerin und hat am Drehbuch maßgeblich mitgewirkt. Im Interview spricht sie über den neuen Film – und darüber, wie es war, Gebärdensprache erst mit 30 Jahren zu lernen. 

 

*Alternativlink zum Video: YouTube

 

Transkript:

Das Transkript wurde aus dem englischen Interview übersetzt. Die Antworten von Miriam Garlo sind daher auf die englische Übersetzung des Dolmetschers basiert, und nicht direkt aus ihren Angaben in Spanisch.

 

[GW.tv]: Miriam Garlo, wir sind hier, um über Ihren neuen Film zu sprechen. Sie spielen also die Hauptrolle. Wie würden Sie Ihren Charakter beschreiben?

[Miriam Garlo]: Ich würde den Charakter so beschreiben: Wir sind uns ähnlich, auf unterschiedliche Weise, aber gleichzeitig sind wir unterschiedlich. Wir haben beide die Erfahrung, gehörlos zu sein. Und so können wir unsere Lebenssituation verstehen. Aber gleichzeitig sind wir auch anders. Angela ist eine Person, die wirklich stark ist und weiß, wie man mit der Situation umgeht. Sie kommt somit durchs Leben. Gleichzeitig weiß sie, wo sie die Grenzen setzen muss, wo sie sich die Zeit zum Reagieren nehmen muss, wenn sie mit verschiedenen Szenarien in ihrem Leben konfrontiert wird.

[GW.tv]: Was war für Sie als Schauspielerin die schwierigste Szene? Eventuell die Geburtsszene?

[Garlo]: Man könnte sich vorstellen, dass die Geburtsszene die schwierigste für mich wäre. Aber für mich war die Diskussion am Ende des Films am schwierigsten. Das hat viel Zuhören und Reagieren mit dem Gegenüber erfordert, aber man hat auch gleichzeitig antworten müssen. Für mich war es wirklich schwer, diese angespannte Situation und Atmosphäre zu schaffen. Diese Atmosphäre war aber notwendig für die Szene. Für mich war es am schwierigsten, diese Realität darzustellen.

[GW.tv]: Dieser Film ist nun also die Spielfilm-Version eines Kurzfilms, auch mit dem Titel „Sorda“, in dem du ursprünglich auch gespielt hast. Was war der größte Unterschied zwischen dem Kurzfilm und den Dreharbeiten für diesen längeren Spielfilm?

[Garlo]: Der große Unterschied für mich war, dass der Kurzfilm näher an meiner eigenen Erfahrung war. Es waren meine Ängste, meine Gedanken, die ich mit der Regisseurin, meiner Schwester, geteilt habe. Wir haben unsere gemeinsame Realität gezeigt. Beim Spielfilm wollten wir uns von der Geschichte mehr trennen. Mit dieser Grundlage wollten wir den Charakter Angela schaffen. So haben wir diese Geschichte und ihre Eigenschaften schaffen können: ihre Persönlichkeit, ihre Ängste und auch ihre außergewöhnliche Denkweise. Wir wollten nicht, dass es ein Dokumentarfilm über mein Leben wird. Wir wollten etwas anderes schaffen, das wir als gehörlose Frauen teilen, aber trotzdem eine andere Geschichte mit einer anderen Person.

[GW.tv]: Der Titel lautet „Sorda“, also „gehörlos“. Gehörlos zu sein ist auch ein wesentlicher Teil der Geschichte. Wie war es, mit Ihrer Schwester zusammenzuarbeiten – auch im Zusammenhang mit dem Drehbuch? Wie wichtig war es Ihnen, zu zeigen, wie ein Leben als gehörlose Person ist?

[Garlo]: Unser Hauptziel war es also, eine reale Figur zu schaffen – das heißt mit Niederlagen, Fehlern und Wünschen. Wir wollten eine Person erschaffen, die komplex ist, die auch frustrierende Situationen erlebt hat. Eine Person mit hellen und dunklen Seiten. Wir wollten keine perfekte Figur, die immer nur lacht. Wir wollten eine Person, die mit allem verbunden ist, was in ihrem Leben passiert. Gehörlos zu sein ist also nur eine Sache, die sie erfahren hat. Wir wollten also eine komplexe Figur, die aber sehr normal ist – also eine Person wie jede andere in der Gesellschaft, die einfach auch gehörlos ist.

Wir wollten das Stigma, die negativen Vorurteile, nicht explizit ansprechen. In der Filmkunst findet man wenige Beispiele zum Thema Gehörlosigkeit. Wir wollten keine Person zeigen, die Gehörlosigkeit repräsentiert. Wir wollten niemanden belehren. Wir wollten keine Vertreterin aller gehörlosen Menschen darstellen. Wir wollten einfach eine Frau zeigen, die verschiedene Sachen in ihrem Leben erfahren hat – Sachen, die sie beeinflussen würden. Also eine gehörlose Frau, aber auch eine Künstlerin, eine Partnerin und eine Mutter. All diese Dinge bereichern ihre Geschichte, da sie in ihrem Leben viele Rollen einnimmt. Gehörlos zu sein war nur eine davon. Wenn sich also nicht jede gehörlose Frau dadurch repräsentiert fühlt, ist das okay. Das heißt, dass diese Darstellung gut gelungen ist, weil es uns nicht darum ging, eine Vertreterin aller gehörlosen Frauen zu zeigen.

[GW.tv]: Im Film spielt die Gebärdensprache eine sehr wichtige Rolle. Sie sind im Alter von sieben Jahren ertaubt. Sie haben aber die LSE (Anm.: Spanische Gebärdensprache) erst mit dreißig Jahren gelernt. In dieser Zwischenzeit haben Sie auch einen Doktortitel gemacht. Wie war das? Wie haben Sie damals kommuniziert? Und wie war es, nachdem Sie die Gebärdensprache gelernt haben?

[Garlo]: Ich habe mit dieser Erfahrung gelebt, und für mich war es einfach normal. Mir war nicht bewusst, was vor sich ging. Ich würde sagen, ich habe in einem Überlebensmodus gelebt. Mir war das einfach nicht bewusst. Ich habe von den Lippen abgelesen. Ich habe dreimal so viele Bücher wie meine Studienkolleg:innen gelesen. Nur so habe ich alles aufnehmen können, was wir gelernt haben. Ich war wirklich müde, weil ich mich doppelt so viel anstrengen musste wie alle anderen. Das war mein Leben von meinem 7. bis zu meinem 30. Lebensjahr. Wie gesagt: Mir war einfach nicht bewusst, dass es anders hätte sein können. Ich wusste es einfach nicht.

Ich verstehe es gerne so: Bei Menschen, die ihre Sexualität nicht frei ausleben können, sagen wir dazu: „Sie leben im Schrank.“ Für mich war es also ein sehr ähnlicher Ansatz. Ich lebte im Schrank und schützte mich im Schrank. Es war also erst im Alter von 30 Jahren, dass ich rauskommen konnte. Und dann war ich […] Ich lernte dazu und mir wurde bewusst […]. Ich erlaubte es mir selber, Gebärdensprache zu lernen und die Gehörlosen-Community kennenzulernen. Davor habe ich nie Kontakt mit der Community oder mit anderen gehörlosen Menschen gehabt. Und dann lernte ich – und dann war ich einfach völlig überwältigt. Es war so, als ob ich all diese Puzzleteile in die Luft geworfen hätte und sie dann wieder gelandet wären. Aber diesmal ist eine neue Person aus diesen Puzzleteilen entstanden. Nämlich ich, wie ich jetzt bin. Also dieselbe Person, die ich schon war, nur mit einer neuen Realität. Ich bin dieselbe Person – nur mit Wissen und Ressourcen über die neue Realität. Und jetzt habe ich eine Atmosphäre um mich herum, die mich schützt.

[GW.tv]: Wie war das Feedback von der Gehörlosen-Community zum Film?

[Garlo]: Wir haben also so viele verschiedene Meinungen gehabt. Aber ich denke, es ist der Grundstein von etwas Neuem, und wir eröffnen Denkweisen. Es gab gehörlose Menschen, die sich sehr gut mit dem Film identifizieren konnten. Für sie beschreibt der Film ihr alltägliches Leben. Auch gehörlose Männer identifizierten sich – aus Spanien und auch international. Ich erinnere mich, als wir bei der Premiere in Berlin waren, und wir haben eine besondere Vorführung für gehörlose Personen gemacht. Es gab viele Männer, die sagten, dass der Film genau ein Spiegelbild ihres Lebens sei – also ein Spiegelbild vom Leben im Alltag.

Es gab Menschen, die sich damit identifizieren konnten, aber es gab auch andere gehörlose Menschen, die ein anderes Leben haben. Und naja, sie konnten einige Entscheidungen von Angela einfach nicht nachvollziehen, da sie als Mutter oder Vater selbst nicht so entschieden hätten. Sie hätten andere Entscheidungen getroffen. Aber die meisten sind dankbar für den Film. Für sie war der Film eine Möglichkeit, zu erklären, wie ihr Leben als gehörlose Person ist. Sie können ihren Familien, Partner:innen, Brüdern und Schwestern erklären, wie es für sie ist. Im Alltag führen sie mit ihren Nächsten solche Gespräche normalerweise nicht. So wird es möglich, eine kommunikative Atmosphäre zu schaffen. Vielleicht haben sie sich von den Eltern nicht verstanden gefühlt. Dank des Films gibt es eine Möglichkeit, es ihnen zu zeigen. Jetzt kann man darüber sprechen.

Es gab auch einige Leute, die ein bisschen genervt waren – speziell von der Figur der Angela. Das ist nicht schlecht, denn das bedeutet, dass Angela eine Projektion ist, in der sie sich wiederfinden. Wenn sie Angela sehen, empfinden sie Schmerz. Weil sie nicht wissen, wie sie damit umgehen, reagieren sie gegen den Film. Aber das waren nur sehr wenige Menschen. Die Mehrheit der Menschen war sehr dankbar. Sie sagten, dass der Film ein sehr nützliches Werkzeug sei, um mit Angehörigen offen darüber zu kommunizieren und ihnen dieses Thema zu erklären.

[GW.tv]: Nach der ersten Vorführung in Wien haben wir mit einigen Personen gesprochen. [GW.tv]: Sie haben sich gefreut, dass eine gehörlose Figur wieder dargestellt wird, aber Gehörlosigkeit wird wieder negativ dargestellt – also, dass die Figur wieder mit ihrer Gehörlosigkeit kämpft. [GW.tv]: Die Figur hat keine Chance, Deaf Pride zu zeigen. [GW.tv]: Was ist Ihre Meinung zur Darstellung von Gehörlosigkeit in den Medien?

[Garlo]: Aus der Perspektive von Angela: Ich kann diese Kritik von ihr in dieser Situation nicht wirklich nachvollziehen. Wir sehen Angela in einem sehr verletzlichen Moment, als alles wirklich schwierig ist. Sie steht kurz davor, ein Baby zu bekommen. Davor lebte sie in einer sehr komfortablen Welt mit einer Beziehung zu ihren Eltern und zu ihrem Partner, Hector. Dann kommt das Baby, und alles wird über den Haufen geworfen. Ich glaube, sie ist stolz auf sich als gehörlose Person – also dieses Gefühl ist immer noch in ihr drinnen. Deswegen muss sie eine Verbindung zu ihrer Tochter herstellen. Sie glaubt nämlich, dass beide mit dieser Verbindung erfolgreich sein werden. Aber in Wirklichkeit sehen wir sehr wenig von Angelas Leben. Wir sehen sie, als sie eine Depression nach der Geburt erlebt. In dieser Zeit ist sie nicht die beste Version ihrer selbst. Also, ich denke, wenn wir sie zwei Jahre später durch ein kleines Fenster beobachten könnten, wäre das ein völlig anderes Szenario.

Meine Schwester als Regisseurin und ich haben Angela von folgendem Standpunkt aus geschrieben: Wir denken, dass sie schon stolz darauf ist, gehörlos zu sein. Doch stolz zu sein bedeutet nicht, dass sie jederzeit glücklich über ihre Gehörlosigkeit ist. Sie wird nicht immer froh darüber sein. Ich denke, es ist etwas komplexer. Aber das ist so, wie wir den Charakter uns vorgestellt haben. So haben wir es aufgenommen.

[GW.tv]: Wir hoffen, Sie bald wieder auf der großen Leinwand zu sehen! Vielen Dank für Ihre Zeit.

[Garlo]: Vielen Dank. Wir werden sehen, was passiert. Aber was auch immer passiert, es wird in Ordnung sein.

Foto/Video Credits: Filmladen / Gebärdenwelt.tv
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