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Interview mit Heike Heubach — Deutschlands erste gehörlose Abgeordnete

Als erste gehörlose Abgeordnete im deutschen Bundestag hat Heike Heubach letzes Jahr Geschichte geschrieben. Am 10. Oktober hat sie ihre erste Rede im Plenum abgehalten —  die erste in Deutscher Gebärdensprache. Heute wählt Deutschland einen neuen Bundestag und Heike Heubach kandidert wieder für die SPD. Trotz der Kampagne hat sie die Zeit gefunden, uns ein Interview zu geben.

 

*Alternativlink zum Video: YouTube

 

Dieses Interview wurde auf DGS und ÖGS mit deutscher Dolmetschung geführt.

Transkript:

[GW.tv]: Hallo!
[Heike Heubach]: Hallo!
[GW.tv]: Danke, dass wir hier beim Interview zusammen sitzen können. Können Sie sich kurz vorstellen?
[Heike Heubach]: Ja, gerne. Ich bin Heike Heubach. Ich bin die erste taube Bundestagsabgeordnete in Deutschland. Der Bundestag in Deutschland ist so wie das Parlament in Österreich.

[GW.tv]: Im März letztes Jahr sind Sie die erste gehörlose Abgeordnete im deutschen Bundestag geworden. Wie war dieser Moment für Sie? Wie haben Sie das erlebt?

[Heike Heubach]: Ja. Das erste Mal in den Bundestag zu kommen, das war für mich natürlich was ganz Neues. Es gab noch nie eine taube Person, die Abgeordnete war. Und das Gefühl war Freude für mich. Aber auch für die ganze Community. Für Deutschland, für Europa, für die Welt. Dass man sieht. In Deutschland gibt es eine taube Abgeordnete, in Österreich gab es ja schon mal eine Abgeordnete und ich darf sagen, wir in Deutschland dürfen uns darauf freuen. Dann bin ich sehr stolz für mich und für die Community.

[GW.tv]: Ja, das verstehe ich. Darauf können Sie auch wirklich sehr stolz sein. Gab es viel Unterstützung aus der Gehörlosen-Community?

[Heike Heubach]: Da gibt es Unterstützung, ja, viel Unterstützung. Es gibt auch Leute, die denken, “Das passt überhaupt nicht.” Aber gut, die gibt es immer, überall. Von daher gibt es viel Unterstützung, viel Freude auch darüber. Und das ist ja nicht nur was Besonderes für die Deaf-Community, sondern auch für Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen, die queer sind, Frauen… Von all diesen Menschen bekomme ich die Rückmeldung, dass es was Besonderes für sie ist, dass da jemand ist, der sozusagen Repräsentant ist. Auch Repräsentantin ist für diese Menschen.

[GW.tv]: Ich kann das auch in den sozialen Medien sehen, sobald es etwas Neues gibt, das wird dann ganz schnell verbreitet. Es wird auch viel kommentiert, das geht ganz schnell. Wenn in der Politik eine gehörlose Person involviert ist, dann ist das immer etwas ganz Besonderes für die gehörlosen Community. Die Freude, dass sich endlich wieder etwas verändert hat, im Gegensatz zu davor.

[Heike Heubach]: Also Erwartungen hatte ich eigentlich keine. Als ich eingezogen bin, wusste ich klar, ich bin die erste taube Abgeordnete. Aber so richtig bewusst ist es mir erst später geworden. “Ich bin es wirklich? Ich bin die erste gehörlose Abgeordnete?” Das hat eine Zeit gebraucht und ich freue mich, da die Repräsentantin zu sein.

[GW.tv]: Ja, das ist echt schön. Sie sind im Bundestag, wo viele Personen und Politiker:innen vor Ort sind. Werden Sie manchmal von anderen Politiker:innen wegen Ihrer Gehörlosigkeit unterschätzt oder sogar diskriminiert? Ist Ihnen das schon mal passiert?

[Heike Heubach]: Nein, also bis jetzt nicht. Klopfe ich auch aufs Holz. Also dass jemand sagt, “Taube können das nicht”, oder dass es negative Kommentare oder Diskriminierung gab, das ist mir bisher nicht passiert. In der SPD-Fraktion ist vor allem Freude da und in meiner eigenen Fraktion wurde ich sehr herzlich aufgenommen. Die sagten alle: Herzliches Willkommen! Ich hab Unterstützungsangebote bekommen und auch Leute, die so ein bisschen Gebärden lernen oder lernen wollen. Und neben uns die Fraktion der Grünen. Die haben sich auch sehr gefreut und ihre volle Unterstützung ausgesprochen. Sie haben sich gefreut. Das heißt, man sieht schon, dass die demokratischen Parteien da auch zusammenhalten und ich hoffe, dass es weitergeht. Mal sehen.

[GW.tv]:  Dass Sie im Bundestag sind, das verdient großen Respekt. Ihr erstes Jahr im Bundestag ist fast vorbei. Was waren für Sie Ihre größten Errungenschaften?

[Heike Heubach]: Also Erfolg oder was sonst besonders war. Meine erste Rede, die war am 10. Oktober im Bundestag. Das Thema war die Baugesetzes-Novelle. Da habe ich das Thema mit dem Thema Klimaschutz verbunden, weil sich das Thema eben verändert und wir da auch Maßnahmen ergreifen müssen, um Resilienz zu bauen. Und ich durfte dann zu diesem Thema reden und das war für mich ja also ein historischer Tag. Das gab es eben noch nicht, dass jemand in Gebärdensprache im Deutschen Bundestag eine Rede gehalten hat. Und ich stand dann dort am Rednerpult. Ich durfte dort stehen und vielleicht ist das in Österreich schon bekannt durch die Helene Jarmer. Ja, aber für uns in Deutschland war das was Besonderes. Ein historischer Tag.

Und außerdem hatte ich auch am 1. Dezember mitbekommen, dass ich die beste Rede des Jahres gehalten habe. Also ich habe eine Auszeichnung bekommen und ich muss sagen, dass ich nominiert bin oder dass es so eine Vorauswahl gab, darüber habe ich gar keine Nachricht bekommen. Eine Kollegin hatte mir dann die Nachricht: “Du hast die beste Rede des Jahres, den Preis erhalten.” Mein Gott, wie schön! Ich bin sehr, sehr stolz auf mich. Aber auch für die Community, dieses Zeichen zu setzen, diese Wertschätzung der Sprache und der Kultur zu erfahren, dass die erste Rede, die in Gebärdensprache gehalten wurde, dann auch noch die Beste des Jahres in Deutschland ist. Also das war schon sehr krass.

[GW.tv]: Das ist schon ein tolles Gefühl, in Gebärdensprache vorzutragen, da es ja Ihre Muttersprache ist. Das haben Sie uns ja schon erzählt. Wie sieht ein typischer Arbeitstag für Sie aus?

[Heike Heubach]: Ja. Also im Alltag… In diesem Jahr würde ich sagen, ungefähr 20 Wochen bin ich in Berlin. Und den Rest der Zeit bin ich im Wahlkreis. Augsburg-Land und Aichach-Friedberg sind meine Wahlkreise, das ist so im Süden von Bayern/Schwaben. Und mein Alltag sieht so aus, wenn ich hier in Berlin bin. In der Sitzungswoche dann komme ich montags an und habe dann am Nachmittag Gespräche mit meinen Kolleg:innen. Wir besprechen die Woche, gucken, was für Termine anstehen. Abends bin ich bei der Bayerischen Landesgruppensitzung.

In Deutschland gibt es ja 16 Bundesländer und damit gibt es dann auch 16 Landesgruppen. Also zum Beispiel gibt es die Bayern-SPD, die Baden-Württemberg-SPD, und bei der Landesgruppe kommen eben alle Abgeordneten der Landesgruppe zusammen und diskutieren, was für die Woche ansteht, was für die Wahlkreise wichtig ist, welche Themen gerade aktuell sind. Es werden Ideen oder Herausforderungen ausgetauscht und darüber gesprochen.

Und dann am Dienstag, also ein Tag wie heute, da gehe ich entweder ins Büro oder zu einem parlamentarischen Frühstück oder zu einem anderen Termin, je nachdem, was ansteht, und habe dann meine Arbeitsgruppe. Ich bin ja im Ausschuss Bauen und Wohnen. Es gibt eine AG Bauen und Wohnen, und da tauschen wir uns dann aus, was jetzt ansteht, was für die kommende Ausschusssitzung wichtig ist, welche Themen besprochen werden sollen, welche nicht. Wir bereiten sozusagen den Ausschuss vor.

Und dann am Nachmittag, also nach dem Mittagessen…Es gibt in der SPD drei Strömungen: “Das Netzwerk”, “Die Parlamentarische Linke” und “Die Seeheimer”. Und ich bin in der Parlamentarischen Linken, der gehöre ich an, und das ist sozusagen wiederum eine Untergruppe in der SPD, wo sich noch mal Menschen zusammenfinden, die ähnliche Überzeugungen haben. Da tauschen wir uns aus und anschließend ist dann die Fraktionssitzung.Kann sein, dass der Tag mal länger geht, dass das mal kürzer geht. Das kommt darauf an, wie viel gerade aktuell ansteht. Jetzt steht aktuell viel an, also würde es etwas länger dauern. Da gibt es mehr Diskussionen, mehr Themen, die besprochen werden. Es wird auch darüber gesprochen, wer im Parlament in der Sitzung eine Rede halten wird, zu welchem Thema, wie lange das geht.

Und dann mittwochs ist es so, dass ich auch wieder früh ins Büro gehe oder zu einem Termin. Das ist unterschiedlich. Und dann habe ich meinen Ausschuss “Bauen und Wohnen” die Termine im Kalender. Das geht dann sozusagen immer bis 13:00 und dann geht nämlich die Plenarsitzung los und die geht dann bis Freitag. Es gibt mittwochs immer noch mal eine Regierungserklärung, mal vom Kanzler oder eine Regierungsbefragung, die nachmittags stattfindet. Gleich gibt es auch mal eine Aktuelle Stunde und dann im Plenum, dann geht es am Donnerstagmorgen weiter. Der Donnerstag ist in der Regel ein sehr langer Tag. Da geht es schon mal bis nachts, also bis wirklich alles fertig ist, bis die letzten Anträge diskutiert und besprochen sind. Dann ist erst Ende. Und jetzt? Morgen wird ein langer Tag. Es gibt sehr, sehr viele Anträge. Das kann also spät werden, morgen und übermorgen. Am Freitag ist dann noch mal Plenarsitzung und dann fahre ich in der Regel nach Hause.

Am Wochenende habe ich meistens dann im Wahlkreis Termine oder habe mir auch mal für meine Familie Zeit genommen. Und die Zeit im Wahlkreis, da sind die Termine anders. Auch da ist die Woche anders getaktet. Nicht genauso wie in Berlin, sondern im Wahlkreis. Gucken wir, was es im Wahlkreis gerade aktuell gibt: Termine mit Bürgermeister:innen, mit Baugenossenschaften, mit der Jugend, mit Schulen, die ich besuche. Die Gehörlosen-Schule… Es ist ganz unterschiedlich. Das heißt, Berlin, da habe ich meinen Ausschuss, und in dem Wahlkreis ist es ganz anders. Aber es macht alles wahnsinnig viel Spaß. Also es ist sehr umfangreich, aber es macht enorm viel Spaß. Spaß ist dabei auch wichtig.

Also, für den Bundestag kandidiere ich noch mal für den Landtag. Ich wurde schon 2023, oder Moment mal… Ja, da ist die Wahl schon gelaufen, und ich bin nicht im Landtag, weil ich gerne im Bundestag bleiben möchte. Da gibt es andere Genossinnen und Genossen, die im Landtag vertreten sind. Ich möchte gerne im Bundestag bleiben und den Weg weitergehen. Das heißt genau, also jetzt am 23. Februar ist die Neuwahl. Die wurde ja vorgezogen, weil die sogenannte Ampelkoalition auseinandergegangen ist. Es sollte erst Ende September die Wahl sein, jetzt ist es vorgezogen worden. Das heißt, wir haben einen knackigen Winterwahlkampf, der kurz ist und kühl! Durch die vorgezogenen Wahlen habe ich jetzt einfach noch mal viel, viel mehr Termine, eine große Taktung, ich war schon sehr, sehr viel unterwegs, aber ich freue mich drauf. Also am 24. Februar ist dann alles vorbei. Es macht ja auch Spaß, aber es sind wirklich sehr, sehr viele Termine.

[GW.tv]: Die letzten Monate waren in Deutschland und in Österreich besonders stürmisch. In Deutschland ist die Ampelkoalition am 6. November geplatzt. Wie haben Sie diese Zeit als SPD-Politikerin miterlebt?

[Heike Heubach]: Also, der 6. November war… Ich bin ein allgemein positiver Mensch. Und ich habe vorher schon gesagt: „Nee, die Ampel wird halten.“ Diejenigen, die die Verantwortung übernommen haben, an der Spitze der Grünen, FDP, SPD, sind sich ihrer Verantwortung bewusst und wissen, dass sie bis zur nächsten Wahl durchhalten. Also das war immer der Tenor, in den ich gesprochen habe. Und ich hatte an dem Tag tatsächlich noch mal eine Gruppe zu Besuch. Sie haben gefragt: „Wie sieht es aus? Wird die Ampel bald zerbrochen sein?“ „Nein, die sind sich alle ihrer Verantwortung bewusst. Sie halten durch bis zum Ende“. Und drei Stunden später habe ich große Augen gemacht, weil dann war tatsächlich das, was ich nicht erwartet hatte, passiert: Die Koalition ist auseinandergebrochen. Ich denke, es war erst mal der richtige Weg. Also es gab einfach eine Partei, mit der war nicht mehr zusammenzuarbeiten, und es gab ganz oft sozusagen den Wunsch, etwas zu tun, und die Idee und den Willen. Aber man kam nicht weiter, weil er blockiert wurde von einer Seite. Von daher war die Zeit gekommen, dass es zu Ende gegangen ist. Man muss das positiv sehen.

[GW.tv]: Wie haben Sie diesen Tag erlebt?

[Heike Heubach]: Also, der Tag, an dem die Ampel zerbrochen ist, da hat leider Olaf Scholz (SPD) den Christian Lindner (FDP) rausgeschmissen und entlassen. Und am Abend hatten wir dann sofort eine außerordentliche Fraktionssitzung, wo alle herbeigerufen wurden. Und dann hieß es ja: Also, die Koalition ist jetzt beendet, und ich war ja gerade noch frisch dabei. Ja, ich denke, allgemein ist es aber gut, und wir müssen auch positiv in die Zukunft schauen. Wenn wir uns jetzt weiter auf das Negative konzentrieren, das hilft uns nicht, das bringt uns nicht weiter.

[GW.tv]: Aktuell steht die SPD in den Prognosen mit rund 16 % auf Platz 3 hinter CDU/CSU und der AfD. Wie möchte die SPD nach der Wahl vorgehen? Wieder eine Minderheitenregierung?

[Heike Heubach]: Zuerst müssen wir den Moment mal abwarten. Die SPD hat klar gesagt, dass sie nicht mit den Rechten, also mit der AfD, zusammenarbeiten wird – die sogenannte Brandmauer. Mit allen demokratischen Parteien ist sie aber bereit zu sprechen und dann zu schauen, welche Koalitionen es geben kann. Es gibt keine weitere Voraussage, mit wem oder was. Also eine ganz klare Botschaft ist da: Die Rechten auf keinen Fall. Wird die Geschichte von 1933 wiederholt? Da ist ganz klar: Das wird es nicht wieder geben.

[GW.tv]: Jetzt kommen wir zur letzten Frage. Haben Sie eine Botschaft für die Gehörlosen-Community in Österreich? Möchten Sie der Community etwas mitgeben?

[Heike Heubach]: Also die Botschaft für taube Menschen ist ganz klar: „Mut.“ Seid mutig. Das passt für Österreich ebenso wie für Deutschland. Seid mutig. Wer Diskussionen bestreiten will und wer sich für etwas engagiert, der braucht einfach Ausdauer, Mut und darf nicht aufgeben. Das ist meine Botschaft.

Foto/Video Credits: Gebärdenwelt.tv
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