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Gehörlose Stadträtin Julia Probst zur Anerkennung von DGS als Minderheitensprache

In vielen Ländern laufen aktuell Versuche, die nationale Gebärdensprache als Minderheitensprache anerkennen zu lassen. Viele Aktivist:innen hoffen damit, große rechtliche Vorteile zu schaffen. In Deutschland kämpft die erste gehörlose Stadträtin Bayerns, Julia Probst, für diese Anerkennung.

 

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GwTv:Hallo! Wir unterhalten uns heute über Politik. Aber bevor wir ins Thema eintauchen, möchtest du dich kurz vorstellen?

JP: Ja, mein Name ist Julia. Ich bin die erste gehörlose Kommunal-Politikerin in Weißenhorn, Deutschland. Ich bin als Stadträtin tätig. Ich setze mich für Inklusion und Barrierefreiheit ein.

GwTv: Beeindruckend, dass du als erste gehörlose Person in Bayern so eine Position einnimmst. Kommen wir kurz zur nationalen Ebene. Die Thematik rundum Minderheitensprachen ist ja schon länger in Diskussion. Wie stehst du dazu? Magst du uns etwas darüber erzählen?

JP: Die Chancen einer Minderheitensprache sind sehr wichtig für uns. Das führt zu mehr Rechten und Anerkennung für Gebärdensprachen und zu mehr Schutz für unsere Sprachgemeinschaft. Normalerweise hätten wir uns für die Wahl im September konkrete Forderungen dazu überlegt. Dann kam es aber anders und die Ampelkoalition ist gescheitert. Dann waren wir vor die Herausforderung gestellt, das Thema rascher zu diskutieren. Wir haben einen Antrag verfasst und viele wichtige Punkte diskutiert. Wir haben Forderungen ausformuliert und diskutiert, was es braucht. Der Antrag ging durch und wurde dann im Parlament beim Parteitag diskutiert und angenommen. Es wurde dann ins Wahlprogramm aufgenommen. Wir haben uns sehr gefreut, denn wir haben hart dafür gearbeitet. So ist Politik.

GwTv: Okay, wow, nicht so einfach. In Deutschland gibt es ja bereits vier nationale Minderheiten. Warum denkst du, sollte die deutsche Gebärdensprache (DGS) auch eine davon werden?

JP: Wie auch für jede Selbsthilfegruppe, ist das erst einmal eine Geldfrage. Der Minderheitenstatus würde nicht nur mehr finanzielle Mittel, sondern auch mehr Schutz und Rechte bedeuten. Beispielsweise müssen dann Lehrer:innen in Gehörlosenschulen Gebärdensprache können. Also hier geht es auch darum, Kompetenzen zu erweitern. Es steigt auch automatisch der Stolz gehörloser Personen.Die dänische nationale Minderheit hat in Deutschland beispielsweise eigene Schulen und Kindergärten. Das wären wunderbare Chancen für gehörlose Personen. Es braucht eigene Bildungseinrichtungen mit Hauptfokus auf Gebärdensprache. Es ist wichtig, von der defizitorientierten Sichtweise wegzukommen und sich auf das Positive, wie die Kultur, zu konzentrieren. Das ist das Ziel und damit auch zukunftsträchtig mehr Chancengleichheit. Die Verbindung von Sprache und Kultur ist hier natürlich ganz wichtig. Das ist sehr nachvollziehbar.

GwTv: Welche Vorteile würde die Anerkennung als Minderheitensprache für gehörlose Personen bringen?

JP: Ich denke, ein Vorteil ist, dass die Verwendung von Gebärdensprache sichergestellt ist. Wir alle kennen die Situation, wenn ein gehörloses Kind in eine hörende Familie geboren wird. Ärzt:innen raten da weiterhin meist zum CI. Dabei ist die Kommunikation das Wichtigste. Hören ist vollkommen unwichtig. Kommunikationsmöglichkeit ist der entscheidende Punkt.Die Anerkennung der Gebärdensprache würde zu einer neuen Perspektive für Ärzt:innen führen. Sie würden dann vielleicht beides empfehlen: einen bilingualen Weg, z. B. mit Gebärdensprache und CI. Man muss das ja nicht immer in zwei unterschiedliche Ansätze trennen. Das ist das Wichtigste. Ich sehe aber nicht nur Vorteile für gehörlose, sondern auch für hörende Personen. Viele hörende Personen kommen kaum in Kontakt mit gehörlosen Personen. Sie haben wenig Bewusstsein über Gebärdensprachen oder Gehörlosenkultur. Da sehe ich den Minderheitenstatus als Chance, zu zeigen, dass wir eine Kultur haben und auch stolz darauf sind. Das sehe ich als Ziel.

GwTv: Du siehst auch den Vorteil für gehörlose Kinder und die Art und Weise, wie sie aufwachsen.

JP: Ja, ganz genau.

GwTv: In Österreich ist die Förderung von Dolmetschleistungen ja stark an den Behindertenstatus geknüpft. Man braucht sozusagen einen Behindertenausweis, um Dolmetschleistungen in Anspruch nehmen zu können. So ist das in Österreich. Wie lief das in Deutschland bislang?

JP: In Deutschland gibt es auch einen Schwerbehindertenausweis.

Das Recht auf Dolmetschung ist aber ein anderes Thema. Es ist nicht automatisch sichergestellt. Man muss einen Sonderantrag stellen und es wird entschieden, ob man Dolmetscher:innen für den Alltag bekommt. Im Bundesgesetz ist zwar das Recht auf Dolmetschung verankert, aber man muss immer einen Antrag stellen. Darin muss man genau anführen, wann, wo und wofür man die Dolmetschleistung benötigt. Meist funktioniert das recht einfach. Das Problem ist aber eher der private Bereich. Vielleicht ist das in Österreich auch so. Da kämpfen wir schon jahrelang, Angebote zu schaffen, wie etwa persönliches Budget. Das wäre ja für den Privatbereich gedacht. Aber die Antragstellung zieht sich oft in die Länge und man bekommt es nur sehr schwer. Das Amt stellt sich da oft quer. Da ist echt noch viel zu tun!

GwTv: Sehr spannend, wie da die Situation im Vergleich ist.

JP: Für mich ist besonders das Bestreben des Europaparlaments interessant. Es soll ja ein europaweiter Behindertenpass kommen. Damit haben alle gleiche Rechte in Europa. Klar, kann man dann einfach und angenehm reisen. Das ist schön. Ich hoffe, es klappt. Da heißt es abwarten, wie sich das entwickelt.

GwTv: Ich möchte dich noch fragen, was die nächsten Schritte sind. Der Antrag wurde abgegeben. Wie geht es jetzt weiter?

JP: Der Ball ist jetzt beim deutschen Innenministerium, beim BMI. Das ist jetzt deren Angelegenheit in der Abteilung für Minderheitensprachen. Meiner Meinung nach müsste sich auch der Deutsche Gehörlosenbund klar dafür aussprechen. Sie müssten klarstellen, dass sie diese Anerkennung anstreben. Ich denke, man muss versuchen, den Antrag zuerst politisch auszuarbeiten. Mein Ziel ist es, dann die Grüne Partei für die Anerkennung als Minderheitensprache zu gewinnen. Es gibt jetzt zwar einen Antrag von der SPD, aber wir müssen schauen, wie sich das entwickelt. Das ist ein wichtiges Thema. Das ist so typisch für Deutschland im internationalen Vergleich. Man muss nur nach Amerika sehen. Barrieren können abgebaut werden. Es ist möglich, diese Hürden abzuschaffen. Es sind alle immer so vorsichtig. Dabei müssen wir schnell reagieren. Wir müssen dafür sorgen, dass sich etwas tut und wir nicht stagnieren oder Rückschritte machen. Das dürfen wir nicht zulassen. Es ist gut, wenn etwas ins Laufen kommt.

GwTv: Wir werden sehen, wie es weitergeht. Gar nicht so einfach.

JP: Ich weiß, es ist nicht einfach. Aber wir haben erst begonnen und ich hoffe, dass es klappen wird und wir es in den nächsten vier Jahren erreichen können. Das sind gute Chancen, die wir da haben. Die müssen wir auch nützen. Ich hoffe, das funktioniert!

GwTv: Ich wollte noch fragen, wie lange du schon in der Politik tätig bist. Drei Jahre, stimmt das?

JP: Ja, im Mai 2022 bin ich dazugekommen.

GwTv: Okay, also ziemlich genau drei Jahre. Kannst du uns etwas darüber erzählen, was sich für gehörlose Personen in den letzten drei Jahren geändert hat?

JP: Ich wünsche mir, dass es mehr gehörlose Personen in der Politik gibt. Man muss bei null anfangen und schauen, welche Basis wir für alle schaffen können. Alle sollen die gleichen Startbedingungen haben. Hörende oder auch blinde Personen haben da immer einen Vorrang. Aber gehörlose Personen sind da benachteiligt! Ich sehe die Situation so: Deutsche Gehörlosenvereine und der Gehörlosenbund sollen sich auch mal überlegen, wie man es anders machen kann. Es ist ja schön, dass die SPD mit Heike Heubach eine gehörlose Politikerin in den Reihen hat. Aber eine Person ist wirklich nicht genug. Die Gesellschaft profitiert von Vielfalt und das bedeutet nun mal, dass alle dabei sind.

GwTv: Du wünschst dir also mehr gehörlose Politiker:innen?

JP Hoffentlich kommen in Zukunft mehr gehörlose Politiker:innen dazu.

GwTv: Also wir haben schon einige Themen besprochen. Vielen Dank für deine Erzählungen zum Minderheitenstatus.  Danke dir!

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Foto/Video Credits: Gebärdenwelt.tv
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