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„Partizipation von Anfang bis Ende“: Interview mit Behindertenanwältin Christine Steger

Als Behindertenanwältin setzt sich Christine Steger für Behindertenrechte und gegen Diskriminierung ein. Unter anderem ist sie bei der UNO-Staatenprüfung im August dabei. Wir haben mit ihr über die neuesten Entwicklungen und Hürden in der Gesetzgebung gesprochen.

 

Transkript des Interviews:

 

GW.TV: Im Juni wurde eine Novelle zum Arbeitslosenversicherungsgesetz eingeführt. Jetzt werden Personen mit Behinderung bis 25 Jahre vom AMS betreut.
Warum war das notwendig?

Christine Steger: Also das ist eine total spannende Entwicklung. Ich kritisiere seit vielen Jahren den Begriff der Arbeitsunfähigkeit, weil es einfach Menschen mit Behinderungen abstempelt und oft die biografischen Verläufe von Menschen festzementiert. D.h., wenn ich einmal – oft ist es bei Jugendlichen mit Behinderungen schon mit 16, 17 nach Ende der Sonderschule – je nachdem, ob sie ein elftes oder zwölftes Schuljahr genehmigt bekommen haben – ist es eben so, dass sie beim AMS sich melden und dann keinen Job finden und dann recht schnell in die sogenannte “Gesundheitsstraße” der PVA geschickt werden. Dort bekommen sie dann den Stempel arbeitsunfähig.
Das bedeutet, dass dann ab diesem Zeitpunkt das AMS nicht mehr zuständig ist und nur noch die Behindertenhilfe der Länder. Meistens heißt es dann auch, dass diese jungen Menschen mit Behinderungen gar keine Möglichkeit mehr haben, eine Ausbildung zu machen, eine Weiterbildung, eine Fortbildung zu machen, sondern schauen müssen, wie sie im Rahmen der Behindertenhilfe versorgt werden. Das ist halt sehr oft dann im Rahmen von tagesstrukturierenden Maßnahmen wie Werkstätten der Fall. Werkstätten bedeuten einfach, dass ich nicht pensionsrechtlich abgesichert bin, dass ich keine Entlohnung bekomme und dass ich keine Möglichkeit habe, diese Einrichtung zu wechseln. Weil wenn ich einmal einen Platz habe, dann wird es in der Regel auch so bleiben, dass ich dort bis zu einem hohen Alter weiterhin bleibe.

Diese Pläne: Es ist jetzt ein Gesetzesentwurf, der in Begutachtung ist, sieht eben vor, dass alle Jugendlichen mit Behinderungen bis 25 nicht in diese Gesundheitsstraße geschickt werden. Was auch den großen Vorteil hat und die große Chance birgt, dass das AMS hier sein Portfolio erweitert. Es muss ganz klar sein, dass wir gemeinsam mit der Expertise aus dem Sozialministerium-Service gearbeitet wird, um Angebote für Jugendliche mit Behinderungen zu schnüren, damit diese eben auch wirklich Möglichkeiten haben, sich fortzubilden, eine Ausbildung zu machen und eben nicht mit dem Stempel “Arbeitsunfähigkeit” irgendwo in der Sackgasse landen und nicht mehr rauskommen.

GW.TV: Wann tritt dieses Gesetz in Kraft?

Christine Steger: Also das Arbeitsministerium und das Sozialministerium haben das für Jänner ‘24 angekündigt. Es würde auch sehr schnell gehen dann. Es wurde ja im Ministerrats-Vortrag im Juni besprochen.
Jetzt gibt es die Begutachtung. Also wir gehen davon aus, wenn alles planmäßig verläuft, dass es mit Jänner 2024 dann in Kraft gesetzt wird.

GW.TV: Sie haben heute gesagt: “Partizipation bedeutet, dass man vom Anfang bis zum Ende im Gesetzgebungsprozess dabei ist.”
Was bedeutet das genau? Wie schaut es in Österreich aktuell aus?

Christine Steger: Also wir haben ein großes, gutes Beispiel, wie Partizipation sehr ernsthaft bestrebt wurde, nämlich das Erwachsenen-Schutz-Gesetz. 2013 war das auch eine der Handlungsempfehlungen des UN-Fachausschusses, das Sachwalterschaftsrecht zu verändern. Dann hat eine Arbeitsgruppe um die Familienrecht-Sektion unter Leitung von Dr. Peter Barth einen sehr partizipativen Prozess in Gang gesetzt,
wo alle wichtigen Stakeholder einbezogen waren, aber eben auch Menschen mit Lernschwierigkeiten, die damals noch besachwaltet auch waren, oder eben gewesen sind. Und man hat keine zeitliche Vorgabe gemacht.
Man hat diesen Prozess seinem Lauf gelassen und hat eben diese Menschen von Anfang bis Ende miteinbezogen. Und auch das Ergebnis ist dementsprechend von Menschen mit Lernschwierigkeiten auch mitgetragen.
Das war ein sehr gutes, positives Beispiel, wie Teilhabe und Partizipation aussehen kann, wenn es ernst gemeint ist.

Sonst ist es so, dass in vielen Prozessen die Expertise von Menschen mit Behinderungen gehört wird, aber dann in den politischen Abstimmungsprozessen keine Rolle mehr spielt.

GW.TV: Sie sind seit März jetzt die neue Behindertenanwältin.
Was sind jetzt die nächsten großen Ziele?

Christine Steger: Ja, wie gesagt, die Staatenprüfung, auf die ich mich schon sehr freue. Ich werde ja Teil der Staaten-Delegation auch sein. Ich werde dort unseren Bericht vorstellen und unsere Forderungen, unsere Empfehlungen abgeben. Das ist das nächste große Ziel. Dann gibt es natürlich das große Projekt “Beseitigung- und Unterlassungsanspruch.” Das möchte ich auch sehr, sehr breit diskutieren. Von den Arbeitsschwerpunkten her ist mir natürlich der Bereich “Frauen mit Behinderungen” auch ein großes Anliegen.

Vor allem der Bereich Bildung und Hochschulbildung, Tertiäre Bildung, weil es ja auch meine Herkunft von der Universität Salzburg ist. Gerade Studierende mit Behinderungen sind großen Schwierigkeiten immer wieder ausgesetzt, weil es ganz, ganz unterschiedliche Voraussetzungen je nach Hochschulstandort gibt und vor allem der Bereich der gehörlosen Studierenden wahnsinnig unterschiedlich gehandhabt wird – von den einzelnen Standorten. Es gibt GESTU an manchen Universitäten. Es gibt aber nicht an allen Universitäten eine Kostenübernahme von Gebärdensprachdolmetsch-Kosten beispielsweise.

Und das ist eine eine große Problematik, die man auch beheben muss, auch gesetzlich. Und dazu möchte ich auch gerne ein Gespräch mit den Verantwortlichen, ein nicht-öffentliches Gespräch mit den Verantwortlichen, bald auch starten, wo klar ist, dass wir auch darüber sprechen müssen, dass es Anti-Diskriminierungs-Bestimmungen für Hochschulen gibt im Bereich der Studierenden mit Behinderungen.

GW.TV: Wie wird es mit Gebärdensprachdolmetsch-Kosten geregelt?
Passiert es auf Bundesebene?

Christine Steger: Nein. Die Universitäten sind 2004 vom Bund ausgegliedert worden. Das bedeutet, sie sind seit 2004 vollrechtsfähig. Das heißt, sie können ihre Schwerpunkte selber setzen. Gleichzeitig gibt es aber so etwas wie den Frauenförderplan, der bspw. eine Baseline an allen Hochschulen darstellt.

So etwas bräuchte es auch im Bereich der Studierenden mit Behinderungen, weil es geht auch um Barrierefreiheit in der Lehre, es geht um Barrierefreiheit bei den Prüfungen und es geht eben auch um beispielsweise Gebärdensprachdolmetsch-Kosten, die übernommen werden müssen. Jetzt ist es so, dass es je nach Standort gemacht wird oder nicht gemacht wird. Meines Kenntnisstandes nach wird es an den meisten Standorten nicht gemacht, dass die Gebärdensprach-Kosten von der Hochschule übernommen werden als barrierefreie Maßnahme.

Foto/Video Credits: Gebärdenwelt.tv
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