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„Nicht normal, sich vor dem Partner zu fürchten“: Andrea Brem von Frauenhaus Wien

Am 25.11 ist Tag gegen Gewalt an Frauen. Rund 24 % aller Frauen in Österreich werden irgendwann damit konfrontiert. Frauenhäuser bieten Schutz und Unterstützung für alle, die Hilfe brauchen. Wir haben uns mit Andrea Brem vom Frauenhaus Wien darüber gesprochen.

 

 

*Alternativlink zum Video: „Nicht normal, sich vor dem Partner zu fürchten“: Andrea Brem von Frauenhaus Wien – Youtube

 

Andrea Brem: Also, Frauenhäuser sind für Frauen gedacht, die von innerfamiliärer Gewalt betroffen sind.
Das heißt Frauen, die Gewalt – und da spreche ich von körperlicher Gewalt, psychischer Gewalt, sexueller Gewalt
oder auch sonstigen Quälereien durch ihren Mann ausgesetzt sind und einfach nicht mehr zu Hause
bleiben wollen oder können.
Die können dann bei uns mit ihren Kindern leben.

Gebärdenwelt.tv: Wie sorgt das Frauenhaus dafür, dass die Frau in Sicherheit bleibt?

Andrea Brem: Also die Frauenhäuser haben hohe Sicherheitsmaßnahmen.
Wir haben zum Beispiel eine direkte Leitung zur Polizei, wie Banken.
Das heißt, wir müssen nur den Knopf drücken. Wir haben ein Schleusen-System, das unbefugten Zutritt verhindert.

Was ganz wichtig ist, wir arbeiten mit jeder einzelnen Frau auch an einem Sicherheitsplan
Das heißt, wir besprechen mit der Frau, was ist, wenn sie aus dem Haus geht?
Wo kann sie sich hinwenden? Wo soll sie aufpassen? Also das ist auch ganz wichtig. Ja, ich glaube wir sind gut geschützt.

Wir haben im Laufe der vielen Jahre auch immer wieder unsere Schutzmaßnahmen erhöht.
Immer nachdem, was passiert ist, haben wir noch einmal nachgerüstet.

Gebärdenwelt.tv: Wann weiß eine Frau zu Hause, dass sie jetzt Hilfe braucht?

Andrea Brem: Also ich glaube, es ist nicht normal, sich vor seinem Partner zu fürchten.
Streit ist normal. In jeder Beziehung gibt es Streit und danach gibt es Versöhnung und es gibt Kompromisse.

Aber wenn ich mal anfange, dass ich mich fürchte, dass mir mein Partner was antut,
dass er mich quält, dass er mich schlägt, dann ist schon eine Grenze überschritten.
Da muss man nicht gleich ins Frauenhaus gehen. Aber man kann sich zum Beispiel
auch einmal ambulant beraten lassen. Wir haben eine Beratungsstelle,
da gibt es kostenlose Hilfe.

Wir können auch, wenn wir es sozusagen rechtzeitig wissen auch gerne Gebärdendolmetschen zuschalten.
Das heißt, wir können da ein Gespräch-Setting machen, wo sich die Frau einmal beraten lässt.

Gebärdenwelt.tv: Wie funktioniert dann die Aufnahme in ein Frauenhaus?

Andrea Brem: Ja, also der Notruf-Nummer ist 057722. Da ruft die Frau an und
bekommt die notwendigen Informationen. Sie kommt dann mit ihrem Kind ins Frauenhaus,
bekommt dann mal ein Zimmer zugewiesen. Und je nachdem, wie die Frau sozusagen “beinander ist”, wie man auf Wienerisch sagt,
wenn sie großes Bedürfnis hat zu sprechen, dann wird alles in Ruhe mit ihr besprochen.

Es gibt aber auch Frauen, die mal nur schlafen wollen, die sich nur mal zurückziehen wollen.
Ja, und dann, in den nächsten Tagen gibt es eine ausführliche rechtliche Beratung
zu dem Thema Anzeigen, Scheidung,vielleicht auch Fremdenrecht, wenn das notwendig ist,
Obsorge der Kinder.

Es gibt aber auch eine Beratung zu Job, Kindergartenplatz, alles!
Wenn die Frauen von Daheim weggehen sind ganz viele Fragen offen. Der Alltag muss neu organisiert werden
und wir unterstützen da die Frauen.

Gebärdenwelt.tv: Wir haben vorher von Gewalt gesprochen. Das ist aber nicht nur auf körperliche Gewalt bezogen, oder?

Andrea Brem: Nein.

Also ganz wichtig ist, dass Frauen, die auch “nur”-unter Anführungszeichen – von psychischer Gewalt betroffen sind
den Weg zu uns wirklich suchen sollen. Es gibt Frauen, die haben eigentlich wirklich heftige Erlebnisse mit Psychoterror.

Das sind ständige Kontrollen, Verfolgen mit einer Spy-App beim Handy, damit die Frau immer belauscht wird, sozusagen.
Und diese Frauen brauchen genauso Unterstützung wie eine Frau, die misshandelt worden ist.
Das ist ganz wichtig und das geht bei uns auch.

Gebärdenwelt.tv: Gibt es so typische Warnzeichen oder Beispiele von körperlicher oder psychischer Gewalt,
wo man sagt “Jetzt soll ich mich um Hilfe zuwenden?”

Andrea Brem: Also ich denke, eine körperliche Sklavin, wenn es Schläge oder Rempeleien gibt,
dann finde ich, kann man sich ruhig einmal beraten lassen. Das ist nicht normal.

Also da ist schon sozusagen davon auszugehen, dass sich vielleicht die Gewalt
verstärkt ärger wird und man sollte sich rechtzeitig Hilfe holen.

Und bei der psychischen Gewalt ist es ein bisschen schwieriger,
weil die Frauen das oft gar nicht merken. Wenn der Mann ihnen immer sagt: “Du, du verstehst das nicht, du siehst alles falsch”.
Ein Teil der psychischen Gewalt ist immer auch Isolation. Das heißt Frauen, die bei uns leben,
wurden sehr oft verboten, zuerst Kontakt zu den Freundinnen, dann durften sie nicht arbeiten gehen,
dann Kontakt zu den Eltern.

Das heißt, die Frau hat niemanden, der wieder dieses Bild, das ihr der Mann entgegenbringt, das geprägt ist von Abwertung
und Demütigung und Kontrolle, das auch wieder klar zu richten.
Eine Freundin sagt dann: “Das stimmt ja gar nicht”. Das heißt, es ist relativ schwierig.
Aber ich denke mal, wenn Frauen das Gefühl haben, es stimmt was irgendwie gar nicht in meiner Beziehung
und ich fühle mich eigentlich ständig bedroht und unter Druck einfach einmal beraten lassen,
da passiert nichts.

Die Beratungen sind kostenlos und dann kann sie ja mal ihre Gedanken gut ordnen und nächste Schritte überlegen.

Gebärdenwelt.tv: Für gehörlose Frauen ist die Isolation
natürlich ein noch prägendes Thema. Wie wird eine gehörlose Frau hier aufgenommen?

Andrea Brem: Also grundsätzlich genauso.
Es gibt ja die Möglichkeit, über die Polizei-App. Unter der Nummer 0-800-133-133 gibt es die Möglichkeit,
ein Fax oder eine SMS zu schicken.

Wenn die Frau wirklich akut Nothilfe braucht, also wenn sie total Hilfe braucht,
dass es schnell gehen muss, dann kann sie sich ja mal an die Polizei wenden.
Die Polizei kontaktiert dann uns und die Frau kommt zu uns.

Ja, wir würden genauso versuchen, so schnell wie möglich eine Gebärdendolmetschung zu organisieren.
Wir haben einerseits die Erfahrung schon gemacht, dass die Frauen sehr oft wen mitbringen,
also schon eine Bekannte oder eine Freundin, die dann übersetzen kann.

Oder aber wir arbeiten auch mit Video-Dolmetsch,
wo man relativ schnell einen Gebärdendolmetsch zur Verfügung hat.

Gebärdenwelt.tv: Haben Sie eine Botschaft für Frauen in Not?

Andrea Brem: Ich finde, das Wichtige ist, wenn man Zweifel hat, man soll nie denken,
“So schlimm ist es bei mir nicht.” Sondern man soll dann mal fragen, wie schlimm es ist.

Man soll einfach einmal losgehen. Sich einfach einen Termin ausmachen
in einer unseren Beratungsstellen. Es gibt wirklich österreichweit Beratungsstellen für Frauen,
die von Gewalt betroffen sind. Und dann kann man schauen,
ob sozusagen hier einfach verschiedene Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt werden.

Manchmal ist es eine Anzeige, manchmal ist es einfach einmal ein Gespräch
oder eine Beratung zur Sicherheit. Ich glaube, ich sag es auch immer,

Man weiß gar nicht wie, wenn man sich die Femizide anschaut.
Was man sich nie anschauen kann, ist, wie viele Frauen entkommen sind, indem sie den Schritt gemacht haben
raus aus der Gewalt und sich Hilfe geholt haben.

Und ich glaube gerade auch wenn man Kinder hat, ist es sehr, sehr wichtig,
hier aus dieser Gewaltspirale auszusteigen, damit auch die Kinder sehen:
Gewalt ist nicht okay, Gewalt muss man sich nicht gefallen lassen.

Man kann aussteigen.

 

Unterstützung:

Wenn du oder eine Frau in deinem Umfeld Hilfe braucht, stehen Rat und Hilfe bereit.

In akuten Situationen oder Bedrohung ist die Polizei zu informieren: per SMS unter 0 800 133 133 oder E-Mail: gehoerlosennotruf@polizei.gv.at. Mit der DEC 112-App kann man auch einen stillen Notruf betätigen — die Polizei kommt dann sofort zu deinem Standort. 

Frauen-Helpline:

Tel: 0800 | 222 555 (in Kooperation mit dem Relay-Service erreichbar), E-Mail: frauenhelpline@aoef.at. 

Anonyme Onlineberatung: http://www.haltdergewalt.at/

Frauenhäuser

Oft gibt es mehrere Frauenhäuser oder Beratungsstellen in jedem Bundesland.

Wien — Notruf: 05 / 77 22 E-Mail: verein@frauenhaueser-wien.at

Vorarlberg — Tel: 05 1755 577 E-Mail: frauennotwohnung@ifs.at

Tirol — Tel: 0512/342 112 (Beratung) oder 0512 272 303 (Büro), E-Mail: wohnen@frauenhaustirol.at oder office@frauenhaus-tirol.at

Steiermark — Tel: 0316 / 42 99 00 E-Mail: beratung@frauenhaeuser.at oder office@frauenhaeuser.at

Salzburg — 24h-Sicherheits-Hotline: 0800 44 99 21. Schutzunterkünfte Salzburg: Tel: 0664 12 82 174,  E-Mail: frauenhaus@viele.at

Oberösterreich: Es gibt Frauenhäuser in Braunau, Linz, Ried, Steyr, Vöcklabruck und Wels

Niederösterreich: Es gibt Frauenhäuser in Amstetten, Mistelbach, Neunkirchen, Mödling, St. Pölten und Wiener Neustadt.   

Kärnten: Es gibt Frauenhäuser in Klagenfurt, Lavanttal, Spittal an der Drau und Villach.

Foto/Video Credits: Gebärdenwelt.tv
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