Unsere Amanda ist nicht nur Moderatorin — sie ist allgemein in der Gehörlosen-Community sehr aktiv. Gebärdenwelt.tv wollte ihre Meinung zu den ÖGS-Vokabeln vom Diversity Ball erfahren. In einer spannenden Diskussionsrunde sprechen Amanda, Jennifer Schügerl und Vanessa Schügerl über das Thema. Was bedeuten solche Vorfälle für die Gleichstellung von gehörlosen Menschen? Wie soll die Community in Zukunft auf solche Themen reagieren?
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Transkript:
[Alle]: Hallo!
[Amanda Jovanovic]: Wir werden uns jetzt über ein Thema austauschen und darüber diskutieren. Übrigens bin ich diesmal nicht in meiner Rolle als Moderatorin von Gebärdenwelt dabei. Heute diskutiere ich als Amanda mit meiner privaten Meinung mit. Was ist denn überhaupt passiert?
[Vanessa Schügerl]: Es geht um ein Video in dem gebärdet wird. Ich habe es zuerst nur auf Facebook gesehen. In dem Video zeigt eine hörende Person verschiedene Vokabel in Gebärdensprache. Es werden Vokabel in Zusammenhang mit Diversity, z.B. Gleichheit, Chancengleichheit, etc. gezeigt. Als ich das gesehen habe, war ich schockiert, denn die einzelnen Gebärden werden falsch gezeigt. Es war nicht einmal verständlich. Obwohl ÖGS meine Erstsprache ist, konnte ich es nicht v erstehen. Das hat mich schon echt getroffen! Erstens werden falsche Gebärden gezeigt und dann auch noch von einer hörenden Person. Das passt einfach nicht. Das war schon heftig. Ich habe gleich kommentiert, dass ÖGS meine Erstsprache ist und ich nicht verstehe, was da gebärdet wird.
[Amanda]: Das ist bei mir genau so. Ich habe auch kommentiert. Es waren sehr viele Kommentare, wo überall dasselbe stand, dass es einfach nicht verstanden wird. Das ist schon alarmierend, denn das bedeutet, dass es allen aus der Gehörlosen-Community gleich geht. Das zeigt, dass so ein Post wirklich nicht okay ist.
[Jennifer Schügerl]: Ja genau, denn Gebärdensprache ist nicht einfach nur so eine Sprache. Da spielt auch der geschichtliche Kontext mit hinein. Nicht zu vergessen ist der Mailänder Kongress. Damals war es so, dass hörende Personen über gehörlose Personen hinweg entschieden haben. Wie man sieht, ist dieses Bild bis heute noch so verankert.
[Amanda]: Ja, von 1880 bis jetzt ist schon eine sehr lange Zeit.
[Vanessa]: Wenn Gebärdensprache gezeigt wird, dann ist oft eine ähnliche Reaktion. Oft wird romantisiert, wie schön das aussieht und welch schöne Bewegungen das sind. Aber nein, das ist eine offizielle Sprache! Und das gilt es zu respektieren! Wie gesagt, teilen wir auch eine Geschichte und kämpfen immer wieder für unsere Sprachrechte. Das muss wertgeschätzt werden.
[Amanda]: Es waren ja sehr viele Kommentare, wo deutlich wurde, dass die Gebärden in dem Video nicht verständlich waren. Der Diversity Ball hat sich ja nicht wirklich dazu geäußert, sondern nur kurze vereinzelte Kommentare dazu abgegeben. Leider gab es keine allgemeine Entschuldigung oder ein Statement, indem sie klar sagen, dass das falsch gelaufen ist. So hat sich das bisschen verlaufen und wurde bisschen unter den Teppich gekehrt. Das war keine angenehme Situation für die Gehörlosen-Community. Wie ist euer Gefühl dazu?
[Vanessa]: Naja, es gab schon eine Reaktion. Das war aber auch eher eine Rechtfertigung als eine Entschuldigung.
[Jennifer]: Ja, da kam dann gleich das Argument, dass es ja nur gut gemeint war. Der Satz kommt dann oft, aber ist das genug? Es braucht eine Entschuldigung und die Einsicht, dass etwas falsch gemacht wurde. Dann braucht es noch die Bereitschaft, es in Zukunft bes ser zu machen.
[Amanda]: Ja!
[Vanessa]: Diversität und Inklusion sind Prozesse. Das bedeutet, dass sie nur im Austausch passieren können. Für Inklusion braucht es gegenseitige Akzeptanz, offenen Austausch und eine konstruktive Umgebung. Da gehört auch dazu, eine gehörlose Person ins Boot zu holen. Sie haben ja auch einen gehörlosen Botschafter für den Diversity Ball. Es ist aber nicht genug, den jetzt hinzustellen und gebärden zu lassen. Das macht die Welt auch nicht wieder in Ordnung. “Inklusion erledigt.” Es ist so als ob man, eine gehörlose Person auf dem roten Teppich präsentieren würde. Im Sinne von: Da habt ihr eure Inklusion und fertig. Das Problem liegt aber viel tiefer, bspw. bei den Arbeits- und Entscheidungsprozessen. Wo sind sie da, die gehörlosen Personen?
[Amanda]: Diese Situation passierte ja nicht zum ersten Mal. So ähnliche Vorfälle gab es ja schon öfter. Wir geben dann immer wieder Rückmeldung und Feedback. Man hat echt das Gefühl, dass niemand zuhört. Dann kommt auch noch diese Sache mit dem Diversity Ball dazu.
[Jennifer]: Ja, ich kenne auch einige gehörlose Personen, die keine Lust mehr haben, zu kommentieren oder aktiv zu werden. Ja klar, das ist auch extrem mühsam! Alleine wenn man sich vorstellt, wie lange das schon so geht. Ich habe da volles Verständnis, wenn da jemand genug hat. Es ist auch schade um die ganze Mühe, wenn nie jemand wirklich zuhört und das Feedback aufgreift. Wenn unser Feedback mal ernst genommen wird, dann ist die Motivation auch automatisch eine andere. Dann steht einer Zusammenarbeit ja auch nichts im Wege. Eine Zusammenarbeit darf dann halt auch nicht nur einseitig sein, sodass immer nur die hörenden Personen entscheiden.
[Vanessa]: Man darf auch nicht vergessen, dass man auf Social Media nicht anonym ist. Wenn man Kritik äußert, ist das auch eine öffentliche Sichtbarkeit. Manche sind sich vielleicht beim Kommentieren unsicher mit der deutschen Schriftsprache. Da wird es schnell jemand anderem überlassen, der:die vielleicht besser formuliert. Wichtig ist eigentlich nur, dass wir uns gemeinsam für etwas einsetzen. So entsteht enormes Potenzial für Veränderung!
[Amanda]: Es muss auch wirklich zugehört und hingesehen werden, was es braucht und wie der Bedarf ist. Daraus könnte sich so viel Positives entwickeln.
[Jennifer]: Ich finde, es ist wichtig, dass Kritik aufgenommen wird. Wenn die Kritik nicht angenommen wird, dann können Themen nicht abgeschlossen werden. Das ist nicht zufriedenstellend und es brodelt weiter bis die Kritik ankommt. Ich denke, die Bereitschaft Kritik anzunehmen, ist der erste Schritt für ein zielführendes Miteinander. Das braucht es für eine Zusammenarbeit.
[Amanda]: Es ist zweischneidig – einerseits schön und andererseits auch nicht. Es ist nicht schön, dass wir marginalisiert werden. Diskriminierung haben wir schon genug erfahren. Schön ist wiederum, dass eine gemeinsame Bewegung entsteht. Wir zeigen auf, was unsere Bedürfnisse und Ziele sind. Das lässt sich auch auf die aktuelle Situation um den Diversity Ball umlegen. Es war ja schon fast wie eine mediale Explosion. Ob so etwas ankommt, ist immer die andere Frage.
[Vanessa]: Was denkst du, wie es besser vorangehen könnte?
[Amanda]: Es ist einfach. Gehörlose Personen müssen miteinbezogen werden. Als zweites ist wichtig, dass man der Gehörlosen-Community zuhört. Wer sich Diversity oder Inklusion anheften möchte, soll diese Aufgabe auch wirklich ernst nehmen! Dazu muss man auch ein Ally sein und betroffenen Personen Vortritt lassen! So, wie du vorher gesagt hast mit dem roten Teppich. Ernst gemeint ausbreiten und einer gehörlosen Person den direkten Weg in Organisation und Management freimachen!
[Jennifer]: Ja, sie sollen Teil des Teams sein. Warum nicht zwei, drei gehörlose Personen im Team anstellen? Das muss ja nicht immer nur eine Person sein, das können auch mehrere sein. Das fände ich toll und führt automatisch zu mehr Sichtbarkeit und Präsenz. Auch gehörlose Personen können hier mitwirken!
[Amanda]: In dem Kontext ist auch wichtig zu zeigen, dass Gebärdensprache nicht bedeutungslos ist. Sie trägt unsere Kultur, Geschichte und unsere Identität mit. Und das kann man uns wirklich nicht wegnehmen! Und dafür müssen wir einstehen können und zeigen, was uns wichtig ist.
[Vanessa]: Ich wünsche mir, dass es eine größere Plattform gibt, wo alle Leute zusammenkommen. Oft gibt es extra Teams, die dann etwas für behinderte oder gehörlose Personen anbieten wollen. Das kann man echt vergessen. Es braucht ein gemeinsames Tun, es braucht gegenseitiges Zuhören. Der Prozess muss gemeinsam stattfinden!
[Jennifer]: Also, was ich schlimm finde […] Ihr kennt sicher diese Formulierung: Wir sind nicht behindert, das System behindert uns. Ich finde dieser Satz stimmt auch noch immer so. Was ich aber schlimm finde, ist, dass sich immer wieder Leute für Diversität einsetzen. Aber oft haben sie trotzdem nicht verstanden, worum es geht! Das ist für mich der Punkt.
[Vanessa]: Was ist das Z iel von Inklusion? Ich kann immer nur von mir sprechen. Ich begegne anderen marginalisierten Gruppen mit Empathie. Erfahrungen kann nur jede Person selbst machen und darum brauchen wir jede Person für sich mit ihrer:seiner Perspektive. So sollte jede Person als Expert:in für die eigene Situation herangezogen werden. Nur so können wir verschiedene Sichtweisen zusammenbringen. Das ist für mich der Weg zu Inklusion. Es ist halt ein Prozess. Es wird nie so sein, dass Inklusion erledigt ist. Eine Gruppe ist nie gesättigt an Diversität. Niemand kann sagen, wir sind schon so divers wie möglich. Inklusion ist abgeschlossen. Es ist ein Prozess bei dem immer wieder Neues dazukommt. Wichtig ist Akzeptanz, gegenseitiges Zuhören, Austausch und aufeinander einzugehen! So ist der Prozess. Wenn sich da manche Leute querstellen, kann man eh nichts machen.
[Amanda]: Man sieht auch […] Ich weiß, in der Realität sieht das vielleicht anders aus. Die Budget-Ausrede ist halt auch nicht gut genug. Das muss man sich davor überlegen! Zuerst besprechen, was es braucht. Dann um ein entsprechendes Budget kümmern. Dann Expert:innen holen. Wenn das alles zusammenstimmt, kann es losgehen.
[Jennifer]: Wo keine Inklusion stattfindet, braucht das Wort auch gar nicht verwendet werden. Die Gehörlosencommunity ist so historisch geprägt. Fast 100 Jahre war Gebärdensprache verboten. Unsere Eltern sind die letzte Generation, die davon betroffen war. Da gab es so viel, wo gehörlose Menschen immer wieder hinunterschlucken mussten. Unsere Generation macht das nicht mehr. Das war so in der Vergangenheit. Das muss man wissen und berücksichtigen. Umso wichtiger ist es, das aufzuarbeiten und sich darüber auszutauschen. Aber eines ist klar, es gibt kein zurück. Wir lassen uns nicht mehr beschwichtigen.
[Vanessa]: Das Feuer weiterzukämpfen erlischt nicht. Es bleibt.
[Jennifer]: Ich würde sogar noch Öl reingießen, sicher nicht mit Wasser löschen.
[Amanda]: Hoffen wir für die Zukunft, dass die Gehörlosencommunity aktiv bleibt. So eine Bewegung ist wichtig und toll.
[Vanessa]: Soziale Medien sind da ja super geeignet, um so eine Bewegung am Leben zu erhalten. Viele scheuen sich davor, sich zu zeigen, machen sich Sorgen um die Wortwahl oder ihre Sichtbarkeit. Ich weiß, das ist nicht so einfach. Der Vorteil an den sozialen Medien ist und bleibt halt die Reichweite und das Empowerment.
