„Es gibt positive, aber auch diskriminierende Erfahrungen.“
Interview mit Atilla Gümüssuyu
Elizabeth Rotter-Sramenko: Hallo allerseits! Wir haben heute einen Gast bei uns, und zwar Atilla Gümüssuyu. Herzlich Willkommen!
Atilla Gümüssuyu: Hallo!
Elizabeth Rotter-Sramenko: Danke, dass du heute zu uns gekommen bist. Das freut uns!
Atilla Gümüssuyu: Ich freue mich, dass ich heute hier sein und das Interview geben kann.
Elizabeth Rotter-Sramenko: Willkommen! Das Thema ist Sexualität. Bitte stell dich kurz vor und erzähle uns ein bisschen über deine sexuelle Orientierung.
Atilla Gümüssuyu: Als Jugendlicher war mir selbst nicht so bewusst, welche sexuelle Orientierung ich habe. Ich war mit einer Frau in einer Beziehung und dann hat es sich so entwickelt, dass ich doch neugierig war, was es da sonst noch gibt und so habe ich mich dann auch für Männer interessiert. Dann war ich eine Zeit lang bisexuell und hatte Interesse an beiden Geschlechtern. Als ich 21 Jahre alt war, habe ich mich dafür entschieden, dass ich mich ab sofort nur mehr für Männer interessiere. Frauen haben mich nicht mehr interessiert, ich bin schwul. Mit 21 Jahren habe ich diese Entscheidung getroffen und das ist bis heute so geblieben.
Elizabeth Rotter-Sramenko: Wie war das damals in der Gehörlosen-Community für Schwule oder Lesben? Wie war das im Privat- und im Berufsleben? War es leicht andere gehörlose Personen zu finden, die auch homosexuell sind? Oder war das schwierig? Wie war das damals?
Atilla Gümüssuyu: Das ist eine gute Frage. Ob es Unterschiede gibt im beruflichen oder privaten Bereich und wie die Situation für gehörlose Schwule oder Lesben ist – das sind sehr viele Fragen auf einmal. Ich kann auf jeden Fall sagen, dass ich gehörlos bin und einer Minderheit angehöre. Es gibt da die Österreichische Gebärdensprache, die einen kleinen Teil in Österreich darstellt, also die gehörlosen Menschen, und die Gruppe der gehörlosen Schwulen und Lesben ist noch kleiner. Das bedeutet, in Österreich neue Leute kennenzulernen ist recht schwierig. Manchmal gibt es zwei, drei Leute, die ich nicht kenne, aber die meisten kenne ich. Vielleicht liege ich hier aber auch falsch und ich kenne doch nicht alle. Viel Neues gibt es aber nicht.
Mit internationalen Kontakten ist das leichter. Da trifft man immer wieder neue Leute und kann sich untereinander austauschen, das ist ein großer Vorteil. Österreich ist ein kleines Land, wo man sich untereinander kennt, da ist das mit dem Kontakte knüpfen und dem Kennenlernen der passenden Person nicht so einfach.
Bei Hörenden ist das leichter, da lernt man immer wieder wen kennen, man trifft auf viele neue Leute und sieht neue Gesichter.
Obwohl die Gehörlosen-Community schon sehr groß ist, ist der Anteil an gehörlosen Schwulen dennoch sehr gering. Das war keine einfache Entscheidung für mich.
Elizabeth Rotter-Sramenko: Kannst du uns über deine Erfahrung als Schwuler erzählen? Bist du aufgrund deiner sexuellen Orientierung auch diskriminiert worden?
Atilla Gümüssuyu: Es gibt positive, aber auch diskriminierende Erfahrungen. Ich möchte zuerst mit den negativen Erfahrungen beginnen. Meiner Familie offen zu sagen, dass ich schwul bin, war sehr schwer. Meine Familie ist eine traditionell türkische Familie und – oh mein Gott – da ist Schwulsein ein absolutes Tabuthema. Daher habe ich auch lange geschwiegen und erst als ich nicht mehr bisexuell war, habe ich mich geoutet. Anlass dafür war eine Abendveranstaltung, ein Ball für Schwule, zu dem ich gegangen bin. Meine Mutter wollte wissen, mit wem ich dorthin gehe. Ich habe gesagt, dass ich mit einem guten Freund hingehe. Meine Mutter hat dann gefragt, ob der Freund ein Mann ist und ob ich schwul bin. Ich habe ihr dann gesagt, dass ich mit einem Mann zum Ball gehe und dass ich schwul bin. Daraufhin ist ein großer Streit entstanden und meine Mama wollte mich dann nicht mehr sehen. Sie hat mich aus der Wohnung rausgeschmissen und ich musste in eine andere Wohnung umziehen. Es hat mich sehr getroffen, dass meine Mutter meine Homosexualität nicht akzeptierte.
Ungefähr nach einem halben Jahr habe ich eine neue Liebe gefunden. Ich habe einen Mann kennengelernt, der mir wirklich gut gefallen hat. Das war sehr positiv und es hat sich gut entwickelt – ich hatte meine eigene Wohnung und einen passenden Partner.
Ein Jahr später hatte ich wieder Kontakt mit meiner Mutter, aber vom Thema „Schwulsein“ wollte sie nichts hören. Diesbezüglich hat sich an ihrer Einstellung bis heute nichts geändert und sie lässt konsequent nicht mit sich darüber reden. In meiner Familie wird Homosexualität nicht als selbstverständlich betrachtet.
In meinem Freundeskreis ist das ganz anders. Meine Freunde akzeptieren mich so wie ich bin, da ist das selbstverständlich, und ich werde respektiert. Mit meinen Freunden fühle ich mich sehr wohl, da ist die sexuelle Orientierung egal. Da kann ich einfach gebärden und ich fühle mich gut aufgehoben. Aber in der Familie, naja…ein heikles Thema…
Elizabeth Rotter-Sramenko: Wie hat sich die Gehörlosen-Community in Bezug auf Schwule und Lesben entwickelt? Gibt es Unterstützung, z.B. durch soziale Medien? Oder gibt es eine eigene Gruppe, in der alle gleich sind? Wie sieht die Entwicklung aus?
Atilla Gümüssuyu: In der Gehörlosen-Community gibt es Schwule, Lesben, Transsexuelle, Bisexuelle und Dragqueens bzw. Dragkings etc. Es gibt aber auch eine eigene Gruppe, die „queer as deaf“ heißt und einen Stammtisch, also regelmäßige Treffen, organisiert. Voriges Jahr haben diese Treffen einmal im Monat stattgefunden, derzeit nur alle drei Monate. Bei diesem Stammtisch wird über die verschiedensten Themen gesprochen, z.B. über Interessen, Arbeit, Beruf oder auch über private Themen. Da kann wirklich über alles offen geredet werden. In dieser kleinen Gruppe vertrauen wir uns gegenseitig und hier können wir uns über die gleichen Probleme und gemeinsamen Interessen und Ziele untereinander austauschen, was total spannend ist.
Auch heterosexuelle und hörende Personen, die Gebärdensprache lernen wollen, kommen manchmal zu unserem Stammtisch. Es ist ganz egal, ob jemand hetero- oder homosexuell ist, alle können kommen und man plaudert einfach in Gebärdensprache. Das ist ein schönes Beisammensein. Der Stammtisch „queer as deaf“ findet regelmäßig statt und ich selbst bin auch immer gern dabei. Das macht mir Spaß und ich komme wirklich sehr gern. Ein Leben ohne diesen Stammtisch kann ich mir gar nicht mehr vorstellen. Ich brauche diesen Austausch, das ist etwas Besonderes.
Elizabeth Rotter-Sramenko: Was sagst du zur heutigen Situation für Schwule und Lesben? Wie sieht die politische und rechtliche Lage aus? Bist du zufrieden?
Atilla Gümüssuyu: Wenn ich ganz ehrlich bin, das aktuelle Thema mit der türkis-blauen Koalition und wie es da mit Homosexuellen aussieht, das steht in den Sternen. Ich kann jetzt nichts sagen, man muss abwarten und schauen, wie alles abläuft und ich will auch nicht jetzt schon kritisieren und vorschnell urteilen. Ich glaube, man muss abwarten und schauen, was dabei herauskommt, ob wir unsere Rechte bekommen, ob es die Ehe für alle geben wird und wir diesbezüglich gleichgestellt sind. Wir werden sehen wie es wird. Ich denke dieses Thema ist ein bisschen heikel, aber ich werde mich zurückhalten, abwarten und schauen, wie sich alles entwickelt. Die Leute haben so gewählt und diese Koalition ist das Ergebnis.
Elizabeth Rotter-Sramenko: Was wünschst du dir für Schwule und Lesben für die Zukunft?
Atilla Gümüssuyu: Homosexuelle und Gehörlose – hier haben wir zwei verschiedene Themen. In Bezug auf Homosexuelle gibt es in nächster Zeit bestimmt noch einige offene Themen und Wünsche. Ein gutes Beispiel ist, dass nächstes Jahr, 2018, die Ehe für alle kommt. Das heißt, dass alle heiraten dürfen. Ich selbst habe zwar in nächster Zeit nicht vor zu heiraten, aber trotzdem freue ich mich sehr. Viele warten schon seit längerem darauf heiraten zu können oder sind schon lange zusammen und jetzt bekommen sie das Recht zu heiraten. Das ist gut und das freut mich.
Zweitens ist es mir ein großes Anliegen, dass mehr auf die Bedürfnisse von gehörlosen Personen eingegangen wird, die homosexuell sind, und dass dieser Gruppe mehr Beachtung geschenkt wird. Jetzt gibt es da sehr wenig Angebote und Förderung.
Für die Schwulen und Lesben wird hingegen sehr viel angeboten, Paraden, Demos und ein facettenreiches Programm.
Im Vergleich dazu ist die Gruppe der gehörlosen Homosexuellen unauffällig und klein. Trotzdem wäre es wichtig, dass etwas gemacht wird, damit sich die Situation verbessern kann. Zum Beispiel ist der Stammtisch „queer as deaf“ eine tolle Sache. Ich hoffe sehr, dass der weiterhin bestehen bleibt. Sollte es ihn eines Tages nicht mehr geben, wäre das sehr schade.
Elizabeth Rotter-Sramenko: Was möchtest du der Gehörlosen-Community sonst noch sagen?
Atilla Gümüssuyu: Ich wünsche mir für die Gehörlosen-Community, dass sie so bleibt und dass weiterhin eine gute Kommunikation gepflegt wird und man freundlich und respektvoll miteinander umgeht. Auch wenn jeder eine andere Meinung, eine andere Sicht und andere Bedürfnisse hat, ist Respekt für eine gute Gemeinschaft sehr wichtig. Gemeinsam sind wir stark und wir können weiterhin unseren Zusammenhalt stärken.
Bei Uneinigkeiten sehe ich schwarz, denn das kann zu einem Verschwinden der Community führen. Ich wünsche mir auch für die Zukunft einen starken Zusammenhalt für uns alle!
Elizabeth Rotter-Sramenko: Danke für das interessante und spannende Gespräch!
Atilla Gümüssuyu: Gern. Es war mir eine Freude.