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Fachgespräch mit Wolfgang Sperl: Gehörlosigkeit und Beruf

Die Jobsuche gestaltet sich für gehörlose Menschen oft als schwierig. Laut Wolfgang Sperl,
Geschäftsführer der Beratungsfirma Wien Work, haben Dienstgeber*innen Angst, dass gehörlose Menschen in der Kommunikation aufwändiger sein können.

 

Petra Navara: Gehörlose Menschen sind am Arbeitsmarkt benachteiligt. Wer benachteiligt sie denn? Ist es der gesellschaftliche Mainstream, also die Kundschaft oder die Unternehmen, die sich nicht trauen? Oder ist es der politische Rahmen, der es ihnen nicht gestattet, ihnen Zugang zum Arbeitsmarkt zu geben? 

Wolfgang Sperl: Letzteres glaube ich nicht. Ich glaube, dass das zweitere eher zutrifft. Viele Menschen haben einfach Ängste vor Dingen, die sie nicht kennen, bzw. Dingen, die sie einfach verunsichern. Und die Sorge ist halt, dass gehörlose Menschen in der Kommunikation aufwändiger sind. 

Was auch stimmt, das muss man sagen, man muss dazu stehen, wenn man selber Gebärdensprache nicht kann oder wenn die Kollegen, die gehörlos sind, überhaupt nicht Lippenlesen können, dann ist das natürlich ein Problem. Das weiß ich, wir haben ja hier sehr viele erwachsene behinderte Menschen, die gehörlos sind, beschäftigt. 

Und wir können das im Grunde im Alltag auch bewältigen. Unsere Führungskräfte können zwar nicht gebärden, aber einige Zeichen können sie und sie gehen auch sehr konzentriert auf die gehörlosen Menschen zu und versuchen, ihnen Arbeitsschritte zu erklären. 

Und das funktioniert im Großen und Ganzen ganz gut. Für komplizierte Sachen haben wir natürlich dann immer Gebärdensprachdolmetscher bekommen, entweder von witaf oder wir haben manchmal das Glück, dass wir Sozialarbeiter oder Pädagogen haben, die gebärden. Kommunikationsassistenten springen auch manchmal ein und unterstützen, wenn es irgendwelche schwierigeren Themen gibt, die zu übersetzen sind. In der Lehre ist es . Wobei da die ganze Dynamik der Jugend dazu kommt. 

Für gehörlose Jugendliche bieten wir einen eigenen Fachunterricht an mit einer Person, die auch Gebärdensprache kann. Wir fassen die Jugendlichen zusammen, die gehörlos sind oder auch schwer behindert sind und gebärden können. 

Manche versuchen wir in Einzelunterricht zu unterrichten, weil alle Lehrlinge, die zu uns kommen, permanent quasi Nachhilfe bekommen, sonst würden sie die Berufsschule nicht schaffen. Das gilt für die lernbehinderten genauso wie für die gehörlosen Lehrlinge. Also wir müssen einfach permanent die Jugendlichen unterstützen, damit sie auch das Ziel einen erfolgreichen Abschluss in der Berufsschule schaffen können. 

Petra Navara: Und wie kommen die Jugendlichen zu euch?  

Wolfgang Sperl: Das ist unterschiedlich. Wir machen oft Informationstage bzw. wir versuchen den Kontakt zu den Schulen zu halten, meistens auch Sonderschulen oder Integrationsklassen, wo wir in Wien schon sehr bekannt sind und wir halten regelmäßig Kontakt. 

Wir versuchen eben auch über soziale Medien, uns zu präsentieren und auf unser Angebot aufmerksam zu machen. Wir sind auch ganz stark vertreten als Partner für alle vorgelagerten Einrichtungen des Jugend-Coaching, von Jugendarbeit, Assistenz, sonstige Ausbildungswege, einschlägigen Einrichtungen und ehemaligen Produktionshallen. 

Das sind alles vorgelagerte Einrichtungen, wo Jugendliche noch nicht so ganz in der Lage sind, eine Lehre zu beginnen. Und die liefern natürlich dann auch immer Leute, die wir dann bei uns in Lehre nehmen. Natürlich auch der Fonds Soziales Wien, das ist ja unser Fördergeber in dem Bereich und der trifft dann die Entscheidung, ob der Jugendliche uns wirklich braucht oder ob er eine normale Lehre machen kann. Wir machen ja nur verlängerte Lehre von drei oder vier Jahre oder eben Qualifizierung, wenn der Jugendliche nicht in der Lage ist, das komplette Lehrziel zu erreichen. 

Wir bieten beides an, damit kein Jugendlicher bei uns raus geht ohne einen Abschluss. Also diese Vermittlung basiert im Netzwerk sozusagen mit anderen Organisationen, mit öffentlichen Institutionen. Es kommt darauf an, aber das ist ja sowieso logisch. 

Aber wir versuchen eben auch mit anderen Stakeholdern den Kontakt am Laufen zu halten, damit sie ajour sind, was wir derzeit anbieten, welche Lehrberufe wir anbieten und welche Möglichkeiten wir haben.  

Petra Navara: Jetzt ist die Ausbildung von Jugendlichen die eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist dann: Wo bringt man sie unter oder bringen sie sich selber unter? Verfolgt ihr den Weg eurer ehemaligen Lehrlinge ins Berufsleben?  

Wolfgang Sperl: Also nicht zu weit. Wir wollen die Jugendlichen auch nachher nach der Ausbildung entsprechend an einen Arbeitsplatz vermitteln. Und das gelingt uns recht gut. Ich kann jetzt nicht genau sagen, von allen Abgängern, die die Abschlussprüfung geschafft haben, haben wir zur Zeit von Corona 52 % wirklich in Arbeit vermittelt, wobei wir in normalen Jahren eigentlich zwischen zwei Drittel und 80 % der Jugendlichen von uns weg in einen Beruf vermitteln auf Arbeit vermitteln können. Denn das größte Ziel ist ja nicht so sehr der Abschluss. Der ist toll und wichtig, aber das Ziel ist ja, dass die jungen Menschen dann einen Arbeitsplatz haben von dem Lohn leben können und ihr Leben meistern können. Das ist das Entscheidende und darum ist das eigentlich der wichtigste Punkt. Und da sind natürlich viele Maßnahmen vorgelagert, zum Beispiel auch die aus Placement Aktivitäten. Also wir haben eigene Mitarbeiter, die Praktika organisieren und aus den Erfahrungen im letzten Lehrjahr entstehen natürlich oft auch dann schon Arbeitsverhältnisse. Entscheidend eine Mischung aus interner Praxis, die wir anbieten, aber auch dann externe Praktika in der Wirtschaft, wo man erfährt, es doch nicht so schwer, mit Gehörlosen zu arbeiten. Und die haben dann auch eine Chance auf einen normalen Arbeitsplatz. Man kann davon ausgehen, dass diese Praktika eigentlich ein ganz gutes Mittel sind, um potenzielle Arbeitgeber und Unternehmen zu sensibilisieren für das Thema, ihnen Mut zu machen, es mit einem gehörlosen jungen Kollegen zu probieren. Das nimmt Ängste nimmt und birgt kein Risiko. Vielleicht vier Wochen dort oder sechs Wochen. Man kommt zusammen, lernt den Jugendlichen kennen und erfährt: “Okay, das passt eigentlich.” 

Es ist auch kein Problem, wenn es nicht passt. Dann kriegen wir das Feedback zurück. Aber es liegt die Problematik dann meistens nicht in der Behinderung, sondern da gibt es natürlich auch Jugendliche, die keine Heiligen sind, … auch die gehörlosen nicht. Also es gibt natürlich auch Verhaltensweisen, die vielleicht in einem Betrieb nicht so angemessen sind. Und das ist eher ein Problem als die Behinderung an sich.  

Petra Navara: Würden Sie sich wünschen, dass es vonseiten des Staates oder der Wirtschaftskammer mehr Initiativen in Richtung Unternehmen gibt, Kinder oder Jugendliche mit Behinderungen aufzunehmen? Oder ist da ihr genug getan?  

Wolfgang Sperl: Es kann nie genug getan sein, das ist klar. Aber zum Beispiel, ist ja für behinderte Menschen der besondere Kündigungsschutz auf 4 Jahre verlängert worden  

Da kann der Unternehmer nicht sagen: “Nein, das Risiko bleibt dann immer bei mir.” Auch wenn der Lehrling nicht ganz dem entspricht, was ich mir vorgestellt habe, aber nach 4 Jahren muss man schon wissen, ob der Mensch zu uns passt oder nicht.  Das ist dann wirklich nur eine Ausrede, falls es dann noch ein Gejammere ist. Tatsache ist: 4 Jahre ist eine gute Zeit, jemanden bestens kennen zu lernen. Die behinderte Person kann sich nicht so leicht verstellen. Natürlich hat es früher auch Leute gegeben, die sich in der 6 Monate-Frist total super engagiert haben und nach 6 Monaten sich dann eher haben gehen lassen. Also das ist jetzt nicht mehr möglich. Ich glaube das ist eine gute Zeit: 4 Jahre und der Unternehmer hat kein Risiko und kann sich auch jederzeit trennen, falls es nicht passt.  

Petra Navara: Aber ich denk jetzt an Unternehmen, die es noch nie mit gehörlosen Lehrlingen probiert haben. Müsste man da mehr anbieten? 

Wolfgang Sperl: Es gibt ja finanzielle Unterstützung für Unternehmen, die Leute mit einem eingeschränkten Radius aufnehmen. Ja, aber das nehme ich nicht als sehr offensiv wahr, das muss man eigentlich schon wissen als Unternehmen. Es stimmt: die Förderung als normale kommerzielle Unternehmen zu beantragen, ist sehr kompliziert in deren Augen, das ist eindeutig etwas für Profis. Wir kennen uns sehr gut aus. Wir beraten auch die Unternehmer, wie sie zu Förderungen kommen. Das ist doch wichtig. Auch das ist schon ein Anreiz, es nicht untern Tisch kehren, dass wenn ein Arbeitsplatz gefördert wird. Dies ist dann natürlich auch für den Unternehmer attraktiv. Er will sich halt nicht so sehr beschäftigen mit der Antragstellung und der Abwicklung. Und da können wir natürlich unterstützen und das machen wir auch gerne. Aber es ist natürlich trotzdem noch ein Beginn und wir kommen wieder ganz zurück zu dem, was wir am Anfang gesagt haben: Es ist natürlich trotzdem eine Ängstlichkeit vieler Unternehmer, Menschen mit Behinderung, allgemein und gehörlose Menschen anzustellen, wo ich mich schwertu’ beim Kommunizieren. Es ist Energie. Es ist für sie einfach schwierig zu glauben, dass das auch funktionieren kann. Und darum muss man es einfach ausprobieren. 

Petra Navara: Ein Praktikum ist sicher eine gute Möglichkeit, das auszutesten. Gibt es Maßnahmen, die wienwork gerne anbieten würde, aber nicht kann, weil die politischen Rahmenbedingungen oder die Finanzierung nicht da sind?  

Wolfgang Sperl: Politische Rahmenbedingungen spüren wir in der Form nicht. Also Finanzierung natürlich, wie du am Anfang gesagt hast, wie die Nachverfolgung der Nachhaltigkeit der Arbeitsplätze junger Menschen, die wir vermittelt haben. Das wäre natürlich schon spannend, dass wir länger Kontakt halten könnten mit diesen Jugendlichen, aber das braucht wesentlich mehr Personal, um da einen roten Faden zu sehen. Wie lange ist er jetzt in dieser Arbeit? Also da haben wir aus Datenschutzgründen keine Chance, wenn man nicht persönlich mit der Person den Kontakt halten kann. Das wäre sehr interessant für uns und wäre noch klarer zu sehen, ob unsere Maßnahmen auch entsprechend gut funktionieren oder ob wir da was nachbessern müssen. 

Petra Navara: Was raten Sie Jugendlichen, die vor der Entscheidung stehen, einen Lehrberuf zu machen oder in die Schule zu gehen oder ins Berufsleben einzutreten? Was wäre Ihr Appell an gehörlose Jugendliche, wie sie sich darauf vorbereiten sollen und verhalten sollen? 

Wolfgang Sperl: Wichtig ist es, eine Ausbildung machen. Das ist das Allerwichtigste. Ohne Ausbildung werden sie wenig Chancen haben oder immer nur Jobs kriegen, die ganz schlecht bezahlt sind. Es ist ganz entscheidend, einen Beruf zu wählen, den ich als gehörloser Mensch auch gut ausüben kann und wo ich mich auch qualifizieren kann, wo ich wirklich etwas kann. 

Und dann ist die Chance, am Arbeitsmarkt einen attraktiven und guten Arbeitsplatz zu finden, auch gegeben. Also nur zu sagen “Ich bin so arm, ich habe eine Behinderung und ich suche jetzt einen Arbeitsplatz”, das ist immer die schwierigste Situation, da wirklich was Passendes zu finden. 

Also Ausbildung, Ausbildung, Ausbildung, egal ob höhere Schule oder ob gute Lehre, beides ist am Arbeitsplatz wichtig und deswegen ist es, glaube ich, das wichtigste, eine gute Ausbildung zu machen.  

Petra Navara: So unter dem Motto: “Ihr könnt eigentlich alles, außer hören!”? 

Wolfgang Sperl: Genau, ihr müsst Vertrauen zeigen. Und es gibt doch immer mehr in der digitalen Welt, natürlich auch Möglichkeiten, zu kompensieren. Also die Elektronik ja, schon viel mehr. Wir haben angefangen früher mit SMS zu schreiben, jetzt geht es über WhatsApp, oder? Wir kommunizieren ja auch mit unseren Menschen, die gehörlos sind, mit elektronischen Medien. Und das wird in Zukunft sicher noch viel stärker sein. Wenn Übersetzungstools kommen, werden die natürlich dann die Zusammenarbeit noch wesentlich erleichtern. Also nur Mut! 

Petra Navara: Wolfgang, irgendwas, was man noch sagen muss?   

Wolfgang Sperl: Ja, also wir arbeiten sehr gerne mit gehörlosen Menschen zusammen, haben gute Erfahrungen gemacht und sind darauf eingestellt. Und ja, ich denke mal, die Chancen sind intakt, dass die Jugendlichen jetzt gute Arbeitsplätze finden. Und wir haben natürlich bei den erwachsenen Menschen, die gehörlos sind, auch stabile Arbeitsplätze, die wir anbieten in verschiedensten handwerklichen Bereichen. Spezialisten für handwerkliche Tätigkeiten und das funktioniert ganz gut, der Tischler muss nicht hören können, da kann auch der Gehörlose sehr, sehr gut arbeiten. Und wir haben auch einige vollwertige Mitarbeiter, die sehr gut und ganz wichtig für uns sind.  

Petra Navara: Ja, dann sage ich Herzlichen Dank 

Foto/Video Credits: ÖGLB / Gebärdenwelt.Tv
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