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Fachgespräch mit Verena Krausneker: Gebärdensprachen in der Wissenschaft

Melanie Lauschke: Frau Krausneker, Sie sind eine anerkannte Linguistin für Gebärdensprachen. Womit beschäftigen Sie sich in der Gebärdensprachenforschung?  

Verena Krausneker: Meine Arbeit ist die Gebärdensprachforschung, konzentriert auf ÖGS. Und dabei nicht die Grammatik oder Struktur, sondern angewandte Linguistik. Das bedeutet, wie die Sprache benutzt wird. Sprache im Zusammenhang mit der Community, Sprache im Zusammenhang mit der Geschichte. Das bedeutet Sprache im Zusammenhang mit dem Menschen – das ist meine Arbeit.

Melanie Lauschke: Wozu dient denn die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Gebärdensprachen bzw. wozu könnte sie dienen? Reicht es nicht einfach, sie zu lehren? 

Verena Krausneker: Das ist eine gute Frage. Wenn man sich vorstellt, wenn eine Person Gebärdensprache unterrichten soll, braucht sie Hintergrundwissen, Wissen über Grammatik und Struktur. Sie muss auch wissen, wie die Sprache funktioniert. Dazu braucht es die Forschung. Das ist der erste Grund.

Der zweite Grund ist, dass es niemals Sprache ohne Community gibt. Also benötigt eine Person, die die Gebärdensprache lernt, Wissen über die Kultur, Soziales, die Geschichte und die Community der Gehörlosen. Diese Informationen sind nötig und auch dazu braucht es die Forschung.

Und drittens, eine Sprache wie ÖGS wird ja im Alltag, in der täglichen Kommunikation verwendet. Das funktioniert gut, aber die Sprache wächst auch und das muss man begleiten und unterstützen. Und die Gebärdensprache zu unterstützen, bedeutet die Community zu unterstützen.

Melanie Lauschke: Wo steht Österreich im internationalen Vergleich, was die Erforschung der ÖGS betrifft? Wer finanziert die Forschung in Österreich?

Verena Krausneker: Wenn man sich die Erforschung der ÖGS im Vergleich Österreich und Europa ansieht, hinkt Österreich sehr hinterher. Der Grund…, das ist wirklich schwierig – zum Beispiel in Österreich… wie soll ich das sagen… in Österreich gibt es kein Institut für ÖGS. Ein anderes Beispiel ist, auch eine Professur für Gebärdensprachforschung gibt es nicht. Das Angebot an Gebärdensprachdolmetscher*innen in Graz in super. Aber Gebärdensprachlinguistik gibt es nicht. Deaf-Studies gibt es nicht.

Das bedeutet Österreich hinkt sehr stark hinterher und das ist schade. Es würde nämlich in der Praxis eine starke, schnelle Entwicklung geben. Die Gebärdensprachpädagogik wird stärker, auch die Dolmetscher*innen und gehörlosen Kinder bekommen immer mehr Gebärdensprache geboten. Aber die Forschung hinkt hinterher. Deshalb braucht es in der Universität ein Institut. Wenn wir zum Vergleich nach Deutschland schauen, da gibt es ein Institut für DGS (Deutsche Gebärdensprache). Dort können die Studierenden zum Beispiel aus Deaf-Studies, Dolmetschen oder Pädagogik auswählen. In Österreich gibt es da nur minimale Möglichkeiten.

Melanie Lauschke: Welche Bereiche werden beforscht und welche Themenfelder werden ignoriert?

Verena Krausneker: In Österreich wird schon geforscht, einige Personen forschen schon – Wenige, aber es wird etwas gemacht. Allerdings liegt es in der Verantwortung dieser Personen, sich selbst um das Budget zu kümmern. Das bedeutet, wenn für ein Projekt das Budget vorhanden ist, wird dieses Thema erforscht. Wenn das erledigt ist, müssen wieder Anträge gestellt werden, um das Budget für das nächste Thema zu bekommen. Wenn das auch erledigt ist, müssen erneut Anträge gestellt werden – das ist sehr mühsam.

Diese Situation ist für mich, für Julia Krebs in Salzburg und für Johanna Lackner in Graz gleich. Die Motivation ist hoch, auch die Angebote sind da, aber es gibt leider keine durchgängige Finanzierung, keinen Arbeitsvertrag mit der Uni – das ist eine sehr schwere Arbeitssituation.

Melanie Lauschke: Warum haben Sie sich für dieses Fach entschieden?

Verena Krausneker: Ich?

Melanie Lauschke: Ja.

Verena Krausneker: Das ist eine gute Frage. Gebärdensprachforschung in Österreich, naja, es werden einige Bereiche schon erforscht, aber es gibt noch sehr große weiße Flecken. Das bedeutet, es ist mehr Wissen über die Sprache nötig. Das ist der erste Punkt. Das ist die negative Seite, es braucht mehr Forschung. Der zweite Punkt ist das Positive, weil junge Forscher*innen, die zum Thema geführt werden, eine riesige Auswahlmöglichkeit haben. Und es ist viel zu tun, für die jungen Forscher*innen ist das eine super Situation. Aber es ist auch so, sie brauchen eine Stelle, ein Doktorat, und eine Stelle, die für die Finanzierung der Forschungsarbeit zuständig ist. Das aufzubauen ist schwer. Es braucht eine Person, eine Professur dann können junge Forscher*innen unterstützt werden.

Melanie Lauschke: Verfolgen Sie ein Ziel? 

Verena Krausneker: Dass ich die Gebärdensprachforschung ausgewählt habe, war eher ein Zufall. Vor ungefähr 30 Jahren ist mir aufgefallen, dass Familien mit gehörlosen Kindern keine Unterstützung bekommen und, dass den Kindern keine Gebärdensprache geboten wird. Das war ein Schock für mich und der erste Grund, warum ich mich mit aller Kraft dafür einsetzte das zu ändern. Und der zweite Grund, früher war die Österreichische Gebärdensprache noch nicht anerkannt. Da hatten gehörlose Personen keine Sprachrechte im Alltag – das war wieder ein Schock. Im Vergleich mit anderen Sprachminderheiten, und da gibt es einige in Österreich, war die Gebärdensprache unbeachtet. Das muss ausgeglichen, fair werden. Also wieder ein Grund für mich, mich dafür einzusetzen.

Als ich damals Linguistik studiert habe, habe ich gleichzeitig beim Österreichischen Gehörlosenbund gearbeitet. So habe ich mich zum einen mit der Forschung und zum anderen mit der Unterstützung in der Politik beschäftigt.

Melanie Lauschke: Sie haben den ersten Lehrplan für die Österreichische Gebärdensprache entwickelt. Das war vor 3 Jahren. was ist seither passiert?

Verena Krausneker: Das stimmt, ich habe vor drei Jahren angefangen, einen Lehrplan für ÖGS zu entwickeln. Das Projekt ist abgeschlossen und dem Ministerium übergeben. Das schläft leider bis jetzt, es war auch ein Chaos. Aber der Gehörlosenbund war auch gut und hat etwas Druck ausgeübt und so das Ministerium „aufgeweckt“. Jetzt war erst vor kurzem eine Abstimmung im Parlament, mit dem Ergebnis, dass der Lehrplan umgesetzt werden muss. Jetzt ist festgehalten, dass das Ministerium bis 2023 den ÖGS-Lehrplan umsetzen muss. Das ist super, und ich bin sicher, dass das passiert. Dieser Lehrplan ist nicht für gehörlose Menschen, sondern für den gesamten Schulbereich, von der ersten Klasse bis zur Matura. Das ist großartig und ich bin sicher, dass es eine große Veränderung bewirken wird. Es ist eine große Chance und wird sicher die Integration fördern und die Sprache verbreiten. Darauf freue ich mich natürlich.

Melanie Lauschke:  Wie wichtig ist den österreichischen Politiker*innen die Inklusion von gehörlosen Menschen? Wie wichtig sind ihnen ihre Rechte?

Verena Krausneker: Das ist jetzt schwer für mich, weil ich nicht in der Politik bin. Was ich allerdings beobachte ist, in der UN-Konvention über Rechte für Menschen mit Behinderung – die Österreich ja 2008 schon unterzeichnet hat – ist genau festgehalten was gehörlose Personen brauchen, bekommen müssen usw. Alle ihre Rechte sind da explizit aufgeschrieben. Österreich hat das aber noch nicht umgesetzt. Das bedeutet, die österreichischen Politiker*innen haben das natürlich gelesen und wissen, dass da etwas getan werden muss. Aber ich kann beobachten, dass hier niemandem bewusst ist, dass gehörlose Menschen ihre Gebärdensprachrechte nicht in vollem Umfang bekommen. Es wird angenommen, dass die Anerkennung der Österreichischen Gebärdensprachen die Lösung des Problems war, aber so ist es nicht.

Außerdem beobachte ich, dass vielen Politiker*innen Wissen fehlt. Zum Beispiel denken viele, dass ÖGS und DGS dasselbe sind. Also kann man ohnehin Material aus Deutschland auch in Österreich verwenden und muss nicht eine eigene Entwicklung finanzieren, z.B. für Unterrichtsmaterial. Dazu fehlt einfach noch viel wissen und es gibt viele Missverständnisse. Die Politik braucht noch viel Aufklärung und auch Unterstützung, um zu verstehen, was nötig ist und welche Schritte gesetzt werden müssen.

Melanie Lauschke: Warum ist es wichtig, dass es einen eigenen Lehrplan für ÖGS gibt? Was verändert sich dadurch?

Verena Krausneker: Der ÖGS-Lehrplan ist sehr wichtig, denn auf diese Weise bekommen gehörlose Kinder ihr Recht zugestanden, ein Unterrichtsfach in Ihrer Sprache zu haben und ihre eigene Sprache unterrichtet zu bekommen. Und Lehrer*innen dürfen die Gebärdensprache im Unterricht verwenden – als offizielle Unterrichtssprache. Außerdem haben auch hörende Kinder die Möglichkeit die Gebärdensprache zu lernen. Das ist eine Chance eine neue Sprache zu lernen. Das wird für die Zukunft eine große Veränderung sein und eine große Chance.

Melanie Lauschke: Der ÖGS-Lehrplan ist ein erster Schritt – was braucht es in der österreichischen Bildungslandschaft noch, um gehörlosen Menschen einen uneingeschränkten Zugang zu allen Bildungsebenen zu ermöglichen?

Verena Krausneker: Meine Meinung zum Bildungsbereich in Österreich ist, es werden mehr gehörlose Lehrer*innen benötigt. Zweitens gibt es in Österreich eine positive Entwicklung, es gibt die Möglichkeit in der Lehrausbildung in der Uni Wien im Zentrum für Lehrausbildung gibt es das Angebot für Gebärdensprachpädagogik. Das kann man dort auswählen. Zum ersten Mal in der Geschichte in Österreich gibt es die Möglichkeit, dass Lehrer*innen, die die Österreichische Gebärdensprache beherrschen, unterrichten. Früher haben Lehrer*innen die Gebärdensprache nicht gelernt, das ändert sich jetzt. Und das ist eine große Chance der perfekte Partner für Integration zu sein und der perfekte Partner, um mit einem gehörlosen Kollegen im Teamteaching zusammen zu arbeiten – großartig.

Melanie Lauschke:  Vielen Dank für das Interview!

Verena Krausneker: Gerne. Danke für die Fragen.

 

Foto/Video Credits: ÖGS Service Center / Gebärdenwelt.Tv
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