Zum ersten Mal seit 2013 wird heute und morgen von der UNO kontrolliert, ob Österreich sich an der Behindertenrechtskonvention hält. Bei einer Pressekonferenz haben einige Delegierten den Ablauf erklärt und die größten Missstände erläutert. Wir haben mit Martin Ladstätter vom Behindertenrat und Behindertenanwältin Christina Steger darüber gesprochen.
Martin Ladstätter: Eine Staatenprüfung bedeutet, dass der UNO-Fachausschuss prüft, ob Österreich seine Verpflichtungen zur Einhaltung dieses Vertrags nachgekommen ist.
Das ist ein spezieller Verfahren, das funktioniert so: dass zuerst der Staat einmal berichtet, was er gemacht hat, dass die Zivilgesellschaft berichtet, was sie gesehen hat, was der Staat gemacht hat.
Dann wird eine Frageliste erstellt. Diese Frageliste muss vom Staat noch einmal beantwortet werden. Und vor Ort, in Genf, jetzt bei der Staatenprüfung, werden noch spontane Fragen gestellt. Dann kommt der wichtiger Part: dann wird der Fachausschuss Handlungsempfehlungen an den Staat Österreich übersenden, was der Staat umzusetzen hat.
Gebärdenwelt.tv: Sind diese Handlungsempfehlungen bindend?
Martin Ladstätter: Die Handlungsempfehlungen sind bindend. Aber die wirkliche Frage ist, welche Art der Durchsetzung es gibt.
Nein, es werden keine Blauhelme in Österreich einmarschieren. Aber Österreich macht sich ziemlich lächerlich international, wenn man Verträge unterschreibt und sie nicht einhält.
Gebärdenwelt.tv: Zur ersten Staatenprüfung 2013: Was wurde umgesetzt?
Martin Ladstätter: Mehrere Dinge sind umgesetzt worden, ich will jetzt einige Beispiele erwähnen Österreich hatte eine ganz schlechte Übersetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Es ist wichtig zu wissen,
was in der Konvention wirklich drinnen steht, um sie umsetzen zu können. Deutsch ist keine Verhandlungssprache der UNO. Deswegen gab es noch nur eine “übersetzte Version”, aber die war schlecht.
Ich möchte ein Beispiel nennen: Es ist da drinnen von Integration die Rede gewesen, aber nicht von Inklusion. Es ist von Zugänglichkeit die Rede gewesen, aber nicht von Barrierefreiheit. Und das sind Riesenunterschiede. Und das Außenministerium hat den Auftrag gekriegt, im Rahmen der Handlungsempfehlungen, eine neue Übersetzung zu machen. Und das ist auch passiert.
Gebärdenwelt.tv: Bei der Pressekonferenz haben Sie angesprochen, Österreich hätte bei der Prüfung 2013 gelogen.
Was haben Sie damit gemeint?
Martin Ladstätter: Lüge bedeutet, dass man die Unwahrheit sagt, und das weiß. Und Österreich weiß natürlich, in welchen Bereichen sie die Konvention nicht umgesetzt haben. Und manche Antworten, die 2013 gegeben worden sind, waren wissentlich falsch.
Gebärdenwelt.tv: Zur Barrierefreiheit für gehörlosen Personen: Welche Missstände wurden da festgestellt?
Martin Ladstätter: Artikel 24 schreibt ein inklusives Bildungssystem vor. Aber wir wissen, dass die Gebärdensprache in Österreich nicht so umgesetzt worden ist, dass sie in den Bildungsgesetzen verpflichtend verankert ist. Ich kann nicht behaupten, auf dem Weg zu einem inklusiven Bildungssystem zu sein, wenn ich diesen Punkt nicht umsetze.
Es geht nicht darum, ob man die Schritte einleiten könnte. Gehörlose Menschen haben das Recht darauf, in ihrer Sprache unterrichtet zu werden. Optimalerweise sogar von Lehrer:innen, die auch gehörlos sind.
Das ist in Österreich derzeit nicht der Fall. Es ist nicht angedacht, das umzusetzen und es ist auch nicht gewollt, das umzusetzen. Das ist die Diskriminierung, die beendet werden muss.
Christine Steger: Ja, wir sind Teil der Staatendelegation und werden vor allen Dingen natürlich auch unsere Wahrnehmungen im Bereich Diskriminierungsschutz für Menschen mit Behinderungen in Österreich auch dort dem Fachausschuss zur Kenntnis bringen.
Wir haben auch einen Bericht verfasst dazu, der seit heute auch auf der Webseite online verfügbar ist. Und wir werden vor allen Dingen in dem Fachausschuss auch unsere Handlungsempfehlungen darbieten. In welcher Hinsicht wir in der Behindertenanwaltschaft der Meinung sind, was sich noch ändern muss, damit die Konventionsziele in Österreich tatsächlich Realität werden.
Gebärdenwelt.tv: Können wir nach der Staatenprüfung konkrete Verbesserungen erwarten?
Christine Steger: Ja.
Wir haben schon bei der Pressekonferenz drüber gesprochen, Es geht vor allen Dingen darum, dass Menschen mit Behinderungen, die diskriminiert werden, wenn sie eben auch eine Schlichtung bestreben, keine Möglichkeit haben, auf Beseitigung oder Unterlassung dann zu Gericht zu gehen.
Das heißt, wenn ich bspw. bei meinem Hausarzt nicht hinein komme, weil er nicht barrierefrei ist, ich eine Schlichtung mache, er uneinsichtig ist und ich mit ihm zu Gericht gehe, dann kann ich, wenn ich gewinne, weil das ist ja eine Diskriminierung, wenn ich nicht hinein komme, keine Rampe oder keinen Lift erwarten, sondern nur einen Schadenersatz von vielleicht 1.000 €. Das bringt mir aber nichts, weil ich ja zu meinem Hausarzt gehen muss.
Und das ist zum Beispiel eine ganz konkrete Problematik, die wir auch dem Fachausschuss klarmachen, dass es zwar den Diskriminierungsschutz in Österreich gibt, der auch abgesichert ist rechtlich, aber eben nicht weitreichend genug ist. Und darüber hinaus natürlich auch allerlei Themen, zu den Großen: Bildung, Arbeit und natürlich auch Frauen mit Behinderungen.
Und zum Thema Institutions-Abbau merken wir auch, dass es hier zu wenig Bestrebungen gibt, das ernsthaft in Angriff zu nehmen, um eben ein gleichberechtigtes Leben für alle Menschen in der Gesellschaft Wirklichkeit werden zu lassen.
Gebärdenwelt.tv: Welche Rolle spielt der neue Nationale Aktionsplan bei dieser Prüfung?
Christine Steger: Ja, das ist eine sehr interessante Frage, weil der Nationale Aktionsplan Behinderung II, der ja jetzt seit letztem Jahr quasi in Kraft gesetzt wurde, hat ja eine Vielzahl von Maßnahmen auch enthalten. Leider sind sehr viele der Maßnahmen sehr vage gehalten, sage ich jetzt einmal, und sehr wenig konkret.
Also das heißt, wenn ich jetzt den Bildungsbereich herauspicke, da ist zum Beispiel keine Zielformulierung drinnen: „Wann 2030? Wie viele Sonderschulen in Regelschulen quasi transformiert werden sollen?“
Also es gibt wenig Zielvorgabe und wenig Indikatoren, die auch klar machen, woran hier sozusagen die Inklusion oder die Herbeiführung der Ziele der Konvention zu messen sind.
Es ist natürlich gut, dass es diesen Nationalen Aktionsplan Behinderungen gibt, und es ist auch gut, dass alle Ressorts sich beteiligt haben. Da muss man ganz offen sagen, dass die Ressorts auch ja enden wollend motiviert waren, sich zu beteiligen.
Viele haben auch nur im Rahmen ihrer sowieso geplanten Maßnahmen dann auch eingemeldet. Und das größte Problem aus meiner Sicht im Bereich des Nationalen Aktionsplans Behinderung II ist, dass die Bundesländer zwar beteiligt waren, aber dass es nur ganz, ganz wenige Maßnahmen gibt, die alle Bundesländer gleichermaßen umsetzen wollen. Weil viele Bundesländer auch gemäß ihrer jeweiligen Landesgesetze
eigene Landes-Aktionspläne in Kraft gesetzt haben. Und es ist einfach schwierig im Hinblick auf die Umsetzung der Konvention, weil wir ganz unterschiedliche Voraussetzungen in den Bundesländern haben.