Einblicke in die Konferenz
Helene Jarmer:
Hallo! Wo bin ich heute? In Linz bei der Gehörlosenambulanz. Vielleicht wissen sie das schon: Österreichweit war die Gehörlosenambulanz in Linz die erste, die gegründet wurde. Der Schwerpunkt wurde darauf gesetzt, Ärzte und Pflegepersonal mit Gebärdensprachkompetenz zu haben, um eine gute Kommunikation ermöglichen zu können. Inzwischen gibt es noch weitere Gehörlosenambulanzen. Aber warum sind wir heute hier? Wegen der DEAFplus Konferenz sind wir hier. Was bedeutet DEAFplus? Das bezieht sich auf Personen, die gehörlos sind und auch andere Beeinträchtigungen haben. Zum Beispiel gehörlose Personen, die zusätzlich im Rollstuhl sitzen, eine Verhaltensauffälligkeit haben oder autistisch sind. Bis jetzt hat man sich mit dem Thema sehr wenig beschäftigt. Deshalb sind wir heute hier, um zu sehen, wie man diese Zielgruppe unterstützen kann. Es ist internationales Publikum anwesend und es wird auch internationale Vorträge zu dem Thema geben. Sind Sie schon gespannt? Kommen Sie mit hinein!
Interview: Dr. Johannes Fellinger
Frage: Wie kam es zu dieser Idee, zur DEAFplus Konferenz in Österreich?
Dr. Johannes Fellinger:
Vor 25 Jahren habe ich schon in der Gehörlosenambulanz erlebt, dass es Menschen gibt, die gehörlos sind und auch andere Behinderungen haben. Die sind nicht gekommen, weil sie es selber wollten, sondern weil hörende Angehörige Verhaltensprobleme beobachtet haben und sie hergebracht haben. Ich habe aber gesehen, wenn sie gemeinsam kommunizieren können, dann geht es ihnen besser. Darum haben wir die Lebenswelt aufgebaut. In dieser Lebenswelt habe ich so viele Menschen kennengelernt, die gehörlos sind und durch kognitive Beeinträchtigung, Sehbeeinträchtigung oder körperliche Lähmung zusätzliche Probleme haben. Und vor allem waren sie in einer hörenden Welt gefangen. Dann sind sie in die Lebenswelt gekommen, wo alle gebärdet haben und da hatten sie neue Möglichkeiten. Ich habe diese Menschen sehr gern. Sie sind ganz besondere Menschen, die in hörenden Heimen oft keine Chance haben. Wir sind Freunde der gehörlosen Menschen und müssen sie bewusst annehmen und nicht einfach als geistig beeinträchtigt stehenlassen. Deshalb haben wir die Konferenz gestartet.
Frage: Wie schaut die Zukunftsplanung aus, wird sich diese Konferenz wiederholen?
Dr. Johannes Fellinger:
Ich weiß es nicht, was glaubst du?
Eine andere Frage zum Abschluss: Der Ausdruck „DEAFplus“ – was bedeutet das?
Dr. Johannes Fellinger:
„DEAF“ heißt gehörlos und „plus“ bedeutet gehörlos und etwas anderes noch dazu. Das ist eine Person, die gehörlos ist und noch eine andere Herausforderung im Leben hat. Also „DEAFplus“ bedeutet Gehörlosigkeit in Verbindung mit einer anderen körperlichen Beeinträchtigung, einer Sehbeeinträchtigung oder auch einer geistigen Beeinträchtigung. Gehörlos plus eine andere Herausforderung – das ist eine Bedeutung. Eine andere Bedeutung ist, dass es viele positive Dinge gibt, nicht nur Negatives. Wir haben in der Lebenswelt eine Lebensqualität-Untersuchung gemacht, und die betroffenen Personen haben gesagt, dass es ihnen gut geht und sie können etwas schaffen.
Interview: Dr. Daniel Holzinger
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, Forschung im Bereich DEAFplus zu betreiben? Wie hat sich das entwickelt?
Dr. Daniel Holzinger:
Ein Drittel von den gehörlosen Personen hat auch noch unterschiedliche zusätzliche Herausforderungen. Das bedeutet, dass jene Personen, die zur Gruppe DEAFplus zählen, zusätzlich zur Gehörlosigkeit auch eine Intelligenzminderung, eine körperliche Beeinträchtigung oder eine Sehbeeinträchtigung haben. Und diese Gruppe ist nicht so klein, sondern es ist eine wichtige Gruppe, die aber oft vergessen wird. Im Erwachsenenbereich sieht man, dass diese Personen sehr verstreut sind in verschiedenen Einrichtungen, weil die Sorge besteht, wenn diese zusammen betreut werden und aufeinandertreffen, dass dann eine Gruppe entsteht, die sehr arm ist. Daher haben wir folgendes Ziel: Das Land Oberösterreich möchte im Zusammenhang mit der therapeutischen Gemeinschaft die Entwicklung in diesem Bereich fördern. Die Forschung musste auch zeigen, ob diese therapeutischen Gemeinschaften sinnvoll sind und ob sich dadurch Veränderungen ergeben. So hat die Forschung zum Thema Lebensqualität Folgendes gezeigt: Wenn gehörlose Personen, die noch andere Beeinträchtigungen haben, als Gruppe zusammen sind, dann verbessert sich durch diese Gemeinschaft auch deren Lebensqualität.
Ich forsche selbst auch zum Thema Autismus und Gehörlosigkeit. Das Thema Autismus ist jetzt sehr modern, man hört oft, dass jemand autistisch ist. Hierbei ist jedoch aufzupassen, dass nicht zu oft und vorschnell gleich Autismus als Diagnose gestellt wird. Auf der anderen Seite darf man auch nicht übersehen, wenn jemand gehörlos und autistisch ist. Jemand der gehörlos und autistisch ist, braucht eine besondere Unterstützung. Es genügt nicht nur ein schönes Umfeld zu haben, wie zum Beispiel ein Fisch, den man nur ins Wasser werfen braucht. Eine gehörlose Person braucht mehr Unterstützung und Anleitung.
Ein anderes interessantes Projekt ist, dass wir ein Programm entwickelt haben, wie man hörende oder gehörlose Mitarbeiter in der Kommunikation fördern kann, sodass sie sich anpassen können. Die Bewohner haben viele negative Erfahrungen mit Kommunikation gemacht. Sie waren immer unterlegen in der Kommunikation und wurden dazu gezwungen, sprechen zu üben. Aber Spaß an der Kommunikation oder Gleichberechtigung war nicht vorhanden. Wenn diese Menschen in die Lebenswelt kommen, müssen wir die Mitarbeiter schulen, sodass sie sich nicht wie Lehrer verhalten, sondern sich an die Personen anpassen. Sie sollen auch nicht für den Klienten sprechen, sondern so kommunizieren, dass der Klient selbst die Führung im Gespräch übernehmen kann. Es gibt in diesem Zusammenhang auch Übungsmöglichkeiten und ein Programm, bei dem man teilnehmen und sich selbst überprüfen kann, wie es einem selbst damit geht und ob es gut läuft.
Frage: Woher kommt das Wort DEAFplus, wie hat sich das entwickelt?
Dr. Daniel Holzinger:
Ich glaube das Wort DEAFplus haben nicht wir erfunden, dieses Wort gab es bereits. Es ist schwierig, einen Begriff zu finden und ich selbst bin nicht ganz überzeugt von dem Begriff. Aber mein Gefühl ist, „“plus““ ist etwas Positives. Unser Ziel ist es nicht, nur zu sagen, gehörlos plus Behinderung, sondern gehörlos plus Potenzial. Das ist auch Thema von diesem Kongress. Wir möchten nicht die Probleme hervorstreichen, sondern wir möchten diese Menschen fördern, wir suchen nach den Schlüsseln, damit wir die Türen aufmachen für diese Menschen. Vielleicht findet die Gehörlosengemeinschaft eine bessere Bezeichnung für diese Gruppe. Unser Ziel ist es nicht, diese Gruppe mit einem Begriff abzugrenzen. Aber wenn man sich austauschen will, dann braucht man auch eine Bezeichnung für das, worüber man spricht.
Noch eine Frage: Was ist ganz besonders in Ihren Forschungsergebnissen, was ist hier ganz besonders aufgefallen? Vielleicht gibt es da irgendein Merkmal, das Sie noch erwähnen möchten.
Dr. Daniel Holzinger:
Im Bereich Autismus war für mich sehr spannend, dass man immer gesagt hat, bei gehörlosen Personen gibt es mehr Autismus. Aber bei gehörlosen Personen mit durchschnittlicher Intelligenz kommt Autismus überhaupt nicht häufiger vor. Es ist vielleicht manches in der Kommunikation schwieriger oder die hörenden Personen glauben, die gehörlose Person ist eigenartig, das ist autistisch. Aber es ist nur bei gehörlosen Personen mit Intelligenzminderung so, dass vermehrt Autismus vorkommt. Bei anderen, intellektuell durchschnittlichen gehörlosen Personen, haben wir nicht feststellen können, dass es hier mehr Autismus gibt. (ep)