Die Staatenprüfung ist vorbei, am 8. September werden die Handlungsempfehlungen präsentiert. Wie schneidete Österreich bei dieser Prüfung ab? Daniele Marano vom Österreichischen Behindertenrat teilt seine Eindrücke aus Genf mit.
GW.TV: Sie berichten live aus Genf. Was sind die Gesamtergebnisse von dieser Staatenprüfung?
Daniele Marano: Die Empfehlungen an die Staatregierung werden erst am 8. September veröffentlicht werden. Es haben sich einige Tendenzen schon kristallisiert, wie zum Beispiel bei dem Schlussplädoyer des Country-Rapporteurs [UN-Berichterstatter]. Eine klare Empfehlung, dass die Länder hier bei der Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen verstärkt zur Verantwortung mit einbezogen werden müssen. Somit ist die CRPD [Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen] auch für die Länder geltendes Recht. Und das hat sich heute schon von den Schlusswortern des Country-Rapporteurs ganz deutlich herauskristallisiert.Alle weiteren Maßnahmen, wie Empfehlungen, die auch rauskommen werden, die sind dann ab dem 8. September öffentlich.
GW.TV: Der Staat Österreich hat eine ziemlich große Delegation hingeschickt und Sie waren Vertreter von dem Behindertenrat. Wie hat diese Zusammenarbeit funktioniert?
Daniele Marano: Zwischen der Staat-Delegation oder mit Vertretern des Komitees? Also ich muss sagen, wir waren am Montag bei den Bericht der Zivilgesellschaft eingebunden. Es wurde ein Bericht erstellt und somit auch der Sichtpunkt der Zivilgesellschaft in Vorbereitung auf die offizielle Staatenprüfung, die am Dienstag und heute stattgefunden hat, also unsere Sicht der Dinge deponieren [präsentieren] und auch die Delegierten des Komitees entsprechend informiert und auch deren Fragen zu beantworten zu unterschiedlichen Themen.
Somit konnten wir in direktem Austausch auch mit dem Komitee hier einen sinnvollen Austausch auf Sachebene aufbauen und uns informativ austauschen. Und diese Informationen sind eingeflossen in den Fragestellungen von den Komitee-Mitglieder an die Vertreter:innen des Staates hier in Österreich. Diese Fragen wurden am gestrigen Tag und heute gestellt.
GW.TV: Was waren Ihre wichtigsten oder Hauptkritikpunkte?
Daniele Marano: Also aus den Fragestellungen des Komitees an die Vertreterinnen der Regierung sehe ich die Kritikpunkte so: Im Block zusammengefasst würde ich sagen, der noch zu mangelnde Plan zur De-Institutionalisierung, dass es hier keine konkreten Aktionen oder einen Plan gibt, wie diese Maßnahmen funktionieren und wann diese getroffen werden können, um die De-Institutionalisierung endlich voranzutreiben. Das war ein Thema, der aus meiner Sicht sehr stark im Vordergrund noch ist.
Nun ein weiteres Thema war klarerweise dieser Aufruf an den Verantwortungen der Länder zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention und insbesondere auch Maßnahmen zu treffen, zur Ermächtigung der Entscheidungen und wie sie getroffen werden. Ein weiteres Thema klarerweise, auch von den vielfältigen Fragen, die zu diesem Bereich gekommen sind, ist das Thema Bildung und das war auch ein sehr großes Thema. Es war für mich ein wichtiger Tag. Für mich waren hier wichtige Themen.
Auch möchte ich erwähnen: Barrierefreiheit war auch ein Thema, weil man gemerkt hat, dass seit der letzten Prüfung es hier einen Rückgang, einen Verlust an Qualität bzw. an Angeboten für barrierefreies Wohnen gibt. Und auch bei der Umsetzung der Barrierefreiheit im Digitalisierungsbereich: Auch hier entspricht die Umsetzung nicht den geltenden gesetzlichen Vorschriften.
Also zusammengefasst würde ich sagen, wir haben hier die Verantwortung der Länder zur Umsetzung der CRPD. Wir haben das Thema der De-Institutionalisierung, wir haben das Thema der inklusiven Bildung, das Thema der mangelnden Barrierefreiheit, sowohl baulich als auch im digitalen Bereich. Das sind Themen, die auch aus den Fragestellungen verstärkt herausgekommen sind. Und wir sind auch alle gespannt zu sehen, welche Empfehlungen dann der Country-Rapporteur hier in Österreich befassen wird, zur Umsetzung der CRPD.
GW.TV: Martin Ladstätter vom Behindertenrat hat erzählt, dass bei der Staatenprüfung 2013, der Staat Österreich bei einigen Angaben gelogen hätte. War das heuer auch der Fall?
Daniele Marano: Ich denke, dass es in einer Verhandlung, wie bei solchen Ausschüssen grundsätzlich, um unterschiedliche Ansichten der Dinge geht. Also ich würde hier nicht von Lügen sprechen, sondern von unterschiedlichen Wahrnehmungen, unterschiedlichen Darstellungen, wie die Probleme wahrgenommen werden soll.
Somit würde ich sagen: klarerweise gab es auch bei dieser Staatenprüfung unterschiedliche Meinungen und das ist auch gut so in einem demokratischen Diskurs. Und so würde ich es auch betrachten, also unterschiedliche Auffassungen oder Wahrnehmungen vielleicht zu der Wichtigkeit oder Dringlichkeit von Maßnahmen, die hier umgesetzt werden müssten.
GW.TV: Haben Sie vielleicht ein Beispiel von einem Thema, wo der Staat das ganz anders sieht als jemand aus der Behinderten-Community? Ja zum Beispiel das Thema Bildung, wie wir auch hier keinen konkreten Plan haben. Es wurde oft der Nationaler-Aktionsplan hier herangezogen und erwähnt zur Umsetzung in unterschiedlichen Kriterien.
Daniele Marano: Und auch der Zeitplan bis 2030 ist sehr schwammig, sehr vage. Ich meine, wir wissen jetzt nichts von konkreten Aktionen, die bis 2030 folgen müssten um inklusive Bildung endlich in Österreich zu schaffen. Also klar ist, es gibt dieses Land, es gibt diese Meilensteine, die wir erreichen werden, aber letztendlich, es ist schon ein bisschen unsicher, wie das passieren soll und es fehlt ein bisschen an eine Konkretisierung der Umsetzung dieser angekündigten Maßnahme.
Und hier würde ich so schon eine Diskrepanz sehen, mit dem, was wir als Zivilgesellschaft wahrnehmen und fordern und dem, was auf dem Papier steht. Weil das Gesetz kann viele gute Absichten haben, aber wir möchten auch Taten sehen und Umsetzungen sehen, was hier die Absichten sind.
GW.TV: Die Handlungsempfehlungen kommen dann erst. Aber gibt es schon Tendenzen? Gibt es schon Richtungen?
Daniele Marano: Ja, wie gesagt, eine deutliche Tendenz ist wirklich…. Man hat in Österreich des Öfteren gehört, dass die CRPD nicht recht ist, das auch unmittelbar auf Landesebene umgesetzt werden kann oder darf.Und das wurde heute entkräftet in diesen Gesprächen. Somit wurde auch des Öfteren auch von dem Country-Rapporteur betont, dass die Länder sehr wohl die Verantwortung und die Zuständigkeit haben, die Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen unmittelbar umzusetzen. Es ist nicht nur eine Sache des Bundes, sondern sehr wohl auch der Länder.
Und ich glaube, das ist ein ziemlich starker Aufruf, über diese Verantwortung bewusst zu sein und hier konkretisierte Maßnahmen, legislative Maßnahmen auf Landesebene, damit auch die Artikel der Konvention in Landesgesetzen tatsächlich dann umgestaltet werden oder in legislativen Maßnahmen umgestaltet werden.
Und das war ziemlich ein klarer Auftrag, auch ohne den Bericht, der noch nicht vorliegt. Aber ohne diesen Bericht zu haben, ich denke, das ist eine wichtige Säule und das wird auch eine Bedeutung haben für Österreich, dass die Länder zur Verantwortung gerufen und getragen werden, die CRPD umzusetzen.
Weil, wie gesagt, es war der Diskurs der letzten Zeit in Österreich des Öfteren zu hören, dass die CRPD sozusagen nur eine Bundessache ist. Aber das wurde heute von Jurist:innen auch entkräftet, diese Argumentation. Also Österreich, wird sich dann auf Landesebene verpflichten müssen, die irgendwie umzusetzen.