Skip to content

„Die Heimopferrente steht in jedem Fall zu“: Volksanwalt Bernhard Achitz im Interview

Früher haben gehörlose Kinder oft brutale Bedingungen in sogenannten Taubstummenanstalten erleben müssen. Viele wollen oder können nicht über diese Zeit sprechen — der Anspruch auf Schadenersatz hat sich meistens bereits verjährt. Dennoch gibt es heute noch Möglichkeiten, eine Entschädigung in Form der Heimopferrente zu beantragen. Volksanwalt Bernhard Achitz erklärt uns, wie man diesen Anspruch geltend machen kann und stellt seine Forderungen an die Bundesanstalten vor.

 

*Alternativlink zum Video: Youtube

 

[GW.TV]: Seit der Änderung der Heimopferrente kommen vermehrt Berichte von Kindermissbrauch und Gewalt in den ehemaligen Taubstummenanstalten vor. Am bekanntesten ist natürlich das Beispiel von Salzburg. Hier wurden gehörlose Kinder geschlagen, beim Duschen fotografiert, wurden gezwungen, Instrumente zu lernen usw. Wie sieht die Lage in den anderen Anstalten aus?

[Bernhard Achitz]: Die Sachverhalte sind erstaunlicherweise relativ ähnlich. Das wundert uns aber nicht, denn wir haben ja auch aus Erfahrung von anderen Heimen den Schluss gezogen, dass die Erziehungspraktiken überall dieselben waren. Und daher ist es eigentlich ziemlich egal, ob man in einer Einrichtung in Salzburg, in Wien oder in Tirol war. Es sind überall dieselben Erziehungsmethoden und Unterrichtsmethoden verwendet wurden. Und die waren einfach zum Teil sehr brutal.

[GW.TV]: Es gab in jedem Bundesland, außer dem Burgenland, eine Taubstummenanstalt, wo die Kinder geschickt worden sind. Gibt es hier kein gutes Beispiel? Waren alle ungefähr gleich schlimm?

[Bernhard Achitz]: Es wird schon Zeiträume gegeben haben, wo in der einen oder anderen Einrichtung menschlicher vorgegangen wurde.

[GW.TV]: Reinhard Grobbauer, der Leiter von dem Salzburger Gehörlosenverband, hat sehr viel bei der Aufdeckung dort mitgemacht und erzählt, dass viele Betroffene nicht mal gewusst haben, dass die tatsächlich Opfer von Gewalt waren. Wer hat also Anspruch auf die Heimopferrente? Was gilt hier als Gewalt?

[Bernhard Achitz]:Also zuerst einmal ist wichtig, dass man zwischen 1945 und Ende 1999 untergebracht war. Also, wenn man eine Schule nur besucht hat, wo fragwürdige Unterrichtsmethoden angewendet wurden, das genügt nicht. Man muss in einem Internat in einem Erziehungsheim untergebracht gewesen sein, über längere Zeit. Und dann müssen Gewaltvorfälle dazugekommen sein, die strafrechtlich relevant sind.

[GW.TV]: Das betrifft also eher die Internate?

[Bernhard Achitz]: Das betrifft ausschließlich die Internate.

[GW.TV]: Was passiert mit Kindern, die nur eine Schule besucht haben, die normalerweise bei den Eltern gelebt haben? Sie sind zumindest kein Fall für die Heimopferrente.

[Bernhard Achitz]: Für die Heimopferrente ist Voraussetzung, dass man untergebracht war. Gibt es eine andere Art von Entschädigung? Es gibt Entschädigungen von den Trägern, es gibt Entschädigungen von der katholischen Kirche, die unter Umständen andere Anknüpfungspunkte haben. Aber für die Heimopferrente ist wirklich entscheidend, dass man in einem Internat untergebracht war und die Heime verwandte.

[GW.TV]: Die Heimopferrente ist eine Zusatzrente oder Pension. Wie hoch ist die?

[Bernhard Achitz]: Die beträgt rund €370 (im Monat). Steht erst dann zu, wenn man aus dem Erwerbsleben ausscheidet und ist sozusagen eine Geste der Anerkennung des Staates, dass auch staatliche Institutionen damals versagt haben. Sie setzt nicht den Anspruch gegenüber dem, der einem Gewalt angetan hat. Da gibt es andere Mechanismen. Normalerweise macht man da Schadenersatz geltend. Das funktioniert nur in der Regel nicht mehr, weil es entweder verjährt ist oder kaum beweisbar ist. Daher gibt es da Zusagen von Betreibern solcher Einrichtungen, dass sie trotzdem Entschädigungen bezahlen. Zusätzlich zu Heimopferrente.

[GW.TV]: Viele der Betroffenen haben eigentlich niemals über diese Gewalt aus der Kindheit gesprochen, nicht mal mit den engsten Angehörigen. Wäre eine Therapie zusätzlich oder vielleicht sogar statt der Heimopferrente eine Möglichkeit, diese Ereignisse aufzuarbeiten?

[Bernhard Achitz]: Zusätzlich eine Therapie wäre sicher in vielen Fällen günstig, wird auch von einigen Betreibern angeboten, zusätzlich zu einer Entschädigung oder statt einer Entschädigung werden da Therapiestunden finanziert.

[GW.TV]: Diese Entschädigungen werden dann immer vom Land oder teilweise von der Kirche ausbezahlt, In Wien und Niederösterreich waren die Anstalten aber vom Bund betrieben und hier steht aber keine Heimopferrente zu oder?

[Bernhard Achitz]: Nein, das ist nicht richtig. Die Heimopferrente steht in jedem Fall zu. Nur diese zusätzliche Entschädigung statt der Schadenersatzforderungen, die wird von den Betreibern der Einrichtungen bezahlt. Und die Betreiber waren die Länder oder die katholische Kirche und die Länder und die katholische Kirche haben noch aufrechte Zusagen, dass sie Entschädigungen bezahlen, wenn Misshandlungen in ihren Einrichtungen glaubhaft gemacht werden. Der Bund hat wenige Einrichtungen betrieben und hat ab einem bestimmten Zeitpunkt einfach aufgehört, diese Entschädigungen zu zahlen. Der hat früher aufgerufen, hat gesagt wer sich bis dann und dann meldet, bekommt etwas. Wer sich bis dahin nicht gemeldet hat, der hat Pech gehabt. Und wir finden das nicht in Ordnung. Denn aus der Erfahrung im Umgang mit solchen Menschen wissen wir, dass viele von der Möglichkeit, etwas geltend zu machen, gar nicht erfahren haben und andere wiederum ewig mit sich ringen, bis sie diese ganze Geschichte wieder aufwärmen, bis sie sich entscheiden, es doch geltend zu machen und da eine Frist zu setzen und zu sagen: „Wenn du dich bis dahin nicht gemeldet hast, bekommst du nichts mehr.“ Obwohl klar ist, dass die Menschen in ihrer Jugend misshandelt wurden. Das finden wir nicht in Ordnung und nicht gerecht. Und deswegen haben wir das aufgezeigt.

[GW.TV]: Also betroffene Menschen sollen sich auf jeden Fall trotzdem melden?

[Bernhard Achitz]: Die Heimopferrente steht in jedem Fall zu. Wenn man im Internat untergebracht war und dort, nämlich im Internat, Gewalt erfahren hat. Ob zusätzlich ein Schadensersatzanspruch oder eine pauschalisierte Entschädigung zusteht, hängt im Moment vom Betreiber ab. Wir wollen aber Druck machen, dass alle Betreiber diese Schadenersatzansprüche dann bezahlen

[GW.TV]: Betroffene Personen melden sich wo am besten?

[Bernhard Achitz]: Direkt bei der Volksanwaltschaft? Genau, die melden sich am besten direkt bei der Volksanwaltschaft. Wir haben auf unserer Webseite auch ein Formular, mit dem man die Heimopferrente geltend machen kann. das heißt man muss nicht unbedingt anrufen, Man kann sich auch dieses Formular herunterladen, ausfüllen und uns schicken.

 

Links: Volksanwaltschaft – Hilfestellung bei Problemen mit Behörden + Antragsformular

Erklärvideo: Was macht die Volksanwaltschaft?

Foto/Video Credits: Gebärdenwelt.tv
Beitrag teilen

Accessibility Toolbar