„Es ist wichtig, sich genau zu überlegen, welches Ziel man beruflich verfolgen möchte und wirklich ehrlich zu sich selbst zu sein.“
Wie sind Sie zu Ihrem Arbeitsplatz in der Marien-Apotheke gekommen?
Ich habe damals ein bisschen vor 2013 mein pharmazeutisches Studium langsam abgeschlossen. Zu der Zeit habe ich angefangen nach einem Arbeitsplatz zu suchen, der barrierefrei ist und wo auch Kommunikation mit Gehörlosen möglich ist. Ich habe in Slowenien studiert und dort war es wirklich schwierig, Angebote waren kaum zu finden. Deswegen habe ich mich dann auf die Suche gemacht und mein Blickfeld sozusagen auf Europa erweitert. Ich habe nach guten Beispielen im Gesundheitsbereich gesucht, wo es Angebote für Gehörlose bzw. in Gebärdensprache gibt. Und dann bin ich sozusagen zufällig im Internet auf die Marien Apotheke beziehungsweise auf ein interessantes Interview mit der Chefin Mag.a Simonitsch gestoßen. Sie hat darüber gesprochen, dass sie bereits zwei gehörlose Lehrlinge aufgenommen hat und das hat mein Interesse geweckt. Es war spannend für mich, dass hier in der Apotheke die Zusammenarbeit mit gehörlosen Personen gut funktioniert. Zu der Zeit habe ich noch studiert, aber mich gleich bemüht, einen Besuch in Wien zu organisieren, um mir die Apotheke anzusehen. Es ging darum, zu sehen, wie die Kommunikation und auch alles andere funktioniert. Als ich hier war, war mein erster Eindruck sehr gut. Die Kommunikation hat funktioniert und auch eine Sensibilisierung hat schon längst stattgefunden. Mir ist aufgefallen, dass die Leute zum Beispiel wussten, wie man damit umgeht, wenn eine gehörlose Person bei der Arbeit sehr fokussiert ist. Es wurde zuerst auf die Schulter gegriffen, damit die gehörlose Person bemerkt, dass da jemand vorbei möchte. Es war einfach sehr schön wahrzunehmen, dass die Zusammenarbeit so gut funktioniert. Ich habe gesagt, dass ich an einer Zusammenarbeit interessiert bin und habe gefragt, ob ich in Zukunft hier mitarbeiten könnte. Damals konnte ich noch nicht Deutsch und keine Österreichische Gebärdensprache. Deshalb war zuerst wichtig die Sprache zu lernen, das brauchte Zeit und hat ungefähr 3 bis 4 Monate in Anspruch genommen. Im Juli 2013 wurde ich dann nach einem Vorstellungsgespräch hier eingestellt.
Welche Erwartungen gab es vor der Zusammenarbeit?
Damals waren meine Vorstellungen ganz anders. Oft haben Gehörlose in der Community die Vorstellung, dass arbeiten nur möglich ist, wo keine Kommunikation benötigt wird. Aber das ist eigentlich keine gute Vorstellung. Gehörlose Personen brauchen ebenso die Kommunikation und den Umgang mit Kund*innen und ein gemeinsames Miteinander. Ein harmonisches Zusammenarbeiten ist wichtig, wie überall – dazu muss man Dolmetscher*innen als Unterstützung hinzuziehen. Meine Vorstellung war damals, dass ich nur im Labor arbeiten würde. Aber die Chefin, Frau Mag. Simonitsch, meinte, dass es auch wichtig ist im Verkauf zu arbeiten und ein gebärdensprachliches Angebot zu legen. Dadurch ist noch eine Barriere beseitigt worden. Dann haben wir überlegt, wie kommuniziert werden soll. Wir haben Dolmetscher*innen bestellt, die für die hörende Kundschaft die Kommunikation ermöglichen. Es ist wichtig, dass es professionelle Dolmetscher*innen sind, damit die Kommunikation reibungslos abläuft und es auch für die hörenden Kund*innen problemlos läuft.
Welche Schwierigkeiten gab es zu Beginn der Zusammenarbeit?
Am Anfang gibt es klarerweise immer diese Schwierigkeiten, wie, wo und was gemacht werden soll. Damals war ich noch jung und ich wusste nicht, wie der Betrieb hier funktioniert. Da musste ich natürlich auch dazu lernen und das waren wichtige Schritte. Später war dann ein wichtiger Punkt natürlich Kommunikation und Information. In einer Apotheke ist es wichtig, sehr schnell Information zu bekommen, oder sogar schon im Voraus. Und wenn du keine Information bekommst, dann bist du hinten nach. Deswegen ist es wichtig am Zahn der Zeit zu bleiben und die aktuellsten Informationen zu bekommen bzw. sie weiterzugeben. Ohne Information kommt es natürlich zu Schwierigkeiten und dadurch zu Rückschritten. Darum war es wichtig für mich, die Unterstützung durch Dolmetscher*innen zu haben, um dadurch die Transparenz im Informationsaustausch zu haben. Wenn zum Beispiel neue Regelungen, Situationen oder Probleme entstehen, ist es wichtig, rechtzeitig reagieren zu können. Das ist wichtig. Ohne diesen Informations- und Kommunikationsfluss ist das schwierig. Ohne Dolmetschung klappt die Weiterarbeit nicht.
Was funktionierte von Anfang an hervorragend?
Für mich war und ist das Labor immer noch ein wunderschöner Bereich. Dort fühle ich mich wohl. Wenn es um Teemischungen oder Augentropfen geht, das ist Handarbeit, etwas was ich mit meinen eigenen Händen produziere. Medikamente für kranke Menschen herzustellen und dabei zu helfen, Krankheiten zu heilen. Für mich ist das wichtig. Das ist etwas, was ich selbst dazu beitragen kann.
Fehlt es noch irgendwo an Unterstützungsangeboten?
Ich arbeite im Gesundheitsbereich und dort entstehen mehrheitlich Probleme mit Fachbegriffen. Für viele Fachbegriffe gibt es keine Gebärden und das muss dann buchstabiert werden. Mittlerweile gibt es schon einige Fachgebärden, die in Zusammenarbeit mit “GESTU” auf der Technischen Universität Wien entwickelt und gesammelt wurden. Aber leider gibt es nur wenige Gehörlose, die eine höhere Ausbildung haben und im Gesundheitsbereich arbeiten. Deswegen gibt es auch noch nicht genug Fachgebärden, da besteht noch Aufholbedarf. Ich wünsche mir für die Zukunft, dass es noch mehr Fachgebärden, vor allem für den medizinischen Bereich, gibt. Das ist nicht nur für mich und meine Arbeit wichtig, sondern auch für andere gehörlose Menschen. Gehörlose Personen haben oft keine Ahnung, was die Fachbegriffe bedeuten. Es soll viel mehr gebärdet werden, damit es barrierefrei ist, aber das braucht noch Zeit.
Welches Feedback bekommen Sie von Kund*innen?
Der Umgang mit hörenden Kund*innen ist für mich ein sehr spannender Teil meines Berufes. Der Grund ist, dass ich, wenn ich im Verkauf bin, Dolmetscher*innen an meiner Seite habe. Das heißt, dass bei den Gesprächen der/die Dolmetscher*in und der/die Kund*in dabei sind. Am Anfang war nicht klar, wie wir ein gutes System aufbauen, damit die Kommunikation mit den Kund*innen gut klappt. Die Apotheke hat es dann geschafft, eine gute Lösung zu finden. Alle sind sehr begeistert, dass die Beratung durch einen gehörlosen Apotheker mit Dolmetscher*in so gut funktioniert. Das ist wirklich toll. Oft kommt jetzt am Ende einer Beratung ein Dankeschön oder die Kund*innen wollen selbst Gebärdensprache lernen. Manchmal fragen sie sogar den/die Dolmetscher*in, wie man in Gebärdensprache „Danke“ sagt, während ich die Medikamente hole und dann zeigen sie mir die Gebärde “Danke”, das ist super. Gehörlose Kund*innen freuen sich wirklich sehr über das barrierefreie Angebot im Gesundheitsbereich. Sie bekommen alle wichtigen Informationen, die sie benötigen, in Gebärdensprache. Es ist sehr wichtig, dass sie die Informationen in ihrer Muttersprache bekommen. Durch die Gebärdensprache ist es für Gehörlose leichter zu verstehen. Wenn es etwa um die Einnahme von Medikamenten geht, um ein Problem mit Nebenwirkungen oder um welche Zeit etwas genommen werden soll.
Welchen Tipp würden Sie gehörlosen Jugendlichen hinsichtlich Ihrer Berufsauswahl geben?
Für Jugendliche habe ich die Empfehlung, sich zu informieren, welche Berufe sie erlernen können, welche Möglichkeiten es gibt. Es ist wichtig, dass man sich überlegt, was man machen möchte, wofür man sich interessiert. Das bringt auch Glück und es ist wichtig, dass man mit der Arbeit auch zufrieden und glücklich ist. Das ist der erste Schritt und der zweite Schritt ist, dass man seinen Traum lebt. Es gibt keine Probleme, keine Barrieren, es gibt immer eine Lösung. Es gibt auch Barrieren, aber man muss immer überlegen, wie man diese beseitigen kann. Das ist eine Herausforderung, bitte nehmt diese Herausforderung an.