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Berufsbilder in der Gebärdenwelt: die Leiterin einer Apotheke erzählt …

„Es ist wichtig einfach Mut zu haben, nicht alles zu Tode zu überlegen – einfach machen und sich dann intuitiv leiten lassen. Auch Imperfektion ist im Leben nicht das Allerschlechteste.“

Wie kam es dazu, eine gehörlose Person in der Marienapotheke anzustellen?   

Das war eine spontane Aktion, sozusagen nach dem zweiten Achtel Grünen Veltliner. Ein Freund von uns hat nämlich einen gehörlosen Sohn. Wir sind ins Plaudern gekommen und er hat gesagt, er macht sich Sorgen und weiß nicht, was aus dem David wird. Und ich habe gesagt: “Wenn er sich für Pharmazie interessiert, dann bilde ich ihn dir aus.” Schon war es passiert, in Wirklichkeit war es also ein Freundesdienst. Dann bin ich draufgekommen, dass dieser junge Mann, weil er hörende Eltern hat, keine Gebärdensprache gelernt hat. Diese hörenden Eltern haben ihrem gehörlosen Kind versucht die Kultur der Hörenden überzustülpen. Dann bin ich draufgekommen, dass er keinen Dolmetscher versteht. Er musste ja in die Berufsschule gehen. Und sie hatten so eine eigene Sprache entwickelt, seine Mutter und er.  Es war mir natürlich gar nicht recht, dass die Mutter mit ihm in der Schule gesessen ist. Er hat keinen Hörnerv angelegt, es ist tatsächlich zapfenduster bei ihm. Er ist daneben gesessen. Sie hat mitgeschrieben, und er hat dann sozusagen von ihrer Mitschrift gelernt. Das war selbstverständlich auch nur mittelgut. Ich habe dann – damit er seine Kultur kennenlernt – einen anderen gehörlosen Lehrling angestellt mit der Bitte, sich um den David zu kümmern. Der Tolga hat das erstklassig gemacht, er war sehr gut ausgebildet in Gebärdensprache und auch im Lippenlesen. Die beiden haben sich auch sehr gut angefreundet. So hat der David, wenn auch spät, seine Kultur kennenlernen können.   

 

Welche Erwartungen hatten Sie an die Zusammenarbeit?   

Ich hatte ehrlich gesagt überhaupt keine Vorstellung. Ich habe nur gedacht, dass er nur nicht hören kann, alles andere kann er. Und das ist auch gut, denn bei uns ist es manchmal sehr hektisch, wenn viele Telefonate sind oder eine Rennerei ist, weil so ein großer Kundenandrang ist. Ich habe mir dabei gedacht, dass jemand, der nicht hört, sich davon nicht beeindrucken lässt. Er kann in Ruhe seine Tätigkeiten weitermachen. Das war eigentlich mein Ansatzpunkt. Wenn man genau weiß, was auf einen zukommt, macht man es nicht. Man darf sich gar nicht zu sehr überlegen, wie alles läuft und was alles passiert, sondern muss es einfach ausprobieren. Es lernen alle Seiten dabei.  

 

Welche Schwierigkeiten gab es zu Beginn der Zusammenarbeit?   

Ich glaube für einen Gehörlosen, der noch nicht in einer Berufsstruktur war, ist es anfangs schwierig pünktlich zu sein. Der David ist gekommen, wann er wollte. Ihm das beizubringen war ein bisschen anstrengend, dass er um acht Uhr da zu sein hat oder vielleicht sogar etwas früher, damit er sich umziehen kann. Das wusste er nicht. Auch, dass man nicht gehen kann, wann man will, wusste er nicht. Das war ein gegenseitiges Einstellen. Auch bei einer Unterweisung, also wenn man einem Lehrling eine Tätigkeit beibringt, führt man diese normalerweise aus und spricht gleichzeitig dazu. Das geht natürlich bei einem Gehörlosen nicht, weil man ihm das vorher erklären und ihn währenddessen anschauen muss. Danach zeigt man ihm die Tätigkeit und lässt sie von ihm wiederholen. Oder wenn man sich austauscht, er sich am Ende des Gesprächs umdreht und gehen will, einem aber plötzlich noch etwas einfällt und ich ihm noch „Du, David übrigens…“ nachrufen wollte, aber er hört nicht. Einmal habe ich mich selbst dabei erwischt, dass ich zornig geworden bin, aber dann ist mir eingefallen, dass er ja nicht hört. Man vergisst sehr schnell, wenn man jemanden besser kennt, dass er nicht hört. Ich glaube wir als Team haben alle viel gelernt.  

 

Was funktionierte von Anfang an hervorragend?   

Beim David hatten wir sehr viele Schwierigkeiten. Ich würde es rückblickend, nach 15 Jahren mittlerweile, wieder machen. Ich weiß, wie wichtig das ist, was uns gelungen ist. Nur mit einem Gehörlosen zu beginnen ist “nur”… Der David ist PKA (Pharmazeutisch-kaufmännische Assistenz), kann also nicht eigenverantwortlich arbeiten. Wie aber dann der gehörlose Apotheker zu uns gefunden hat, habe ich gewusst, dass wir es jetzt auch Kund*innen, die auch das Problem haben, nicht gut oder gar nicht zu hören, anbieten. Sonst war es im internen Bereich eine Herausforderung, wie man kommuniziert oder ihn auf den aktuellen Stand bringt. Er kennt ja nichts vom Hören-Sagen. Man muss ihn aktiv informieren. Als er die Gebärdensprache besser gelernt hatte, hat er es uns allen gelernt. Aber wirklich gut ist es geworden als dann die tolle Qualifikation des Studiums dazu gekommen ist. Das ist für mich das Beglückendste überhaupt. Da der Herr Mag. Dolanc als einzig nicht hörender Apotheker in Österreich, wenn nicht sogar in Europa, auch hörende Kund*innen betreut mit einer Dolmetscherin an seiner Seite. Das heißt, er kann seinen Beruf zur Gänze ausführen. Und das ist das Ziel gewesen.  

 

Fehlt es noch irgendwo an Unterstützungsangeboten?   

Wir haben einige wunderschöne Projekte in der Pipeline. Eine Apotheke mit einem nicht hörenden Apotheker ist so ein niederschwelliger Zugang für Betroffene, also gehörlose Menschen. Diese Menschen haben es schwer am Gesundheitssystem teilzunehmen durch die Sprachbarriere. Wir würden so gerne ein Projekt starten, das ermöglicht, dass jemand zu uns kommt und mit dem Apotheker besprechen kann, ob wir ihm gleich in der Apotheke helfen können oder ob ein Arztbesuch, Ambulatoriumsbesuch oder Spitalsbesuch benötigt wird. Wir hätten hier in der Marien Apotheke im 6. Bezirk ein wunderschönes Projekt, wo man dann eine Standby-Dolmetscherin hätte, die anruft, wenn man sich darauf einigt, dass ein Arztbesuch notwendig ist. Diese würde den Betroffenen dann ins „Primary Health Care“, ins Ambulatorium oder wenn es sein muss auch ins Spital zu den Barmherzigen Schwestern begleiten. Das wäre ein wunderschönes Projekt, aber leider kann ich als privates Unternehmen diese Kosten nicht übernehmen. Ich würde gerne die Schulung und alles Nötige zur Verfügung stellen. Also auch die Mitarbeiter*innen dieser Institutionen entsprechend schulen und uns abreden, wie man das mit einem Betroffenen macht. Dass man den dann direkt dort hin bringt. Aber auch, dass sie selbst hingehen können mit der Dolmetscherin, mit der sie sich normal immer verabreden. So könnte man das starten. Zum Beispiel mit Gesundenuntersuchungen. Dann würde jeder einmal die Gegend und die vorhandenen Möglichkeiten kennenlernen. Das würde ich gerne machen. Aber da fehlt noch ein bisschen was.  

 

Wie funktioniert die Kommunikation im Team?   

Im Team klappt es herausragend gut. Ich kann das Sozialministeriumservice gar nicht hoch genug loben. Auch die Mitarbeiter*innen die dort sind. Wir haben viel mit ihnen zu tun logischerweise. Ich bin sehr dankbar, dass es so möglich ist. Herr Mag. Dolanc kann nur im Verkauf stehen, wenn ein/eine Dolmetscher*in dabei ist, weil wir nicht sicherstellen können, dass ausschließlich gehörlose Kund*innen kommen. Wenn aber ein hörender Kunde da ist, ist es für ihn ohne Dolmetschung kaum möglich. Er beobachtet die Leute sehr gut, aber in dem Moment in dem sie merken, dass er nicht hört und von den Lippen ablesen muss, wird es sehr schwer für ihn. Kaum steht ein hörender Kollege daneben, reden die Leute über den Gehörlosen hinweg mit dem Hörenden. Natürlich kommt dann auch eine schnelle Antwort. Das ist eine Situation, die ich ihm eigentlich nicht zumuten will, weil er genauso ausgebildet ist, er hört halt nicht. Und das kann man so nicht machen. Insofern ist sein Beruf ein wenig limitiert, weil er von seinen insgesamt 40 Stunden, die er pro Woche da ist, nur 16 Stunden pro Woche im Verkauf arbeiten kann, weil er nur für diese Zeit einen/eine Dolmetscher*in bekommt, welche/r ihn betreut. Aber auch das ist nicht einfach, weil es natürlich um einschlägige Begriffe geht. Die zwei müssen auch zusammenpassen. Sreco arbeitet jetzt glaube ich mit drei Dolmetscher*innen zusammen und das klappt herausragend gut. Auch unsere Kund*innen wissen das schon und gehen oft schon gezielt zu ihm hin, weil sie es mögen und wissen, dass da nichts Böses dahinter ist, wenn er sie so genau beobachtet. Das ist ja die Kunst an unserem Beruf, dass die Leute oft gar nicht genau sagen können, was ihnen fehlt. Das müssen wir ihnen ja aus der Nase ziehen oder aber auch erkennen.  

 

Welches Feedback bekommen Sie von Kund*innen?   

Das ist sogar durchwegs positiv. Auch das Interesse an Gebärdensprache steigt. Ich höre oft genug die Frage, wo man einen Kurs besuchen kann und dass sie es gerne lernen würden. Ich finde das immer großartig, wenn Kinder das lernen und mitkriegen. Gerade die nehmen so viel spielerisch auf. Es ist einfach wunderbar. In der Nähe gibt es die Kinderhände, die die Kurse für hörende oder nicht-hörende kleine Kinder machen. Es ist also durchwegs gut. Aber jeder Kunde kann auch ganz bewusst zu einem anderen Apotheker gehen, wenn er zum Beispiel jetzt keine Zeit hat, es dauert natürlich auch ein bisschen länger. Aber auch das ist ja auch eine Qualität, wenn man wahrgenommen wird.   

 

Welchen Tipp würden Sie Unternehmer*innen hinsichtlich der Anstellung einer gehörlosen Person geben?   

Ein Ratschlag ist einfach Mut zu haben. Nicht alles zu Tode überlegen, sondern einfach machen und sich dann intuitiv leiten lassen. Für das hörende Gegenüber habe ich noch den Tipp: Man braucht keinem Gehörlosen vorzuspielen, dass man jemand ist, der man nicht ist. Man muss authentisch sein, weil einen die Gehörlosen durchschauen. Das kann auch verunsichern, aber ich finde es großartig, dass sie einen so genau erkennen. Aber dann muss man auch manchmal den Mut zur Fehlerhaftigkeit haben. Auch Imperfektion ist im Leben nicht das Schlechteste.  

Foto/Video Credits: OEGLB / Gebärdenwelt.tv
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